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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Briefe aus Gswsien

Vorstellung machen kannst: Pinien, Kiefern, Palmen, Bambus, Ahorn, Azaleen,
mächtige Hortensienbüsche, Biwa- und Kakibäume in buntem Durcheinander,
alle zehn Schritt ein neuer Blick in eines der zahllosen Täter, die das Gebirge
nach allen Richtungen hin durchfurchen! Das Schönste aber harrte unser oben:
der riesengroße Friedhof, in einem Walde tausendjähriger Kiefern und Tannen,
wo zahllose Fürstengeschlechter vergangener Jahrhunderte, die hervorragendsten
Feldherren, Dichter und Künstler Japans ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.
Auch das Grabmal des Kobo Daishi, des eigentlichen Begründers des Buddhismus
in Japan und Erbauers des Klosters, befindet sich hier und daneben eine ihm
geweihte Kapelle. Koza, der ein frommer Buddhist ist, weihte ihm eine Kerze,
und ich tat ein gleiches. Unter Verlesung einer kurzen Gebetsformel zündete
sie der Priester an und steckte sie auf einen Leuchter vor dem Altar des Heiligen.
Der heilige Friede und die andachtsvolle Weihe dieses einzigschönen Totenhaines
wüßte ich mit nichts ähnlichem zu vergleichen; fast möchte man die glücklich
preisen, die hier zur ewigen Ruhe gebettet sind. Hier ist die Ruhe des
nirvana.

Auch Ise war hochinteressant, wenn auch in ganz anderer Art, denn die
dortigen Tempel bieten nichts Sehenswertes: es sind ganz schmucklose Bauten
aus weißem Holz, die alle zwanzig Jahre niedergerissen und durch neue ersetzt
werden. Das Holz der früheren Tempel wird in feine Späne zerhackt, die als
Amulette verteilt werden. Wir ließen uns dort den uralten heiligen Kagura-
tanz aufführen. Zwei Priester in festlichen? Ornate verlasen die einleitenden
Gebete, worauf acht dem Tempel geweihte Jungfrauen in ganz eigentümlicher
althergebrachter Tracht einen feierlichen Tanz aufführten und die mitgebrachten
Gaben: Sake, Reis, Biwafrüchte und Zweige des heiligen Sakcckibaumes,
weihten. Sechs Shintopriester machten die Musik auf Flöten und Trommeln
dazu.

Von Ise aus machten wir einen köstlichen Ausflug nach Toba und Futami,
am bergigen und herrlich bewaldeten Meeresstrande. Die japanische Landschaft
beschreiben zu wollen, ist ein vergebliches Bemühen: man muß sie empfinden
und dichterisch wiedergeben können -- und das ist leider nicht jedermanns Sache.
Die Natur ist hier ein einzigartiges Kunstwerk der Schöpfung, Naturgenuß ist
hier Kunstgenuß -- nur der Künstler und der Dichter kann das wiedergeben,
was hier die Seele des Beschauenden ersüllt. Es ist dem Traume gleich, der
in Nichts zerrinnt, wenn unzarte Hände ihn zu greifen suchen; daher bleibt uns
gewöhnlichen Sterblichen nur übrig, zu sehen und zu genießen und uns glücklich
zu preisen, so Herrliches mit eigenen Augen schauen zu können . . .




Aus einem Brief an Frau Clara Curtius.

.... Das Wenige, was wir im Fluge von Amerika kennen lernen konnten,
machte einen gewaltigen, oft verblüffenden Eindruck auf uns. Interessant war


Briefe aus Gswsien

Vorstellung machen kannst: Pinien, Kiefern, Palmen, Bambus, Ahorn, Azaleen,
mächtige Hortensienbüsche, Biwa- und Kakibäume in buntem Durcheinander,
alle zehn Schritt ein neuer Blick in eines der zahllosen Täter, die das Gebirge
nach allen Richtungen hin durchfurchen! Das Schönste aber harrte unser oben:
der riesengroße Friedhof, in einem Walde tausendjähriger Kiefern und Tannen,
wo zahllose Fürstengeschlechter vergangener Jahrhunderte, die hervorragendsten
Feldherren, Dichter und Künstler Japans ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.
Auch das Grabmal des Kobo Daishi, des eigentlichen Begründers des Buddhismus
in Japan und Erbauers des Klosters, befindet sich hier und daneben eine ihm
geweihte Kapelle. Koza, der ein frommer Buddhist ist, weihte ihm eine Kerze,
und ich tat ein gleiches. Unter Verlesung einer kurzen Gebetsformel zündete
sie der Priester an und steckte sie auf einen Leuchter vor dem Altar des Heiligen.
Der heilige Friede und die andachtsvolle Weihe dieses einzigschönen Totenhaines
wüßte ich mit nichts ähnlichem zu vergleichen; fast möchte man die glücklich
preisen, die hier zur ewigen Ruhe gebettet sind. Hier ist die Ruhe des
nirvana.

