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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Das Problem der Wahlreform in Ungarn

noch keine stehenden Heere gab, den: Fürsten Rekruten und Subsidien und ließen
sich dasür, wenn sie den Schlüssel der Lage in Händen hielten, ihre alten
ständischen Freiheiten bestätigen. In den anderen Habsburgischen Erblündern
hatte die Schaffung einer kaiserlichen Armee durch Wallenstein der Macht der
Stände unwiderruflich ein Ende gemacht, die freilich größtenteils schon in den
Zeiten der Gegenreformation gebrochen war. Auch in Ungarn hatte die Macht
der Stände in der zentralistisch-absolutistischen Periode seit Maria Theresia
manche Einbuße erfahren; aus Gründen, die zu erläutern hier zu weit führen
würde, war die Überlieferung der ständischen Politik dort aber lebendig geblieben
und hatte sich den neuen Verfassungsformen angepaßt.

Im Jahre 1867 war eine Versöhnung zwischen der Krone und den
Magyaren zustande gekommen, und das Verhältnis Ungarns zu den übrigen
Teilen der Monarchie wurde im "Ausgleich" festgelegt. Zum Teil liegt es an
der Mangelhaftigkeit dieses Instruments, daß trotzdem neue Zusammenstöße
zwischen der Krone und dem Parlament nicht ausblieben. Das Parlament stellte
in der oben angedeuteten Richtung Forderungen, die der Monarch nicht zugestehen
wollte; und nichts lag näher als der Gedanke, daß die Krone sich ein gefügigeres
Parlament, das der Gesamtstaatsidee freundlicher gesinnt sein würde, durch eine
demokratische Wahlreform leicht schaffen könnte. In einem ungarischen Reichstag,
der in seiner Zusammensetzung die ethnische Buntheit der ungarischen Völkerkarte
wiederspiegelt, hätte die Krone eine ganz andere Stellung als jetzt, wo sie sich
einer geschlossenen Masse, die von der magyarischen Aristokratie geführt wird,
gegenübersieht. In der Tat war es zur Zeit eines solchen Konflikts, daß die
Schaffung eines allgemeinen Wahlrechts als Programm einer ungarischen
Regierung verkündet wurde, die ihre Existenz allerdings nicht dem Vertrauen
des Parlaments, sondern nur dem der Krone verdankte. Als der Kaiser mit
einer Reihe aufeinanderfolgender ungarischer Kabinette über die notwendige
Wehrreform nicht einig werden konnte, berief er den General Baron Fejervary
im Jahre 1905 zur Regierung, und dessen Minister des Innern, Kristosfy,
kündigte die Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Einführung des allgemeinen,
direkten, gleichen und geheimen Wahlrechts an. Schon diese Drohung genügte,
um die Parteien des Parlaments, die sich bisher einer Verständigung so
unnahbar gezeigt hatten, zum Einlenken zu bewegen; auf Grund eines mit der
Krone festgelegten Regierungsprogramms kam das Koalitionskabinett Wekerle
zustande, das die Verpflichtung übernahm, mit möglichster Beschleunigung eine
Wahlreform einzuführen, deren Inhalt hinter der von Kristoffy angekündigten
nicht zurückbleiben durfte. Aber gerade vor dieser Wahlreform hatten die
führenden magyarischen Politiker Angst, und sie sahen ihre Hauptaufgabe darin,
sie zu verhindern. Das Kabinett Wekerle fiel infolge der inneren Uneinigkeit
der Parteien, ohne der Wahlreform oder der Wehrreform auch nur einen Schritt
näher gekommen zu sein. Graf Khuen wurde vom Monarchen mit der Durch¬
führung beider Aufgaben betraut. Hohngelächter der Parteien begrüßte ihn.


Das Problem der Wahlreform in Ungarn

noch keine stehenden Heere gab, den: Fürsten Rekruten und Subsidien und ließen
sich dasür, wenn sie den Schlüssel der Lage in Händen hielten, ihre alten
ständischen Freiheiten bestätigen. In den anderen Habsburgischen Erblündern
hatte die Schaffung einer kaiserlichen Armee durch Wallenstein der Macht der
Stände unwiderruflich ein Ende gemacht, die freilich größtenteils schon in den
Zeiten der Gegenreformation gebrochen war. Auch in Ungarn hatte die Macht
der Stände in der zentralistisch-absolutistischen Periode seit Maria Theresia
manche Einbuße erfahren; aus Gründen, die zu erläutern hier zu weit führen
würde, war die Überlieferung der ständischen Politik dort aber lebendig geblieben
und hatte sich den neuen Verfassungsformen angepaßt.

