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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Ignaz Unrcmda in seiner politischen Wirksamkeit

parlamentarische Laufbahn überschreiben. An allen Verdiensten, die sich die
liberale deutsche Partei in diesem Vierteljahrhundert um die Ausbildung des
österreichischen Konstitutionalismus erworben, hat Kuranda seinen Anteil; an
den Irrtümern und Versäumnissen der "Herbstzeitlosen" trägt er sein Maß
geschichtlicher Verantwortung. Denn er war ein Mitleiter, ein Wortführer dieser
Partei. An staatsrechtlicher Bildung stand er einen: Mühlfeld und einem Herbst,
an hinreißender Kraft einem Giskra nach. Als schlagfertiger, witziger, zündender
Sprecher aber hatte er kaum seinesgleichen im österreichischen Abgeordnetenhaus?
der sechziger und siebziger Jahre, das an Talenten und Rednern wahrhaftig
nicht arm gewesen ist. In dieser provisorischen Bretterbude vor dem Schottentor,
dem "Schmerlingtheater", wie die Ungarn höhnten, hat der österreichische
Parlamentarismus ja doch seine schönsten Tage erlebt; und die großen staats¬
männischen Gesichtspunkte in den Debatten wie den vornehmen Ton, die in
diesem primitiven Volksvertretungsheim herrschten, möchte man sich in den prunk¬
vollen Palast am Franzensring gern zurückwünschen.

Im Geiste des nach heutigen Begriffen vielleicht zahmen Liberalismus jener
Tage und als Gegner der auf die Zerbröckelung Österreichs gerichteten föde¬
ralistischen Strebungen sprach Kuranda in den Jahren 1861 bis 1865 zu all
den großen legislatorischen Fragen, zum Preß-, zum Heimath-, zum Handels¬
gesetz, sprach er in den Adreßdebatten, fungierte er als allezeit bestunterrichteter
Referent über den Staatsvorauschlag. Sein Lieblingsthema aber waren die
weittragenden Probleme der auswärtigen Politik. Nicht als ob ' die"Zweite
Kammer damals in Österreich irgendeinen bestimmenden Einfluß auf die inter¬
nationalen Angelegenheiten geübt hätte; aber diese gehörten doch formell in
ihren Wirkungskreis. Und Kuranda hat in diesen Dingen, zu denen er" freilich
nur sprechen konnte, viel richtigen Blick gezeigt. Er verlangte in der italienischen
Frage eine endgültige Lösung, nicht durch die Waffen, sondern auf dem Wege
friedlicher Verhandlung, und sprach es offen aus, daß der Verlust der letzten
Besitzungen in Italien, dieses Erbteils der heiligen Allianz, für Österreich kein
Unglück wäre. Mit schneidendem Hohn geißelte er Österreichs ungeschickte Hand,
seine verhängnisvollen Mißgriffe in jenen Jahren, da die überlegene Kunst
eines großen Mannes planvoll zum Bruche zwischen den zwei deutschen Gro߬
mächten trieb; mit prophetischem Blicke sagte er den unvermeidlichen Kampf
um die Vorherrschaft in Deutschland voraus, den sich der Habsburgerstaat im
ungünstigsten Zeitpunkte aufdrängen ließ.

Kuranda, der Alt- und Großösterreicher, war durch die Katastrophe des
Jahres 1866 aufs tiefste getroffen. Damals gab er seine "Ostdeutsche Post" auf,
deren deutsch-österreichische Ziele durch den Sieg Preußens zunichte geworden.
Aber mit dem alten Eifer des gemäßigten Liberalen kämpfte er, wenn auch ohne
die schöpferische Kraft eines Herbst oder eines Hafner, für die innere Reorgani¬
sierung des cisleithauischen Österreich nach dem Ausgleiche, für die Aufhebung
des Konkordats, für die neuen Kirchen- und Schulgesetze. Daß der kleine Mann


Ignaz Unrcmda in seiner politischen Wirksamkeit

parlamentarische Laufbahn überschreiben. An allen Verdiensten, die sich die
liberale deutsche Partei in diesem Vierteljahrhundert um die Ausbildung des
österreichischen Konstitutionalismus erworben, hat Kuranda seinen Anteil; an
den Irrtümern und Versäumnissen der „Herbstzeitlosen" trägt er sein Maß
geschichtlicher Verantwortung. Denn er war ein Mitleiter, ein Wortführer dieser
Partei. An staatsrechtlicher Bildung stand er einen: Mühlfeld und einem Herbst,
an hinreißender Kraft einem Giskra nach. Als schlagfertiger, witziger, zündender
Sprecher aber hatte er kaum seinesgleichen im österreichischen Abgeordnetenhaus?
der sechziger und siebziger Jahre, das an Talenten und Rednern wahrhaftig
nicht arm gewesen ist. In dieser provisorischen Bretterbude vor dem Schottentor,
dem „Schmerlingtheater", wie die Ungarn höhnten, hat der österreichische
Parlamentarismus ja doch seine schönsten Tage erlebt; und die großen staats¬
männischen Gesichtspunkte in den Debatten wie den vornehmen Ton, die in
diesem primitiven Volksvertretungsheim herrschten, möchte man sich in den prunk¬
vollen Palast am Franzensring gern zurückwünschen.

