Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Förderung des Handwerks auf Kosten der Industrie?

eine Beschränkung des Gebrauches von Dampfmaschinen in Handwerksbetrieben.
Im Jahre 1849 verlangte der von einhundertsechzehn Handwerksmeistern aus
vierundzwanzig deutschen Einzelstaaten beschickte "Deutsche Handwerker- und
Gewerbekongreß" die Überweisung aller Handwerksarbeit in einer Fabrik an
die zünftigen Meister des Ortes, die Besteuerung der Fabriken zugunsten des
Handwerks, sowie die Aufstellung einer Geschäftsgrenze für die Fabriken und
den Handel mit Fabrikaten.

Auch auf der vom 17. bis 30. Januar 1849 in Berlin lagerten, von
den beiden königlichen preußischen Ministern für Handel und Justiz einberufenen
Handwerkerkonferenz bildete die Stellungnahme der verschiedenen Gewerbe zu
einander und zu den Fabriken einen wesentlichen Punkt der Beratung, und die
Bestimmung der preußischen Gewerbeordnung vom 9. Februar 1849 trug diesen
Forderungen insoweit Rechnung, als den Fabrikinhabern die Beschäftigung von
Handwerksgesellen nur dann gestattet wurde, wenn sie ihrer zur unmittelbaren
Erzeugung und Fertigstellung der Fabrikate bedurften.

In der gleichen Richtung lag später auch das Verlangen des
Anfangs der siebziger Jahre gegründeten Vereins selbständiger Handwerker und
Fabrikanten: "Trennung des Fabrikgesetzes von der eigentlichen Gewerbeordnung
sowie Ausarbeitung einer eigenen Fabrikgesetzgebung", und die Verhandlungen
des Reichstages haben vom Jahre 1873 ab den Mitgliedern des Hauses oft
Gelegenheit gegeben, auf den Gegensatz zwischen Fabrikbetrieb und Handwerk
hinzuweisen oder ihn zum Ausgangspunkt ihrer Forderungen zu machen.
Bezeichnend ist, daß hierbei in fast allen Fällen und ebenso von allen Seiten
der Begriff "Handwerk" unverkennbar mit "Kleinbetrieb" identifiziert wurde,
dem als Gegensatz der "Großbetrieb", die "Großindustrie", die "Fabrik" gegen¬
übergestellt wurde. Schon die Begründung zu dem dem Reichstage am 11. März
1831 vorgelegten Gesetzentwurfe, der zur Verabschiedung des Gesetzes vom
18. Juli 1881 geführt hat, wie auch die nachfolgenden Beratungen bieten
hierfür eine Fülle von Belegen; ebenso die Materialien zu den späteren Gewerbe¬
novellen von 1884, 1886 und 1887 und die darüber gepflogenen Neichstags-
verhandlungen. Sehr treffende Beweise sind in dieser Hinsicht ferner durch die
von der Leipziger Handelskammer für die Beratung des Deutschen Handels¬
tages herausgegebene Denkschrift über "Abgrenzung der Handels- und Hand¬
werks-(Gewerbe-) Organisationen oder Fabrik und Handwerk" erbracht worden.

Eine Definition der Begriffe "Handwerk" und "Fabrik" findet sich in keiner
der vorerwähnten Gewerbegesetze; auch die Hanowcrkernovelle von 1897 läßt
solche vermissen. An Bemühungen, sie zu schaffen, hat es im Reichstage zwar
nicht gefehlt, aber sie sind sämtlich an der Schwierigkeit gescheitert, eine
brauchbare Abgrenzung beider Begriffe, die fließend sind und sich stetig ändern,
festzustellen. Mit einer gewissen Leichtigkeit hat sich der Entwurf der Novelle
von 1897 über diese Schwierigkeit hinweggesetzt, indem in der Begründung zu
Z 100 (Zwangsinnungen) bemerkt ist: "Von einer Feststellung derjenigen


Förderung des Handwerks auf Kosten der Industrie?

eine Beschränkung des Gebrauches von Dampfmaschinen in Handwerksbetrieben.
Im Jahre 1849 verlangte der von einhundertsechzehn Handwerksmeistern aus
vierundzwanzig deutschen Einzelstaaten beschickte „Deutsche Handwerker- und
Gewerbekongreß" die Überweisung aller Handwerksarbeit in einer Fabrik an
die zünftigen Meister des Ortes, die Besteuerung der Fabriken zugunsten des
Handwerks, sowie die Aufstellung einer Geschäftsgrenze für die Fabriken und
den Handel mit Fabrikaten.

