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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Förderung des Handwerks ans Rösten der Industrie?

mehr hat. Alle diese Arbeiter, wie z. B. Bäcker, Tapezierer, Sattler usw., die
in Maschinenbaufabriken, chemischen Betrieben u. dergl. anderweit beschäftigt
werden, müßten bei der gedachten Berechnung ausgeschaltet werden, da
die für sie vom Handwerk vorher aufgewendeten Ausbildungskosten den in
Betracht kommenden Fabrikbetrieben in keiner Weise zustatten kommen. Eine
solche Statistik fehlt bislang vollkommen. Die von der Regierung in den
Jahren 1895 und 1906 angestellten Erhebungen ergaben keinerlei einwandfreies
Material. Es ist dies von dem preußischen Herrn Handelsminister selbst
anerkannt worden, der im Jahre 1907 im Landtage ausdrücklich hervorhob,
daß nach den vom Statistischen Amte bearbeiteten Untersuchungen unter den
Arbeitern der in Betracht gezogenen Fabriken sich 36,7 Prozent gelernte
Arbeiter befunden hätten, von denen 40,8 Prozent aus Handwerkerkreisen
stammten, während 59,2 Prozent in den Fabriken selbst ausgebilvet waren.
Die Zahl der in den Fabriken gewerblich ausgebildeten Arbeiter steige beständig,
die andere sinke dauernd. Zu einem ähnlichen Ergebnis ist auch die Handels¬
kammer zu Düsseldorf gekommen, die auf Grund einer im Westen Deutschlands
gehaltenen Umfrage festgestellt hat"), daß das Bedürfnis der Industrie nach
dauernder Beschäftigung gelernter Arbeiter mit handwcrksähnlichen Funktionen
in den einzelnen Industriezweigen ein sehr verschiedenes sei, und daß die Industrie
in recht beträchtlichem Umfange selbst gelernte Arbeiter ausbilde. Die indu¬
striellen Betriebe seien hierzu sehr wohl in der Lage, und die allgemeine Be¬
hauptung, daß das Handwerk dem jungen Nachwüchse eine allseitigere und
vollkommenere, den ganzen Kreis des Gewerbes erschöpfendere Ausbildung
gewähre als die Lehrlingserziehung in industriellen Betrieben, treffe keineswegs
zu. Es wird vielmehr gerade in dieser Beziehung in der Denkschrift der Düssel¬
dorfer Handelskammer zutreffend betont, daß sich die durch Verwendung von
Maschinen herausgebildete Spezialisierung der Arbeit im Handwerk ebenso
eingebürgert hat wie in der Industrie, und daß dadurch auch im Handwerk
dieselbe Folge, nämlich die einseitigere Ausgestaltung der Lehrlingsausbildung,
gezeitigt worden ist.

Des weiteren ist es eine bekannte Tatsache, daß handwerksmäßig vor¬
gebildete Arbeiter, um ihren gelernten Beruf in einer Fabrik zu betätigen, erst
völlig umlernen müssen, ein Umstand, dessen bereits in der zur Beratung der
Handwerkernovelle eingesetzten Reichstagskommission ausdrücklich gedacht worden
ist, in der auch gleichzeitig anerkannt wurde, daß vielfach Arbeiter, die in
industriellen Betrieben ausgebildet sind, zum Handwerke überzugehen pflegen.
Mangels jeden Zahlenmaterials -- das schwerlich einwandfrei zu beschaffen sein
wird - läßt sich allerdings kaum nachweisen, in welchem Umfange ein solcher
Übergang stattfindet. Die Neichsgewerbeordnung hat indessen derartige Fälle
bereits ins Auge gefaßt und den Übergang durch die Bestimmung zu erleichtern



") Vgl. Denkschrift vom Jahre 1903: "Beiträge der Industrie zu den Kosten der
HnndwerkernuSlnldung und Hin:dworkerwchlfnhrtspflege."
Förderung des Handwerks ans Rösten der Industrie?

