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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Zahl darstellt. Die Massen des Mittelstandes und der Arbeiter können
wir nur gleichzeitig gewinnen, indem wir ihnen ein beiden gemeinsames
Ziel und den Weg. es zu erreichen, zeigen. Gelingt es der nationalliberalen
Partei, auf dem bevorstehenden Vertretertage ein solches Ziel klar und deutlich
herauszuarbeiten und die Fraktionen des Reichstages und der Landtage zu
zwingen, freimütig und tapfer diesem Ziel durch ihre Einwirkung auf die Gesetz¬
gebung zuzusteuern, dann muß sich auch wieder das Maß von Vertrauen für
die Partei im Laude ansammeln, das notwendig ist, um Wahlschlachten siegreich
gegen den roten und schwarzen Internationalismus, gegen Sozialdemokraten
und Ultramontane, schlagen zu tourner. Eine Partei, die lediglich eine Ver¬
einigung von Wirtschaftsinteressenten wäre, verdiente bei aller Bedeutung der
Wirtschaft für das nationale Leben den Namen der nationalliberalen Partei
nicht." "




Wie nötig die Nation es hat, sich auf die Grundsätze des Reichsbestandes
zu besinnen, damit das Reich nicht in Gefahr geriete, lehren uns von neuem
die Vorgänge in Bayern. Es wurde an dieser Stelle schon darauf hingewiesen,
mit welcher zielbewußter Frische der greise Freiherr von Hertling zum Staats¬
steuer griff. Nun hat er mit seinem Jesuitenerlaß der Regierungsmethode
in Bayern den Stempel der Zentrumsherrschaft aufgedrückt.

Es handelt sich um folgendes: Die ausländischen Jesuiten, die erst im
Jahre 1848 in das Gebiet des heutigen Deutschen Reichs einwanderten, wurden
durch das Reichsgesetz vom 4. Juli 1872, das sogenannte Jesuitengesetz, wieder
daraus verwiesen, die einheimischen aber unter Polizeiaufsicht gestellt und ihnen die
Ordenstätigkeit verboten. Gegen dies Gesetz, insbesondere gegen seinen
Paragraphen 2 ist seitens des Zentrums wiederholt Sturm gelaufen worden.
Zuletzt, am 1. Februar 1899, wurde mit Hilfe der Sozialdemokraten seitens des
Reichstages ein Gesetzentwurf angenommen, wodurch der Z 2 aufgehoben,
d. h. wodurch ausländischen Jesuiten wieder erlaubt wurde, das Reichsgebiet
zu betreten; der Bundesrat stimmte, nachdem Preußen seine Anschauungen
gewechselt hatte, einem entsprechenden Entwurf am 8. März 1904 zu. Damals
wurden nun die preußischen Oberpräsidenten angewiesen, das Gesetz in einem
"milden und versöhnlichen Sinne" auszulegen, freilich mit der Einschränkung,
"daß durch das Gesetz vom 8. März 1904 nur § 2 des Gesetzes vom 4. Juli 1872,
d. h. die Befugnis zur Reichsverweisung ausländischer und zur Internierung
inländischer Jesuiten aufgehoben, im übrigen aber das Gesetz, insbesondere Z 1,
formell und materiell unberührt geblieben sei. Gemäß dem zur Ausführung
dieses Gesetzes ergangenen Bundesratsbeschlusse vom S.Juli 1872 sei den
Jesuiten nach wie vor die Ausübung einer Ordenstätigkeit, sowie die Abhaltung
von Missionen untersagt. Als Ausübung der Ordenstätigkeit sei anzusehen
jede priesterliche und seelsorgerische Tätigkeit, insbesondere Predigt, Beichte,
Absolution, Messe und Sakramentsverwaltung. nachgelassen sei den Jesuiten


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Zahl darstellt. Die Massen des Mittelstandes und der Arbeiter können
wir nur gleichzeitig gewinnen, indem wir ihnen ein beiden gemeinsames
Ziel und den Weg. es zu erreichen, zeigen. Gelingt es der nationalliberalen
Partei, auf dem bevorstehenden Vertretertage ein solches Ziel klar und deutlich
herauszuarbeiten und die Fraktionen des Reichstages und der Landtage zu
zwingen, freimütig und tapfer diesem Ziel durch ihre Einwirkung auf die Gesetz¬
gebung zuzusteuern, dann muß sich auch wieder das Maß von Vertrauen für
die Partei im Laude ansammeln, das notwendig ist, um Wahlschlachten siegreich
gegen den roten und schwarzen Internationalismus, gegen Sozialdemokraten
und Ultramontane, schlagen zu tourner. Eine Partei, die lediglich eine Ver¬
einigung von Wirtschaftsinteressenten wäre, verdiente bei aller Bedeutung der
Wirtschaft für das nationale Leben den Namen der nationalliberalen Partei
nicht.» »




Wie nötig die Nation es hat, sich auf die Grundsätze des Reichsbestandes
zu besinnen, damit das Reich nicht in Gefahr geriete, lehren uns von neuem
die Vorgänge in Bayern. Es wurde an dieser Stelle schon darauf hingewiesen,
mit welcher zielbewußter Frische der greise Freiherr von Hertling zum Staats¬
steuer griff. Nun hat er mit seinem Jesuitenerlaß der Regierungsmethode
in Bayern den Stempel der Zentrumsherrschaft aufgedrückt.

Es handelt sich um folgendes: Die ausländischen Jesuiten, die erst im
Jahre 1848 in das Gebiet des heutigen Deutschen Reichs einwanderten, wurden
durch das Reichsgesetz vom 4. Juli 1872, das sogenannte Jesuitengesetz, wieder
daraus verwiesen, die einheimischen aber unter Polizeiaufsicht gestellt und ihnen die
Ordenstätigkeit verboten. Gegen dies Gesetz, insbesondere gegen seinen
Paragraphen 2 ist seitens des Zentrums wiederholt Sturm gelaufen worden.
Zuletzt, am 1. Februar 1899, wurde mit Hilfe der Sozialdemokraten seitens des
Reichstages ein Gesetzentwurf angenommen, wodurch der Z 2 aufgehoben,
d. h. wodurch ausländischen Jesuiten wieder erlaubt wurde, das Reichsgebiet
zu betreten; der Bundesrat stimmte, nachdem Preußen seine Anschauungen
gewechselt hatte, einem entsprechenden Entwurf am 8. März 1904 zu. Damals
wurden nun die preußischen Oberpräsidenten angewiesen, das Gesetz in einem
„milden und versöhnlichen Sinne" auszulegen, freilich mit der Einschränkung,
„daß durch das Gesetz vom 8. März 1904 nur § 2 des Gesetzes vom 4. Juli 1872,
d. h. die Befugnis zur Reichsverweisung ausländischer und zur Internierung
inländischer Jesuiten aufgehoben, im übrigen aber das Gesetz, insbesondere Z 1,
formell und materiell unberührt geblieben sei. Gemäß dem zur Ausführung
dieses Gesetzes ergangenen Bundesratsbeschlusse vom S.Juli 1872 sei den
Jesuiten nach wie vor die Ausübung einer Ordenstätigkeit, sowie die Abhaltung
von Missionen untersagt. Als Ausübung der Ordenstätigkeit sei anzusehen
jede priesterliche und seelsorgerische Tätigkeit, insbesondere Predigt, Beichte,
Absolution, Messe und Sakramentsverwaltung. nachgelassen sei den Jesuiten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/158>, abgerufen am 26.06.2024.