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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Die Jungliberalcn

Freilich, tatsächlich ist der Reichsverband eine feste Stütze der Bassermann-
schen Politik geworden. Die deutsche Jugend dieses Jahrhunderts ist -- im
Gegensatze zu der Jugend der achtziger Jahre -- im wesentlichen liberal und
demokratisch gesonnen, und so kann es nicht wunder nehmen, daß der liberale
Inhalt des Parteiprogramms von den Jungliberalen mit besonderer Ent¬
schiedenheit betont wurde. Dazu kommt, daß in denjenigen Landesteilen, die
die Stütze des rechten Flügels der Partei darstellen, die Parteiorganisationen
dem Aufkommen der Jugendvereine die allergrößten Schwierigkeiten entgegen¬
stellten. In Schleswig - Holstein gibt es z. B. keinen dem Reichsverbande
angeschlossenen Jugendverein, in Westfalen nur ganz wenige. Entweder ist die
Jugend auch in diesen Landesteilen liberal gesonnen, dann muß das System
der alten Organisationen über kurz oder lang zusammenbrechen -- oder sie ist es
nicht; dann wäre es Sache der Landesteile gewesen, ihre Jugend dem Reichs¬
verbande zuzuführen, um auch deren Anschauungen Geltung zu verschaffen.

Die Ziele der Bewegung erkennt man am besten aus den Resolutionen,
die auf ihren Vertretertagen gefaßt worden sind. Zunächst tritt aus ihnen die
Zuverlässigkeit und Lebendigkeit hervor, mit der die Jugend von jeher für die
nationalen Forderungen eingetreten ist. Daß das Deutsche Reich eine kraftvolle
auswärtige Politik zu führen hat, daß Heer und Flotte auf der Höhe ihrer
Aufgaben zu erhalten sind, daß die Kolonien eine Notwendigkeit für unser Volk
darstellen, daß die Polenpolitik mit aller Entschiedenheit weiter zu führen ist,
und daß alle ultramontanen Machtgelüste eine Schädigung unseres Staatslebens
bedeuten, sind für jeden Jungliberalen Selbstverständlichkeiten, die immer und
immer wieder entschiedenen Ausdruck fanden.

Nicht weniger energisch allerdings forderte man eine liberale Politik der
Regierung. Die jungliberalen Resolutionen, die sich mit liberalen Forderungen
befassen, sind von dem Gedanken durchzogen, daß das deutsche Volk durch die
staunenswerte Arbeit, die es in diesen letzten Jahrzehnten unserer Entwicklung
geleistet hat, mündig geworden ist, daß das Deutschland des zwanzigsten Jahr¬
hunderts nicht nach Grundsätzen regiert werden könne, die für den Agrarstaat
Preußen gepaßt haben mögen, daß nur eine wahrhaft liberale Politik die Menge
dazu würde bringen können, sich von den Irrlehren der Sozialdemokratie ab¬
zuwenden. Und in dein Bewußtsein, daß eine liberale Politik nur mit Hilfe
einer starken liberalen Partei durchzuführen sei, haben die Jungliberalen auch
wiederholt darauf hingewiesen, daß ihr Ideal die Einigung aller Liberalen sei.
Dabei sind sie sich ihres Unterschiedes zum Freisinn stets bewußt gewesen; die
starke Betonung der nationalen Forderungen -- hierin neigen die Jungliberalen
eher zu den Altdeutschen -- ist bereits erwähnt worden; noch 1910 haben sie
sich in Köln bedingungslos zur Schutzzollpolitik bekannt.

Von den liberalen Forderungen ist bereits die grundsätzliche Forderung
der Übertragung des Neichstagswahlrechts auf die Einzelstaaten betont worden.
Hierhin gehören ferner die 1904 in Leipzig beschlossenen Richtlinien für ein


Die Jungliberalcn

Freilich, tatsächlich ist der Reichsverband eine feste Stütze der Bassermann-
schen Politik geworden. Die deutsche Jugend dieses Jahrhunderts ist — im
Gegensatze zu der Jugend der achtziger Jahre — im wesentlichen liberal und
demokratisch gesonnen, und so kann es nicht wunder nehmen, daß der liberale
Inhalt des Parteiprogramms von den Jungliberalen mit besonderer Ent¬
schiedenheit betont wurde. Dazu kommt, daß in denjenigen Landesteilen, die
die Stütze des rechten Flügels der Partei darstellen, die Parteiorganisationen
dem Aufkommen der Jugendvereine die allergrößten Schwierigkeiten entgegen¬
stellten. In Schleswig - Holstein gibt es z. B. keinen dem Reichsverbande
angeschlossenen Jugendverein, in Westfalen nur ganz wenige. Entweder ist die
Jugend auch in diesen Landesteilen liberal gesonnen, dann muß das System
der alten Organisationen über kurz oder lang zusammenbrechen — oder sie ist es
nicht; dann wäre es Sache der Landesteile gewesen, ihre Jugend dem Reichs¬
verbande zuzuführen, um auch deren Anschauungen Geltung zu verschaffen.

Die Ziele der Bewegung erkennt man am besten aus den Resolutionen,
die auf ihren Vertretertagen gefaßt worden sind. Zunächst tritt aus ihnen die
Zuverlässigkeit und Lebendigkeit hervor, mit der die Jugend von jeher für die
nationalen Forderungen eingetreten ist. Daß das Deutsche Reich eine kraftvolle
auswärtige Politik zu führen hat, daß Heer und Flotte auf der Höhe ihrer
Aufgaben zu erhalten sind, daß die Kolonien eine Notwendigkeit für unser Volk
darstellen, daß die Polenpolitik mit aller Entschiedenheit weiter zu führen ist,
und daß alle ultramontanen Machtgelüste eine Schädigung unseres Staatslebens
bedeuten, sind für jeden Jungliberalen Selbstverständlichkeiten, die immer und
immer wieder entschiedenen Ausdruck fanden.

