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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Ignaz Kuranda i" seiner politischen Wirksamkeit

hatte er dramatische Erfolge erzielt; seine "Geschichte Belgiens seit der Revolution"
hatte die Anerkennung wissenschaftlicher Kreise gefunden. Zuvörderst ist es aber
doch der Publizist in Kuranda, der seinen dauernden Wert ausmacht: der
politische Schriftsteller, dem selbst der erzkonservative Heisere das Beiwort des
Geistreichen und Gediegenen nicht versagte. Es war der unermüdliche, mit dem
Worte und mit der Feder gleich vertraute, welterfahrene Zeitungsmann, der sich
nachher in einen der gewandtesten Parlamentarier umwandelte, die Osterreich
jemals besessen hat. In seiner Kleidung und seinen Manieren stets ebenso
tadellos wie in seinen Artikeln, höchst anregend in der Unterhaltung hat er es
zeitlebens verstanden, literarische und politische Bekanntschaften in größter Zahl
zu sammeln und für feine über den trivialen Egoismus hinausgehenden Zwecke
zu verwerten. Noch als junger Wiener Theaterrezensent war er mit Lenau,
Grün, Halm, Castelli u. a. in Berührung gekommen, später in Stuttgart mit
Uhland und den schwäbischen Dichtern, Robert Mohl, David Friedrich Strauß,
Cotta u. a., in Brüssel mit dein Minister Nothomb und dem vlämischen Dichter
Hendrik Conscience. An den Grenzboten arbeiteten zu seiner Zeit Deutsche wie
Laube, Kühne, Lewald, Österreicher wie Moriz Hartmann, Alfred Meißner,
Egon Ebert u. a., nebst einer langen Reihe österreichischer Aristokraten, die
dem Regime Metternich ständische Opposition machten.

In Leipzig duldete es den rastlosen Journalisten nie lange. Nach Paris,
Berlin, Wien, Italien fuhr er, um Informationen und Verbindungen zu
gewinnen; und in diesem gewiß nicht böse gemeinten Sinne spricht Lewald
gelegentlich von Kurandas gußeiserner Zudringlichkeit. Wenn dieser neben seiner
redaktionellen Tätigkeit in Leipzig noch Zeit fand, philosophische Kollegien zu
hören und das Doktordiplom zu erlangen, waren doch die Grenzboten in diesem
Abschnitte seines Lebens der erste und der letzte Gegenstand seiner zärtlichen
Sorge. Von ihnen sprach er am liebsten. "Man konnte es ihn: aus
dreißig Schritte ansehen," schreibt Meißner, "wenn wieder einmal eine Feder
ersten Ranges ihm ein Manuskript eingesendet hatte. Dann trug er sein Haupt
mit besonderem Schwunge, die Hand führte noch kecker als sonst das zierliche
Stäbchen, die Augen strahlten von siegreichem Feuer." Eine in liebenswürdige
Formen gekleidete Energie und ein lebhaftes geistiges Temperament haben wohl
auch bei dem späteren Politiker Kuranda manchmal ersetzt, was ihm an Tiefe
fehlen mochte.

Kurandas Tätigkeit bei den Grenzboten ist in diesen Blättern wiederholt
besprochen worden.") Hier möge seine politische Wirksamkeit im engeren,
parlamentarischen Sinne überblickt werden. Sie begann im Revolutionsjahre.
Als die Wiener Mürzbewegung ausgebrochen und mit jugendlichem Ungestüni