Auch auf der vom 17. bis 30. Januar 1849 in Berlin lagerten, von
den beiden königlichen preußischen Ministern für Handel und Justiz einberufenen
Handwerkerkonferenz bildete die Stellungnahme der verschiedenen Gewerbe zu
einander und zu den Fabriken einen wesentlichen Punkt der Beratung, und die
Bestimmung der preußischen Gewerbeordnung vom 9. Februar 1849 trug diesen
Forderungen insoweit Rechnung, als den Fabrikinhabern die Beschäftigung von
Handwerksgesellen nur dann gestattet wurde, wenn sie ihrer zur unmittelbaren
Erzeugung und Fertigstellung der Fabrikate bedurften.

In der gleichen Richtung lag später auch das Verlangen des
Anfangs der siebziger Jahre gegründeten Vereins selbständiger Handwerker und
Fabrikanten: „Trennung des Fabrikgesetzes von der eigentlichen Gewerbeordnung
sowie Ausarbeitung einer eigenen Fabrikgesetzgebung", und die Verhandlungen
des Reichstages haben vom Jahre 1873 ab den Mitgliedern des Hauses oft
Gelegenheit gegeben, auf den Gegensatz zwischen Fabrikbetrieb und Handwerk
hinzuweisen oder ihn zum Ausgangspunkt ihrer Forderungen zu machen.
Bezeichnend ist, daß hierbei in fast allen Fällen und ebenso von allen Seiten
der Begriff „Handwerk" unverkennbar mit „Kleinbetrieb" identifiziert wurde,
dem als Gegensatz der „Großbetrieb", die „Großindustrie", die „Fabrik" gegen¬
übergestellt wurde. Schon die Begründung zu dem dem Reichstage am 11. März
1831 vorgelegten Gesetzentwurfe, der zur Verabschiedung des Gesetzes vom
18. Juli 1881 geführt hat, wie auch die nachfolgenden Beratungen bieten
hierfür eine Fülle von Belegen; ebenso die Materialien zu den späteren Gewerbe¬
novellen von 1884, 1886 und 1887 und die darüber gepflogenen Neichstags-
verhandlungen. Sehr treffende Beweise sind in dieser Hinsicht ferner durch die
von der Leipziger Handelskammer für die Beratung des Deutschen Handels¬
tages herausgegebene Denkschrift über „Abgrenzung der Handels- und Hand¬
werks-(Gewerbe-) Organisationen oder Fabrik und Handwerk" erbracht worden.