Auch Ise war hochinteressant, wenn auch in ganz anderer Art, denn die
dortigen Tempel bieten nichts Sehenswertes: es sind ganz schmucklose Bauten
aus weißem Holz, die alle zwanzig Jahre niedergerissen und durch neue ersetzt
werden. Das Holz der früheren Tempel wird in feine Späne zerhackt, die als
Amulette verteilt werden. Wir ließen uns dort den uralten heiligen Kagura-
tanz aufführen. Zwei Priester in festlichen? Ornate verlasen die einleitenden
Gebete, worauf acht dem Tempel geweihte Jungfrauen in ganz eigentümlicher
althergebrachter Tracht einen feierlichen Tanz aufführten und die mitgebrachten
Gaben: Sake, Reis, Biwafrüchte und Zweige des heiligen Sakcckibaumes,
weihten. Sechs Shintopriester machten die Musik auf Flöten und Trommeln
dazu.

Von Ise aus machten wir einen köstlichen Ausflug nach Toba und Futami,
am bergigen und herrlich bewaldeten Meeresstrande. Die japanische Landschaft
beschreiben zu wollen, ist ein vergebliches Bemühen: man muß sie empfinden
und dichterisch wiedergeben können — und das ist leider nicht jedermanns Sache.
Die Natur ist hier ein einzigartiges Kunstwerk der Schöpfung, Naturgenuß ist
hier Kunstgenuß — nur der Künstler und der Dichter kann das wiedergeben,
was hier die Seele des Beschauenden ersüllt. Es ist dem Traume gleich, der
in Nichts zerrinnt, wenn unzarte Hände ihn zu greifen suchen; daher bleibt uns
gewöhnlichen Sterblichen nur übrig, zu sehen und zu genießen und uns glücklich
zu preisen, so Herrliches mit eigenen Augen schauen zu können . . .




Aus einem Brief an Frau Clara Curtius.

.... Das Wenige, was wir im Fluge von Amerika kennen lernen konnten,
machte einen gewaltigen, oft verblüffenden Eindruck auf uns. Interessant war


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[0144] Briefe aus Gswsien Vorstellung machen kannst: Pinien, Kiefern, Palmen, Bambus, Ahorn, Azaleen, mächtige Hortensienbüsche, Biwa- und Kakibäume in buntem Durcheinander, alle zehn Schritt ein neuer Blick in eines der zahllosen Täter, die das Gebirge nach allen Richtungen hin durchfurchen! Das Schönste aber harrte unser oben: der riesengroße Friedhof, in einem Walde tausendjähriger Kiefern und Tannen, wo zahllose Fürstengeschlechter vergangener Jahrhunderte, die hervorragendsten Feldherren, Dichter und Künstler Japans ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Auch das Grabmal des Kobo Daishi, des eigentlichen Begründers des Buddhismus in Japan und Erbauers des Klosters, befindet sich hier und daneben eine ihm geweihte Kapelle. Koza, der ein frommer Buddhist ist, weihte ihm eine Kerze, und ich tat ein gleiches. Unter Verlesung einer kurzen Gebetsformel zündete sie der Priester an und steckte sie auf einen Leuchter vor dem Altar des Heiligen. Der heilige Friede und die andachtsvolle Weihe dieses einzigschönen Totenhaines wüßte ich mit nichts ähnlichem zu vergleichen; fast möchte man die glücklich preisen, die hier zur ewigen Ruhe gebettet sind. Hier ist die Ruhe des nirvana. Auch Ise war hochinteressant, wenn auch in ganz anderer Art, denn die dortigen Tempel bieten nichts Sehenswertes: es sind ganz schmucklose Bauten aus weißem Holz, die alle zwanzig Jahre niedergerissen und durch neue ersetzt werden. Das Holz der früheren Tempel wird in feine Späne zerhackt, die als Amulette verteilt werden. Wir ließen uns dort den uralten heiligen Kagura- tanz aufführen. Zwei Priester in festlichen? Ornate verlasen die einleitenden Gebete, worauf acht dem Tempel geweihte Jungfrauen in ganz eigentümlicher althergebrachter Tracht einen feierlichen Tanz aufführten und die mitgebrachten Gaben: Sake, Reis, Biwafrüchte und Zweige des heiligen Sakcckibaumes, weihten. Sechs Shintopriester machten die Musik auf Flöten und Trommeln dazu. Von Ise aus machten wir einen köstlichen Ausflug nach Toba und Futami, am bergigen und herrlich bewaldeten Meeresstrande. Die japanische Landschaft beschreiben zu wollen, ist ein vergebliches Bemühen: man muß sie empfinden und dichterisch wiedergeben können — und das ist leider nicht jedermanns Sache. Die Natur ist hier ein einzigartiges Kunstwerk der Schöpfung, Naturgenuß ist hier Kunstgenuß — nur der Künstler und der Dichter kann das wiedergeben, was hier die Seele des Beschauenden ersüllt. Es ist dem Traume gleich, der in Nichts zerrinnt, wenn unzarte Hände ihn zu greifen suchen; daher bleibt uns gewöhnlichen Sterblichen nur übrig, zu sehen und zu genießen und uns glücklich zu preisen, so Herrliches mit eigenen Augen schauen zu können . . . Aus einem Brief an Frau Clara Curtius. .... Das Wenige, was wir im Fluge von Amerika kennen lernen konnten, machte einen gewaltigen, oft verblüffenden Eindruck auf uns. Interessant war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/144>, abgerufen am 23.07.2024.