*) Vgl. u. a. den Aufsatz von Grunow "Fünfzig Jahre", 1891 in Ur. 40 der Grenz¬
boten. -- "Sie verdankten ihm ihre Bedeutung und er ihnen den guten Klang seines Namens,"
schreibt Wurzbach in seinem biographischen Lexikon, das ebenso wie die Allgemeine Deutsche
Biographie Kurandas Bedeutung ausführlich würdigt.
Ignaz Kuranda i» seiner politischen Wirksamkeit

hatte er dramatische Erfolge erzielt; seine „Geschichte Belgiens seit der Revolution"
hatte die Anerkennung wissenschaftlicher Kreise gefunden. Zuvörderst ist es aber
doch der Publizist in Kuranda, der seinen dauernden Wert ausmacht: der
politische Schriftsteller, dem selbst der erzkonservative Heisere das Beiwort des
Geistreichen und Gediegenen nicht versagte. Es war der unermüdliche, mit dem
Worte und mit der Feder gleich vertraute, welterfahrene Zeitungsmann, der sich
nachher in einen der gewandtesten Parlamentarier umwandelte, die Osterreich
jemals besessen hat. In seiner Kleidung und seinen Manieren stets ebenso
tadellos wie in seinen Artikeln, höchst anregend in der Unterhaltung hat er es
zeitlebens verstanden, literarische und politische Bekanntschaften in größter Zahl
zu sammeln und für feine über den trivialen Egoismus hinausgehenden Zwecke
zu verwerten. Noch als junger Wiener Theaterrezensent war er mit Lenau,
Grün, Halm, Castelli u. a. in Berührung gekommen, später in Stuttgart mit
Uhland und den schwäbischen Dichtern, Robert Mohl, David Friedrich Strauß,
Cotta u. a., in Brüssel mit dein Minister Nothomb und dem vlämischen Dichter
Hendrik Conscience. An den Grenzboten arbeiteten zu seiner Zeit Deutsche wie
Laube, Kühne, Lewald, Österreicher wie Moriz Hartmann, Alfred Meißner,
Egon Ebert u. a., nebst einer langen Reihe österreichischer Aristokraten, die
dem Regime Metternich ständische Opposition machten.

In Leipzig duldete es den rastlosen Journalisten nie lange. Nach Paris,
Berlin, Wien, Italien fuhr er, um Informationen und Verbindungen zu
gewinnen; und in diesem gewiß nicht böse gemeinten Sinne spricht Lewald
gelegentlich von Kurandas gußeiserner Zudringlichkeit. Wenn dieser neben seiner
redaktionellen Tätigkeit in Leipzig noch Zeit fand, philosophische Kollegien zu
hören und das Doktordiplom zu erlangen, waren doch die Grenzboten in diesem
Abschnitte seines Lebens der erste und der letzte Gegenstand seiner zärtlichen
Sorge. Von ihnen sprach er am liebsten. „Man konnte es ihn: aus
dreißig Schritte ansehen," schreibt Meißner, „wenn wieder einmal eine Feder
ersten Ranges ihm ein Manuskript eingesendet hatte. Dann trug er sein Haupt
mit besonderem Schwunge, die Hand führte noch kecker als sonst das zierliche
Stäbchen, die Augen strahlten von siegreichem Feuer." Eine in liebenswürdige
Formen gekleidete Energie und ein lebhaftes geistiges Temperament haben wohl
auch bei dem späteren Politiker Kuranda manchmal ersetzt, was ihm an Tiefe
fehlen mochte.

Kurandas Tätigkeit bei den Grenzboten ist in diesen Blättern wiederholt
besprochen worden.") Hier möge seine politische Wirksamkeit im engeren,
parlamentarischen Sinne überblickt werden. Sie begann im Revolutionsjahre.
Als die Wiener Mürzbewegung ausgebrochen und mit jugendlichem Ungestüni



*) Vgl. u. a. den Aufsatz von Grunow „Fünfzig Jahre", 1891 in Ur. 40 der Grenz¬
boten. — „Sie verdankten ihm ihre Bedeutung und er ihnen den guten Klang seines Namens,"
schreibt Wurzbach in seinem biographischen Lexikon, das ebenso wie die Allgemeine Deutsche
Biographie Kurandas Bedeutung ausführlich würdigt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/214>, abgerufen am 22.07.2024.