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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Ignaz Auranda in seiner politischen Wirksamkeit

zum Erstaunen von ganz Europa ein scheinbar auf Fels gegründetes System
überrannt hatte, ging Kuranda nach der österreichischen Hauptstadt, wohl fühlend,
daß jetzt nur dort sein Platz sein könne. Das in Jubel schwimmende Wien,
die Aula zumal, empfing den Landsmann, der so lange für das nun Errungene
gekämpft hatte, mit lauter Freude. Damals sollte Kuranda die Leitung eines
großen, auf Aktien zu gründenden Journals "Die Reform" übernehmen, lehnte
aber ab, weil ihm die geplante Tendenz allzu gemäßigt erschien, er auch für
sich nicht die Gewähr völliger Unabhängigkeit erblickte. Er wurde in die
Deputation gewählt, die das sogenannte Frankfurter Vorparlament zu begrüßen
ging; er war Mitglied des Fünfziger Ausschusses, der die Einberufung des
wirklichen Parlaments vorbereitete. Bezeichnend für die Widersprüche, in die
Österreichs Deutsche bei aller echten schwarz-rot-goldenen Begeisterung vou Anfang
an gerieten, ist, daß Kuranda in Frankfurt weniger die Rechte der Deutschen
in Österreich als ihre Pflichten gegen die nichtdeutschen Nationen des Habs¬
burgerreiches betonte, daß er diesen die Unverletzlichkeit ihrer Nationalität durch
die künftige deutsche Reichsverfassung verbürgt wissen wollte -- ein altruistisch¬
kosmopolitischer Idealismus, den sich die österreichischen Deutschen seither allmählich
abgewöhnen mußten.

Der Wahlkreis Teplitz in Böhmen wählte Kuranda in jene Versammlung,
in der zum ersten und zum letzten Male das gesamte deutsche Volk vertreten
war. Kuranda hat dem Frankfurter Parlamente, das trotz seiner Fehler
und seiner politischen Unfruchtbarkeit schon durch seine nie dagewesene Ver¬
einigung von Geist, Talent und Vaterlandsliebe immerdar eine stolze Erinnerung
bleiben wird, nur etwa ein Vierteljahr angehört und ist dort nicht sonderlich
hervorgetreten/') Er hatte sich dem linken Zentrum angeschlossen, das gemäßigte
liberale Tendenzen vertrat, die Volkssouveränität zwar als die einzige Grund¬
lage der zu schaffenden Reichsverfassung betrachtete, die Unterordnung der Einzel¬
staaten unter die Einheitsidee verlangte, dabei aber doch (in dem jener Zeit
eigenen, etwas verschwommenen Theoretisieren) die "Berücksichtigung der Einzel¬
regierungen und die unabweisbaren Partikularbedürfnisse nicht völlig in Abrede
stellte".

Schon am 24. August 1848 teilte der Vorsitzende dem Parlamente den
Austritt des Abgeordneten Kuranda mit. Eine Motivierung hatte dieser nicht
gegeben. Der schier unlösbare Gegensatz zwischen dem historisch gewordenen,
Polyglotten Österreich und einem alle Deutschen umfassenden einigen Deutschland
war wohl die tiefere Ursache dieses vorzeitigen Austritts.

Bald sehen wir Kuranda wieder in seinem eigentlichen Fahrwasser. Anfang
Oktober 1843 gründete er in Wien die "Ostdeutsche Post", die letzte große Zeitungs¬
schöpfung der Wiener Revolution. "Die Kluft zwischen einer traurigen Ver¬
gangenheit und einer neuen Zukunft" will er damit überbrücken. Er verlangt



") Vgl. die neun Folivbüude des "stenographischen Berichts über die Verhandlungen
der deutschen konstituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main."
Ignaz Auranda in seiner politischen Wirksamkeit

zum Erstaunen von ganz Europa ein scheinbar auf Fels gegründetes System
überrannt hatte, ging Kuranda nach der österreichischen Hauptstadt, wohl fühlend,
daß jetzt nur dort sein Platz sein könne. Das in Jubel schwimmende Wien,
die Aula zumal, empfing den Landsmann, der so lange für das nun Errungene
gekämpft hatte, mit lauter Freude. Damals sollte Kuranda die Leitung eines
großen, auf Aktien zu gründenden Journals „Die Reform" übernehmen, lehnte
aber ab, weil ihm die geplante Tendenz allzu gemäßigt erschien, er auch für
sich nicht die Gewähr völliger Unabhängigkeit erblickte. Er wurde in die
Deputation gewählt, die das sogenannte Frankfurter Vorparlament zu begrüßen
ging; er war Mitglied des Fünfziger Ausschusses, der die Einberufung des
wirklichen Parlaments vorbereitete. Bezeichnend für die Widersprüche, in die
Österreichs Deutsche bei aller echten schwarz-rot-goldenen Begeisterung vou Anfang
an gerieten, ist, daß Kuranda in Frankfurt weniger die Rechte der Deutschen
in Österreich als ihre Pflichten gegen die nichtdeutschen Nationen des Habs¬
burgerreiches betonte, daß er diesen die Unverletzlichkeit ihrer Nationalität durch
die künftige deutsche Reichsverfassung verbürgt wissen wollte — ein altruistisch¬
kosmopolitischer Idealismus, den sich die österreichischen Deutschen seither allmählich
abgewöhnen mußten.

Der Wahlkreis Teplitz in Böhmen wählte Kuranda in jene Versammlung,
in der zum ersten und zum letzten Male das gesamte deutsche Volk vertreten
war. Kuranda hat dem Frankfurter Parlamente, das trotz seiner Fehler
und seiner politischen Unfruchtbarkeit schon durch seine nie dagewesene Ver¬
einigung von Geist, Talent und Vaterlandsliebe immerdar eine stolze Erinnerung
bleiben wird, nur etwa ein Vierteljahr angehört und ist dort nicht sonderlich
hervorgetreten/') Er hatte sich dem linken Zentrum angeschlossen, das gemäßigte
liberale Tendenzen vertrat, die Volkssouveränität zwar als die einzige Grund¬
lage der zu schaffenden Reichsverfassung betrachtete, die Unterordnung der Einzel¬
staaten unter die Einheitsidee verlangte, dabei aber doch (in dem jener Zeit
eigenen, etwas verschwommenen Theoretisieren) die „Berücksichtigung der Einzel¬
regierungen und die unabweisbaren Partikularbedürfnisse nicht völlig in Abrede
stellte".

Schon am 24. August 1848 teilte der Vorsitzende dem Parlamente den
Austritt des Abgeordneten Kuranda mit. Eine Motivierung hatte dieser nicht
gegeben. Der schier unlösbare Gegensatz zwischen dem historisch gewordenen,
Polyglotten Österreich und einem alle Deutschen umfassenden einigen Deutschland
war wohl die tiefere Ursache dieses vorzeitigen Austritts.

Bald sehen wir Kuranda wieder in seinem eigentlichen Fahrwasser. Anfang
Oktober 1843 gründete er in Wien die „Ostdeutsche Post", die letzte große Zeitungs¬
schöpfung der Wiener Revolution. „Die Kluft zwischen einer traurigen Ver¬
gangenheit und einer neuen Zukunft" will er damit überbrücken. Er verlangt



") Vgl. die neun Folivbüude des „stenographischen Berichts über die Verhandlungen
der deutschen konstituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/215>, abgerufen am 23.07.2024.