Nicht weniger energisch allerdings forderte man eine liberale Politik der
Regierung. Die jungliberalen Resolutionen, die sich mit liberalen Forderungen
befassen, sind von dem Gedanken durchzogen, daß das deutsche Volk durch die
staunenswerte Arbeit, die es in diesen letzten Jahrzehnten unserer Entwicklung
geleistet hat, mündig geworden ist, daß das Deutschland des zwanzigsten Jahr¬
hunderts nicht nach Grundsätzen regiert werden könne, die für den Agrarstaat
Preußen gepaßt haben mögen, daß nur eine wahrhaft liberale Politik die Menge
dazu würde bringen können, sich von den Irrlehren der Sozialdemokratie ab¬
zuwenden. Und in dein Bewußtsein, daß eine liberale Politik nur mit Hilfe
einer starken liberalen Partei durchzuführen sei, haben die Jungliberalen auch
wiederholt darauf hingewiesen, daß ihr Ideal die Einigung aller Liberalen sei.
Dabei sind sie sich ihres Unterschiedes zum Freisinn stets bewußt gewesen; die
starke Betonung der nationalen Forderungen — hierin neigen die Jungliberalen
eher zu den Altdeutschen — ist bereits erwähnt worden; noch 1910 haben sie
sich in Köln bedingungslos zur Schutzzollpolitik bekannt.

Von den liberalen Forderungen ist bereits die grundsätzliche Forderung
der Übertragung des Neichstagswahlrechts auf die Einzelstaaten betont worden.
Hierhin gehören ferner die 1904 in Leipzig beschlossenen Richtlinien für ein


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[0169] Die Jungliberalcn Freilich, tatsächlich ist der Reichsverband eine feste Stütze der Bassermann- schen Politik geworden. Die deutsche Jugend dieses Jahrhunderts ist — im Gegensatze zu der Jugend der achtziger Jahre — im wesentlichen liberal und demokratisch gesonnen, und so kann es nicht wunder nehmen, daß der liberale Inhalt des Parteiprogramms von den Jungliberalen mit besonderer Ent¬ schiedenheit betont wurde. Dazu kommt, daß in denjenigen Landesteilen, die die Stütze des rechten Flügels der Partei darstellen, die Parteiorganisationen dem Aufkommen der Jugendvereine die allergrößten Schwierigkeiten entgegen¬ stellten. In Schleswig - Holstein gibt es z. B. keinen dem Reichsverbande angeschlossenen Jugendverein, in Westfalen nur ganz wenige. Entweder ist die Jugend auch in diesen Landesteilen liberal gesonnen, dann muß das System der alten Organisationen über kurz oder lang zusammenbrechen — oder sie ist es nicht; dann wäre es Sache der Landesteile gewesen, ihre Jugend dem Reichs¬ verbande zuzuführen, um auch deren Anschauungen Geltung zu verschaffen. Die Ziele der Bewegung erkennt man am besten aus den Resolutionen, die auf ihren Vertretertagen gefaßt worden sind. Zunächst tritt aus ihnen die Zuverlässigkeit und Lebendigkeit hervor, mit der die Jugend von jeher für die nationalen Forderungen eingetreten ist. Daß das Deutsche Reich eine kraftvolle auswärtige Politik zu führen hat, daß Heer und Flotte auf der Höhe ihrer Aufgaben zu erhalten sind, daß die Kolonien eine Notwendigkeit für unser Volk darstellen, daß die Polenpolitik mit aller Entschiedenheit weiter zu führen ist, und daß alle ultramontanen Machtgelüste eine Schädigung unseres Staatslebens bedeuten, sind für jeden Jungliberalen Selbstverständlichkeiten, die immer und immer wieder entschiedenen Ausdruck fanden. Nicht weniger energisch allerdings forderte man eine liberale Politik der Regierung. Die jungliberalen Resolutionen, die sich mit liberalen Forderungen befassen, sind von dem Gedanken durchzogen, daß das deutsche Volk durch die staunenswerte Arbeit, die es in diesen letzten Jahrzehnten unserer Entwicklung geleistet hat, mündig geworden ist, daß das Deutschland des zwanzigsten Jahr¬ hunderts nicht nach Grundsätzen regiert werden könne, die für den Agrarstaat Preußen gepaßt haben mögen, daß nur eine wahrhaft liberale Politik die Menge dazu würde bringen können, sich von den Irrlehren der Sozialdemokratie ab¬ zuwenden. Und in dein Bewußtsein, daß eine liberale Politik nur mit Hilfe einer starken liberalen Partei durchzuführen sei, haben die Jungliberalen auch wiederholt darauf hingewiesen, daß ihr Ideal die Einigung aller Liberalen sei. Dabei sind sie sich ihres Unterschiedes zum Freisinn stets bewußt gewesen; die starke Betonung der nationalen Forderungen — hierin neigen die Jungliberalen eher zu den Altdeutschen — ist bereits erwähnt worden; noch 1910 haben sie sich in Köln bedingungslos zur Schutzzollpolitik bekannt. Von den liberalen Forderungen ist bereits die grundsätzliche Forderung der Übertragung des Neichstagswahlrechts auf die Einzelstaaten betont worden. Hierhin gehören ferner die 1904 in Leipzig beschlossenen Richtlinien für ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/169>, abgerufen am 26.06.2024.