Im Geiste des nach heutigen Begriffen vielleicht zahmen Liberalismus jener
Tage und als Gegner der auf die Zerbröckelung Österreichs gerichteten föde¬
ralistischen Strebungen sprach Kuranda in den Jahren 1861 bis 1865 zu all
den großen legislatorischen Fragen, zum Preß-, zum Heimath-, zum Handels¬
gesetz, sprach er in den Adreßdebatten, fungierte er als allezeit bestunterrichteter
Referent über den Staatsvorauschlag. Sein Lieblingsthema aber waren die
weittragenden Probleme der auswärtigen Politik. Nicht als ob ' die"Zweite
Kammer damals in Österreich irgendeinen bestimmenden Einfluß auf die inter¬
nationalen Angelegenheiten geübt hätte; aber diese gehörten doch formell in
ihren Wirkungskreis. Und Kuranda hat in diesen Dingen, zu denen er" freilich
nur sprechen konnte, viel richtigen Blick gezeigt. Er verlangte in der italienischen
Frage eine endgültige Lösung, nicht durch die Waffen, sondern auf dem Wege
friedlicher Verhandlung, und sprach es offen aus, daß der Verlust der letzten
Besitzungen in Italien, dieses Erbteils der heiligen Allianz, für Österreich kein
Unglück wäre. Mit schneidendem Hohn geißelte er Österreichs ungeschickte Hand,
seine verhängnisvollen Mißgriffe in jenen Jahren, da die überlegene Kunst
eines großen Mannes planvoll zum Bruche zwischen den zwei deutschen Gro߬
mächten trieb; mit prophetischem Blicke sagte er den unvermeidlichen Kampf
um die Vorherrschaft in Deutschland voraus, den sich der Habsburgerstaat im
ungünstigsten Zeitpunkte aufdrängen ließ.

Kuranda, der Alt- und Großösterreicher, war durch die Katastrophe des
Jahres 1866 aufs tiefste getroffen. Damals gab er seine „Ostdeutsche Post" auf,
deren deutsch-österreichische Ziele durch den Sieg Preußens zunichte geworden.
Aber mit dem alten Eifer des gemäßigten Liberalen kämpfte er, wenn auch ohne
die schöpferische Kraft eines Herbst oder eines Hafner, für die innere Reorgani¬
sierung des cisleithauischen Österreich nach dem Ausgleiche, für die Aufhebung
des Konkordats, für die neuen Kirchen- und Schulgesetze. Daß der kleine Mann


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[0217] Ignaz Unrcmda in seiner politischen Wirksamkeit parlamentarische Laufbahn überschreiben. An allen Verdiensten, die sich die liberale deutsche Partei in diesem Vierteljahrhundert um die Ausbildung des österreichischen Konstitutionalismus erworben, hat Kuranda seinen Anteil; an den Irrtümern und Versäumnissen der „Herbstzeitlosen" trägt er sein Maß geschichtlicher Verantwortung. Denn er war ein Mitleiter, ein Wortführer dieser Partei. An staatsrechtlicher Bildung stand er einen: Mühlfeld und einem Herbst, an hinreißender Kraft einem Giskra nach. Als schlagfertiger, witziger, zündender Sprecher aber hatte er kaum seinesgleichen im österreichischen Abgeordnetenhaus? der sechziger und siebziger Jahre, das an Talenten und Rednern wahrhaftig nicht arm gewesen ist. In dieser provisorischen Bretterbude vor dem Schottentor, dem „Schmerlingtheater", wie die Ungarn höhnten, hat der österreichische Parlamentarismus ja doch seine schönsten Tage erlebt; und die großen staats¬ männischen Gesichtspunkte in den Debatten wie den vornehmen Ton, die in diesem primitiven Volksvertretungsheim herrschten, möchte man sich in den prunk¬ vollen Palast am Franzensring gern zurückwünschen. Im Geiste des nach heutigen Begriffen vielleicht zahmen Liberalismus jener Tage und als Gegner der auf die Zerbröckelung Österreichs gerichteten föde¬ ralistischen Strebungen sprach Kuranda in den Jahren 1861 bis 1865 zu all den großen legislatorischen Fragen, zum Preß-, zum Heimath-, zum Handels¬ gesetz, sprach er in den Adreßdebatten, fungierte er als allezeit bestunterrichteter Referent über den Staatsvorauschlag. Sein Lieblingsthema aber waren die weittragenden Probleme der auswärtigen Politik. Nicht als ob ' die"Zweite Kammer damals in Österreich irgendeinen bestimmenden Einfluß auf die inter¬ nationalen Angelegenheiten geübt hätte; aber diese gehörten doch formell in ihren Wirkungskreis. Und Kuranda hat in diesen Dingen, zu denen er" freilich nur sprechen konnte, viel richtigen Blick gezeigt. Er verlangte in der italienischen Frage eine endgültige Lösung, nicht durch die Waffen, sondern auf dem Wege friedlicher Verhandlung, und sprach es offen aus, daß der Verlust der letzten Besitzungen in Italien, dieses Erbteils der heiligen Allianz, für Österreich kein Unglück wäre. Mit schneidendem Hohn geißelte er Österreichs ungeschickte Hand, seine verhängnisvollen Mißgriffe in jenen Jahren, da die überlegene Kunst eines großen Mannes planvoll zum Bruche zwischen den zwei deutschen Gro߬ mächten trieb; mit prophetischem Blicke sagte er den unvermeidlichen Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland voraus, den sich der Habsburgerstaat im ungünstigsten Zeitpunkte aufdrängen ließ. Kuranda, der Alt- und Großösterreicher, war durch die Katastrophe des Jahres 1866 aufs tiefste getroffen. Damals gab er seine „Ostdeutsche Post" auf, deren deutsch-österreichische Ziele durch den Sieg Preußens zunichte geworden. Aber mit dem alten Eifer des gemäßigten Liberalen kämpfte er, wenn auch ohne die schöpferische Kraft eines Herbst oder eines Hafner, für die innere Reorgani¬ sierung des cisleithauischen Österreich nach dem Ausgleiche, für die Aufhebung des Konkordats, für die neuen Kirchen- und Schulgesetze. Daß der kleine Mann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/217>, abgerufen am 23.07.2024.