Eine Definition der Begriffe „Handwerk" und „Fabrik" findet sich in keiner
der vorerwähnten Gewerbegesetze; auch die Hanowcrkernovelle von 1897 läßt
solche vermissen. An Bemühungen, sie zu schaffen, hat es im Reichstage zwar
nicht gefehlt, aber sie sind sämtlich an der Schwierigkeit gescheitert, eine
brauchbare Abgrenzung beider Begriffe, die fließend sind und sich stetig ändern,
festzustellen. Mit einer gewissen Leichtigkeit hat sich der Entwurf der Novelle
von 1897 über diese Schwierigkeit hinweggesetzt, indem in der Begründung zu
Z 100 (Zwangsinnungen) bemerkt ist: „Von einer Feststellung derjenigen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0176" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321259"/>
              <fw type="header" place="top"> Förderung des Handwerks auf Kosten der Industrie?</fw><lb/>
              <p xml:id="ID_689" prev="#ID_688"> eine Beschränkung des Gebrauches von Dampfmaschinen in Handwerksbetrieben.<lb/>
Im Jahre 1849 verlangte der von einhundertsechzehn Handwerksmeistern aus<lb/>
vierundzwanzig deutschen Einzelstaaten beschickte &#x201E;Deutsche Handwerker- und<lb/>
Gewerbekongreß" die Überweisung aller Handwerksarbeit in einer Fabrik an<lb/>
die zünftigen Meister des Ortes, die Besteuerung der Fabriken zugunsten des<lb/>
Handwerks, sowie die Aufstellung einer Geschäftsgrenze für die Fabriken und<lb/>
den Handel mit Fabrikaten.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_690"> Auch auf der vom 17. bis 30. Januar 1849 in Berlin lagerten, von<lb/>
den beiden königlichen preußischen Ministern für Handel und Justiz einberufenen<lb/>
Handwerkerkonferenz bildete die Stellungnahme der verschiedenen Gewerbe zu<lb/>
einander und zu den Fabriken einen wesentlichen Punkt der Beratung, und die<lb/>
Bestimmung der preußischen Gewerbeordnung vom 9. Februar 1849 trug diesen<lb/>
Forderungen insoweit Rechnung, als den Fabrikinhabern die Beschäftigung von<lb/>
Handwerksgesellen nur dann gestattet wurde, wenn sie ihrer zur unmittelbaren<lb/>
Erzeugung und Fertigstellung der Fabrikate bedurften.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_691"> In der gleichen Richtung lag später auch das Verlangen des<lb/>
Anfangs der siebziger Jahre gegründeten Vereins selbständiger Handwerker und<lb/>
Fabrikanten: &#x201E;Trennung des Fabrikgesetzes von der eigentlichen Gewerbeordnung<lb/>
sowie Ausarbeitung einer eigenen Fabrikgesetzgebung", und die Verhandlungen<lb/>
des Reichstages haben vom Jahre 1873 ab den Mitgliedern des Hauses oft<lb/>
Gelegenheit gegeben, auf den Gegensatz zwischen Fabrikbetrieb und Handwerk<lb/>
hinzuweisen oder ihn zum Ausgangspunkt ihrer Forderungen zu machen.<lb/>
Bezeichnend ist, daß hierbei in fast allen Fällen und ebenso von allen Seiten<lb/>
der Begriff &#x201E;Handwerk" unverkennbar mit &#x201E;Kleinbetrieb" identifiziert wurde,<lb/>
dem als Gegensatz der &#x201E;Großbetrieb", die &#x201E;Großindustrie", die &#x201E;Fabrik" gegen¬<lb/>
übergestellt wurde. Schon die Begründung zu dem dem Reichstage am 11. März<lb/>
1831 vorgelegten Gesetzentwurfe, der zur Verabschiedung des Gesetzes vom<lb/>
18. Juli 1881 geführt hat, wie auch die nachfolgenden Beratungen bieten<lb/>
hierfür eine Fülle von Belegen; ebenso die Materialien zu den späteren Gewerbe¬<lb/>
novellen von 1884, 1886 und 1887 und die darüber gepflogenen Neichstags-<lb/>
verhandlungen. Sehr treffende Beweise sind in dieser Hinsicht ferner durch die<lb/>
von der Leipziger Handelskammer für die Beratung des Deutschen Handels¬<lb/>
tages herausgegebene Denkschrift über &#x201E;Abgrenzung der Handels- und Hand¬<lb/>
werks-(Gewerbe-) Organisationen oder Fabrik und Handwerk" erbracht worden.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_692" next="#ID_693"> Eine Definition der Begriffe &#x201E;Handwerk" und &#x201E;Fabrik" findet sich in keiner<lb/>