mehr hat. Alle diese Arbeiter, wie z. B. Bäcker, Tapezierer, Sattler usw., die
in Maschinenbaufabriken, chemischen Betrieben u. dergl. anderweit beschäftigt
werden, müßten bei der gedachten Berechnung ausgeschaltet werden, da
die für sie vom Handwerk vorher aufgewendeten Ausbildungskosten den in
Betracht kommenden Fabrikbetrieben in keiner Weise zustatten kommen. Eine
solche Statistik fehlt bislang vollkommen. Die von der Regierung in den
Jahren 1895 und 1906 angestellten Erhebungen ergaben keinerlei einwandfreies
Material. Es ist dies von dem preußischen Herrn Handelsminister selbst
anerkannt worden, der im Jahre 1907 im Landtage ausdrücklich hervorhob,
daß nach den vom Statistischen Amte bearbeiteten Untersuchungen unter den
Arbeitern der in Betracht gezogenen Fabriken sich 36,7 Prozent gelernte
Arbeiter befunden hätten, von denen 40,8 Prozent aus Handwerkerkreisen
stammten, während 59,2 Prozent in den Fabriken selbst ausgebilvet waren.
Die Zahl der in den Fabriken gewerblich ausgebildeten Arbeiter steige beständig,
die andere sinke dauernd. Zu einem ähnlichen Ergebnis ist auch die Handels¬
kammer zu Düsseldorf gekommen, die auf Grund einer im Westen Deutschlands
gehaltenen Umfrage festgestellt hat"), daß das Bedürfnis der Industrie nach
dauernder Beschäftigung gelernter Arbeiter mit handwcrksähnlichen Funktionen
in den einzelnen Industriezweigen ein sehr verschiedenes sei, und daß die Industrie
in recht beträchtlichem Umfange selbst gelernte Arbeiter ausbilde. Die indu¬
striellen Betriebe seien hierzu sehr wohl in der Lage, und die allgemeine Be¬
hauptung, daß das Handwerk dem jungen Nachwüchse eine allseitigere und
vollkommenere, den ganzen Kreis des Gewerbes erschöpfendere Ausbildung
gewähre als die Lehrlingserziehung in industriellen Betrieben, treffe keineswegs
zu. Es wird vielmehr gerade in dieser Beziehung in der Denkschrift der Düssel¬
dorfer Handelskammer zutreffend betont, daß sich die durch Verwendung von
Maschinen herausgebildete Spezialisierung der Arbeit im Handwerk ebenso
eingebürgert hat wie in der Industrie, und daß dadurch auch im Handwerk
dieselbe Folge, nämlich die einseitigere Ausgestaltung der Lehrlingsausbildung,
gezeitigt worden ist.

Des weiteren ist es eine bekannte Tatsache, daß handwerksmäßig vor¬
gebildete Arbeiter, um ihren gelernten Beruf in einer Fabrik zu betätigen, erst
völlig umlernen müssen, ein Umstand, dessen bereits in der zur Beratung der
Handwerkernovelle eingesetzten Reichstagskommission ausdrücklich gedacht worden
ist, in der auch gleichzeitig anerkannt wurde, daß vielfach Arbeiter, die in
industriellen Betrieben ausgebildet sind, zum Handwerke überzugehen pflegen.
Mangels jeden Zahlenmaterials — das schwerlich einwandfrei zu beschaffen sein
wird - läßt sich allerdings kaum nachweisen, in welchem Umfange ein solcher
Übergang stattfindet. Die Neichsgewerbeordnung hat indessen derartige Fälle
bereits ins Auge gefaßt und den Übergang durch die Bestimmung zu erleichtern



") Vgl. Denkschrift vom Jahre 1903: „Beiträge der Industrie zu den Kosten der
HnndwerkernuSlnldung und Hin:dworkerwchlfnhrtspflege."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/226>, abgerufen am 29.06.2024.