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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Der Wiesenzmm

Doch als das Lied zu Ende ging, da ward des Blinden Stimme plötzlich
von schlecht verhehltem Schmerz gewürgt, und trüb und müde klangen die
Worte aus:

Es war nun weh und peinlich zugleich zu sehen, wie der starke Mann
gebeugten Hauptes aufs Ofenbänkchen zurückwankte, indes die Tochter, die ihm
die Laute sorglich abgenommen, an seiner Seite stehen blieb und ihm sachte
und rin traurigem Lächeln das ergraute wirre Haar zu streicheln begann. Der
Blinde aber hielt das Antlitz in den knorrigen Händen verborgen und stöhnte
von Zeit zu Zeit ingrimmig auf.

Herr Pirkheimer raunte dem Freunde zu: "Laßt uns gehen. Ich weiß nit,
was ich dem Mann zu sagen hätt!"

Doch eh' er mit Dürer das Zimmer verließ, zog er sein Beutelchen und
legte ein blinkendes Goldstück vor sich auf den Tisch.

Im selben Augenblick bemerkte Herr Dürer, der sich nochmals umgesehen
hatte, wie ein Zucken schmerzlichen Unwillens das Antlitz des Mädchens überflog.
Da nickte er dem schönen Kinde freundlich und begütigend zu. Sie aber ließ
einen kurzen Blick voll scheuer Verwunderung über sein Antlitz streifen und
beugte sich dann rasch auf das Haupt des Vaters nieder.




Auf dem Heimweg schritten die beiden eine Weile schweigend neben¬
einander hin.

"Und nun, was meint Ihr zum Jörg Graff?" begann Herr Pirkheimer endlich.

"Sein Bildnis wird noch lange in mir leben." erwiderte Türer. "Die
Qual des Jörg ist nicht mit bloßem Mitleid zu ermessen. Hier ward ein starkes
und gesundes Leben jäh zerstört inmitten seines wilden Laufs. Denn so Ihr
einen Fluß gewaltsam hemmt, so tobt er aus und reißt die Ufer mit und bringt
Zerstörung übers Land. Ich fürcht', es wird im Schlimmen enden mit dem Jörg!"

"Und da ich Gleiches denke," nickte Herr Pirkheimer, "so hab' ich mich
vor etlicher Zeit bemüht, der schönen Tochter Schicksal ins Sichere zu lenken,
und hab' ihr angetragen, bei mir auf Schloß Neunhof in Dienst zu treten, da
ich ja anstelliges Magdzeug jederzeit brauchen kann. Sie hat aber zum eigenen
Schaden davon nichts wissen wollen, und auch der Alte erhub ein groß Geschrei
und meinte, er lasse sein Kind, dieweil er sich's aus dem Feuer gerettet, nit
eine Gasse weit von sich."

Herr Dürer entgegnete nichts. Es wollte ihm nicht behagen, daß der
Freund solcherart von des Blinden Tochter sprach und daß er gedacht-hatte.


Der Wiesenzmm

Doch als das Lied zu Ende ging, da ward des Blinden Stimme plötzlich
von schlecht verhehltem Schmerz gewürgt, und trüb und müde klangen die
Worte aus:

Es war nun weh und peinlich zugleich zu sehen, wie der starke Mann
gebeugten Hauptes aufs Ofenbänkchen zurückwankte, indes die Tochter, die ihm
die Laute sorglich abgenommen, an seiner Seite stehen blieb und ihm sachte
und rin traurigem Lächeln das ergraute wirre Haar zu streicheln begann. Der
Blinde aber hielt das Antlitz in den knorrigen Händen verborgen und stöhnte
von Zeit zu Zeit ingrimmig auf.

Herr Pirkheimer raunte dem Freunde zu: „Laßt uns gehen. Ich weiß nit,
was ich dem Mann zu sagen hätt!"

Doch eh' er mit Dürer das Zimmer verließ, zog er sein Beutelchen und
legte ein blinkendes Goldstück vor sich auf den Tisch.

Im selben Augenblick bemerkte Herr Dürer, der sich nochmals umgesehen
hatte, wie ein Zucken schmerzlichen Unwillens das Antlitz des Mädchens überflog.
Da nickte er dem schönen Kinde freundlich und begütigend zu. Sie aber ließ
einen kurzen Blick voll scheuer Verwunderung über sein Antlitz streifen und
beugte sich dann rasch auf das Haupt des Vaters nieder.