Im Jahre 1867 war eine Versöhnung zwischen der Krone und den
Magyaren zustande gekommen, und das Verhältnis Ungarns zu den übrigen
Teilen der Monarchie wurde im „Ausgleich" festgelegt. Zum Teil liegt es an
der Mangelhaftigkeit dieses Instruments, daß trotzdem neue Zusammenstöße
zwischen der Krone und dem Parlament nicht ausblieben. Das Parlament stellte
in der oben angedeuteten Richtung Forderungen, die der Monarch nicht zugestehen
wollte; und nichts lag näher als der Gedanke, daß die Krone sich ein gefügigeres
Parlament, das der Gesamtstaatsidee freundlicher gesinnt sein würde, durch eine
demokratische Wahlreform leicht schaffen könnte. In einem ungarischen Reichstag,
der in seiner Zusammensetzung die ethnische Buntheit der ungarischen Völkerkarte
wiederspiegelt, hätte die Krone eine ganz andere Stellung als jetzt, wo sie sich
einer geschlossenen Masse, die von der magyarischen Aristokratie geführt wird,
gegenübersieht. In der Tat war es zur Zeit eines solchen Konflikts, daß die
Schaffung eines allgemeinen Wahlrechts als Programm einer ungarischen
Regierung verkündet wurde, die ihre Existenz allerdings nicht dem Vertrauen
des Parlaments, sondern nur dem der Krone verdankte. Als der Kaiser mit
einer Reihe aufeinanderfolgender ungarischer Kabinette über die notwendige
Wehrreform nicht einig werden konnte, berief er den General Baron Fejervary
im Jahre 1905 zur Regierung, und dessen Minister des Innern, Kristosfy,
kündigte die Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Einführung des allgemeinen,
direkten, gleichen und geheimen Wahlrechts an. Schon diese Drohung genügte,
um die Parteien des Parlaments, die sich bisher einer Verständigung so
unnahbar gezeigt hatten, zum Einlenken zu bewegen; auf Grund eines mit der
Krone festgelegten Regierungsprogramms kam das Koalitionskabinett Wekerle
zustande, das die Verpflichtung übernahm, mit möglichster Beschleunigung eine
Wahlreform einzuführen, deren Inhalt hinter der von Kristoffy angekündigten
nicht zurückbleiben durfte. Aber gerade vor dieser Wahlreform hatten die
führenden magyarischen Politiker Angst, und sie sahen ihre Hauptaufgabe darin,
sie zu verhindern. Das Kabinett Wekerle fiel infolge der inneren Uneinigkeit
der Parteien, ohne der Wahlreform oder der Wehrreform auch nur einen Schritt
näher gekommen zu sein. Graf Khuen wurde vom Monarchen mit der Durch¬
führung beider Aufgaben betraut. Hohngelächter der Parteien begrüßte ihn.


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[0131] Das Problem der Wahlreform in Ungarn noch keine stehenden Heere gab, den: Fürsten Rekruten und Subsidien und ließen sich dasür, wenn sie den Schlüssel der Lage in Händen hielten, ihre alten ständischen Freiheiten bestätigen. In den anderen Habsburgischen Erblündern hatte die Schaffung einer kaiserlichen Armee durch Wallenstein der Macht der Stände unwiderruflich ein Ende gemacht, die freilich größtenteils schon in den Zeiten der Gegenreformation gebrochen war. Auch in Ungarn hatte die Macht der Stände in der zentralistisch-absolutistischen Periode seit Maria Theresia manche Einbuße erfahren; aus Gründen, die zu erläutern hier zu weit führen würde, war die Überlieferung der ständischen Politik dort aber lebendig geblieben und hatte sich den neuen Verfassungsformen angepaßt. Im Jahre 1867 war eine Versöhnung zwischen der Krone und den Magyaren zustande gekommen, und das Verhältnis Ungarns zu den übrigen Teilen der Monarchie wurde im „Ausgleich" festgelegt. Zum Teil liegt es an der Mangelhaftigkeit dieses Instruments, daß trotzdem neue Zusammenstöße zwischen der Krone und dem Parlament nicht ausblieben. Das Parlament stellte in der oben angedeuteten Richtung Forderungen, die der Monarch nicht zugestehen wollte; und nichts lag näher als der Gedanke, daß die Krone sich ein gefügigeres Parlament, das der Gesamtstaatsidee freundlicher gesinnt sein würde, durch eine demokratische Wahlreform leicht schaffen könnte. In einem ungarischen Reichstag, der in seiner Zusammensetzung die ethnische Buntheit der ungarischen Völkerkarte wiederspiegelt, hätte die Krone eine ganz andere Stellung als jetzt, wo sie sich einer geschlossenen Masse, die von der magyarischen Aristokratie geführt wird, gegenübersieht. In der Tat war es zur Zeit eines solchen Konflikts, daß die Schaffung eines allgemeinen Wahlrechts als Programm einer ungarischen Regierung verkündet wurde, die ihre Existenz allerdings nicht dem Vertrauen des Parlaments, sondern nur dem der Krone verdankte. Als der Kaiser mit einer Reihe aufeinanderfolgender ungarischer Kabinette über die notwendige Wehrreform nicht einig werden konnte, berief er den General Baron Fejervary im Jahre 1905 zur Regierung, und dessen Minister des Innern, Kristosfy, kündigte die Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Einführung des allgemeinen, direkten, gleichen und geheimen Wahlrechts an. Schon diese Drohung genügte, um die Parteien des Parlaments, die sich bisher einer Verständigung so unnahbar gezeigt hatten, zum Einlenken zu bewegen; auf Grund eines mit der Krone festgelegten Regierungsprogramms kam das Koalitionskabinett Wekerle zustande, das die Verpflichtung übernahm, mit möglichster Beschleunigung eine Wahlreform einzuführen, deren Inhalt hinter der von Kristoffy angekündigten nicht zurückbleiben durfte. Aber gerade vor dieser Wahlreform hatten die führenden magyarischen Politiker Angst, und sie sahen ihre Hauptaufgabe darin, sie zu verhindern. Das Kabinett Wekerle fiel infolge der inneren Uneinigkeit der Parteien, ohne der Wahlreform oder der Wehrreform auch nur einen Schritt näher gekommen zu sein. Graf Khuen wurde vom Monarchen mit der Durch¬ führung beider Aufgaben betraut. Hohngelächter der Parteien begrüßte ihn.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/131>, abgerufen am 23.07.2024.