der vorerwähnten Gewerbegesetze; auch die Hanowcrkernovelle von 1897 läßt<lb/>
solche vermissen. An Bemühungen, sie zu schaffen, hat es im Reichstage zwar<lb/>
nicht gefehlt, aber sie sind sämtlich an der Schwierigkeit gescheitert, eine<lb/>
brauchbare Abgrenzung beider Begriffe, die fließend sind und sich stetig ändern,<lb/>
festzustellen. Mit einer gewissen Leichtigkeit hat sich der Entwurf der Novelle<lb/>
von 1897 über diese Schwierigkeit hinweggesetzt, indem in der Begründung zu<lb/>
Z 100 (Zwangsinnungen) bemerkt ist: &#x201E;Von einer Feststellung derjenigen</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0176] Förderung des Handwerks auf Kosten der Industrie? eine Beschränkung des Gebrauches von Dampfmaschinen in Handwerksbetrieben. Im Jahre 1849 verlangte der von einhundertsechzehn Handwerksmeistern aus vierundzwanzig deutschen Einzelstaaten beschickte „Deutsche Handwerker- und Gewerbekongreß" die Überweisung aller Handwerksarbeit in einer Fabrik an die zünftigen Meister des Ortes, die Besteuerung der Fabriken zugunsten des Handwerks, sowie die Aufstellung einer Geschäftsgrenze für die Fabriken und den Handel mit Fabrikaten. Auch auf der vom 17. bis 30. Januar 1849 in Berlin lagerten, von den beiden königlichen preußischen Ministern für Handel und Justiz einberufenen Handwerkerkonferenz bildete die Stellungnahme der verschiedenen Gewerbe zu einander und zu den Fabriken einen wesentlichen Punkt der Beratung, und die Bestimmung der preußischen Gewerbeordnung vom 9. Februar 1849 trug diesen Forderungen insoweit Rechnung, als den Fabrikinhabern die Beschäftigung von Handwerksgesellen nur dann gestattet wurde, wenn sie ihrer zur unmittelbaren Erzeugung und Fertigstellung der Fabrikate bedurften. In der gleichen Richtung lag später auch das Verlangen des Anfangs der siebziger Jahre gegründeten Vereins selbständiger Handwerker und Fabrikanten: „Trennung des Fabrikgesetzes von der eigentlichen Gewerbeordnung sowie Ausarbeitung einer eigenen Fabrikgesetzgebung", und die Verhandlungen des Reichstages haben vom Jahre 1873 ab den Mitgliedern des Hauses oft Gelegenheit gegeben, auf den Gegensatz zwischen Fabrikbetrieb und Handwerk hinzuweisen oder ihn zum Ausgangspunkt ihrer Forderungen zu machen. Bezeichnend ist, daß hierbei in fast allen Fällen und ebenso von allen Seiten der Begriff „Handwerk" unverkennbar mit „Kleinbetrieb" identifiziert wurde, dem als Gegensatz der „Großbetrieb", die „Großindustrie", die „Fabrik" gegen¬ übergestellt wurde. Schon die Begründung zu dem dem Reichstage am 11. März 1831 vorgelegten Gesetzentwurfe, der zur Verabschiedung des Gesetzes vom 18. Juli 1881 geführt hat, wie auch die nachfolgenden Beratungen bieten hierfür eine Fülle von Belegen; ebenso die Materialien zu den späteren Gewerbe¬ novellen von 1884, 1886 und 1887 und die darüber gepflogenen Neichstags- verhandlungen. Sehr treffende Beweise sind in dieser Hinsicht ferner durch die von der Leipziger Handelskammer für die Beratung des Deutschen Handels¬ tages herausgegebene Denkschrift über „Abgrenzung der Handels- und Hand¬ werks-(Gewerbe-) Organisationen oder Fabrik und Handwerk" erbracht worden. Eine Definition der Begriffe „Handwerk" und „Fabrik" findet sich in keiner der vorerwähnten Gewerbegesetze; auch die Hanowcrkernovelle von 1897 läßt solche vermissen. An Bemühungen, sie zu schaffen, hat es im Reichstage zwar nicht gefehlt, aber sie sind sämtlich an der Schwierigkeit gescheitert, eine brauchbare Abgrenzung beider Begriffe, die fließend sind und sich stetig ändern, festzustellen. Mit einer gewissen Leichtigkeit hat sich der Entwurf der Novelle von 1897 über diese Schwierigkeit hinweggesetzt, indem in der Begründung zu Z 100 (Zwangsinnungen) bemerkt ist: „Von einer Feststellung derjenigen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/176
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/176>, abgerufen am 26.06.2024.