Auf dem Heimweg schritten die beiden eine Weile schweigend neben¬
einander hin.

„Und nun, was meint Ihr zum Jörg Graff?" begann Herr Pirkheimer endlich.

„Sein Bildnis wird noch lange in mir leben." erwiderte Türer. „Die
Qual des Jörg ist nicht mit bloßem Mitleid zu ermessen. Hier ward ein starkes
und gesundes Leben jäh zerstört inmitten seines wilden Laufs. Denn so Ihr
einen Fluß gewaltsam hemmt, so tobt er aus und reißt die Ufer mit und bringt
Zerstörung übers Land. Ich fürcht', es wird im Schlimmen enden mit dem Jörg!"

„Und da ich Gleiches denke," nickte Herr Pirkheimer, „so hab' ich mich
vor etlicher Zeit bemüht, der schönen Tochter Schicksal ins Sichere zu lenken,
und hab' ihr angetragen, bei mir auf Schloß Neunhof in Dienst zu treten, da
ich ja anstelliges Magdzeug jederzeit brauchen kann. Sie hat aber zum eigenen
Schaden davon nichts wissen wollen, und auch der Alte erhub ein groß Geschrei
und meinte, er lasse sein Kind, dieweil er sich's aus dem Feuer gerettet, nit
eine Gasse weit von sich."

Herr Dürer entgegnete nichts. Es wollte ihm nicht behagen, daß der
Freund solcherart von des Blinden Tochter sprach und daß er gedacht-hatte.


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[0194] Der Wiesenzmm Doch als das Lied zu Ende ging, da ward des Blinden Stimme plötzlich von schlecht verhehltem Schmerz gewürgt, und trüb und müde klangen die Worte aus: Es war nun weh und peinlich zugleich zu sehen, wie der starke Mann gebeugten Hauptes aufs Ofenbänkchen zurückwankte, indes die Tochter, die ihm die Laute sorglich abgenommen, an seiner Seite stehen blieb und ihm sachte und rin traurigem Lächeln das ergraute wirre Haar zu streicheln begann. Der Blinde aber hielt das Antlitz in den knorrigen Händen verborgen und stöhnte von Zeit zu Zeit ingrimmig auf. Herr Pirkheimer raunte dem Freunde zu: „Laßt uns gehen. Ich weiß nit, was ich dem Mann zu sagen hätt!" Doch eh' er mit Dürer das Zimmer verließ, zog er sein Beutelchen und legte ein blinkendes Goldstück vor sich auf den Tisch. Im selben Augenblick bemerkte Herr Dürer, der sich nochmals umgesehen hatte, wie ein Zucken schmerzlichen Unwillens das Antlitz des Mädchens überflog. Da nickte er dem schönen Kinde freundlich und begütigend zu. Sie aber ließ einen kurzen Blick voll scheuer Verwunderung über sein Antlitz streifen und beugte sich dann rasch auf das Haupt des Vaters nieder. Auf dem Heimweg schritten die beiden eine Weile schweigend neben¬ einander hin. „Und nun, was meint Ihr zum Jörg Graff?" begann Herr Pirkheimer endlich. „Sein Bildnis wird noch lange in mir leben." erwiderte Türer. „Die Qual des Jörg ist nicht mit bloßem Mitleid zu ermessen. Hier ward ein starkes und gesundes Leben jäh zerstört inmitten seines wilden Laufs. Denn so Ihr einen Fluß gewaltsam hemmt, so tobt er aus und reißt die Ufer mit und bringt Zerstörung übers Land. Ich fürcht', es wird im Schlimmen enden mit dem Jörg!" „Und da ich Gleiches denke," nickte Herr Pirkheimer, „so hab' ich mich vor etlicher Zeit bemüht, der schönen Tochter Schicksal ins Sichere zu lenken, und hab' ihr angetragen, bei mir auf Schloß Neunhof in Dienst zu treten, da ich ja anstelliges Magdzeug jederzeit brauchen kann. Sie hat aber zum eigenen Schaden davon nichts wissen wollen, und auch der Alte erhub ein groß Geschrei und meinte, er lasse sein Kind, dieweil er sich's aus dem Feuer gerettet, nit eine Gasse weit von sich." Herr Dürer entgegnete nichts. Es wollte ihm nicht behagen, daß der Freund solcherart von des Blinden Tochter sprach und daß er gedacht-hatte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/194>, abgerufen am 26.06.2024.