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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Aus der Geschichte des Jesuitenordens

begünstigen! -- Der eine verlangt Gehorsam und bedroht diejenigen, welche
seiner Aufhebung entgegenarbeiten, mit dem "höheren Bann", -- der andere
heischt auch Gehorsam und kündigt den "Zorn Gottes, Petri und Pauli" den¬
jenigen an, die seiner Wiedereinsetzung des Ordens Hindernisse in den Weg
legen! -- Der eine erklärt die Zuwiderhandlung gegen sein Breve für ein
"Sich-Unterfangen", -- der andere die Zuwiderhandlung gegen seine Bulle
entgegengesetzten Inhalts für eine "Frechheit."

Dem einen wäre also nach inbrünstigen Gebeten die Aufhebung des
Ordens als Wille Gottes erschienen, dem anderen nach eben solchen Gebeten
das diametrale Gegenteil!

Da nun undenkbar ist, Gott sei in dieser Frage mit sich selbst in Wider¬
spruch getreten und habe absichtlich Wirrwarr in die Christenheit bringen wollen,
so muß, wenn nicht beide, wenigstens einer dieser Päpste seinen eigenen Wunsch
mit dem Willen Gottes verwechselt haben.

Die unvermeidliche Folgerung aus den von Pius für die Wiedereinsetzung des
Ordens geltend gemachten Gründen ist: die nachdrückliche und feierliche Behauptung
Clemens', sein Entschluß zur Aushebung des Ordens sei ihm nach inbrünstigen
Gebeten um Erleuchtung von Gott eingegeben worden, -- sei wahrheitswidrig,
denn Gott wolle das Gegenteil, nämlich das Fortbestehen, die Wiedereinsetzung
des Ordens.

Bei unvoreingenommener Prüfung scheint die Verwechslung des eigenen
Wunsches mit dem Willen Gottes aber eher auf feiten Pius' zu liegen, denn
erstens sagt er ja selbst, die Wiedereinsetzung des Ordens sei von Anfang seiner
päpstlichen Regierung (also schon siebenundzwanzig Jahre nach dessen Aufhebung
für ewig durch Clemens!) sein lebhafter Wunsch gewesen; und zweitens stimmt das
Urteil Clemens' über den Jesuitenorden genau überein mit dem Urteil der
profanen Geschichtschreibung über den Orden und mit den Erfahrungen, die
zahlreiche meist katholische Staaten, in denen er zugelassen war, zu ihrem
Schaden an ihm gemacht haben, und die sich alle genötigt sahen, ihn wegen
seiner Gemeinschädlichkeit teils vorübergehend, teils dauernd auszuweisen (Frank¬
reich, England, Portugal, Niederlande, Republik Venedig, Schweden, Österreich,
Ungarn, Polen, Neapel, Rußland, Schweiz, Deutschland).

In dieser überaus wichtigen kirchlichen Frage steht also das Urteil von
Papst und Klerus der einen Generation (1773) in unversöhnlich schroffem
Gegensatz zu dem Urteil von Papst und Klerus der nächsten (1814). Beide
Päpste heischen Gehorsam für ihre in diesem Fälle schnurstracks entgegengesetzten
Anordnungen, und doch ist hier Gehorsam selbst für den gehorsamwilligsten
Katholiken ein Ding gänzlicher Unmöglichkeit, denn indem er das tut, was der eine
Papst befiehlt, tut, er unvermeidlich das, was der andere verbietet, -- indem
er der Drohung des einen entgeht, verfällt er unvermeidlich der des anderen.

In der gleichen Lage befinden sich die Gesetzgeber und Regierungen der
weltlichen Staaten. Sie mögen sich stellen wie sie wollen, mögen den Jesuiten-


Aus der Geschichte des Jesuitenordens

begünstigen! — Der eine verlangt Gehorsam und bedroht diejenigen, welche
seiner Aufhebung entgegenarbeiten, mit dem „höheren Bann", — der andere
heischt auch Gehorsam und kündigt den „Zorn Gottes, Petri und Pauli" den¬
jenigen an, die seiner Wiedereinsetzung des Ordens Hindernisse in den Weg
legen! — Der eine erklärt die Zuwiderhandlung gegen sein Breve für ein
„Sich-Unterfangen", — der andere die Zuwiderhandlung gegen seine Bulle
entgegengesetzten Inhalts für eine „Frechheit."

Dem einen wäre also nach inbrünstigen Gebeten die Aufhebung des
Ordens als Wille Gottes erschienen, dem anderen nach eben solchen Gebeten
das diametrale Gegenteil!

Da nun undenkbar ist, Gott sei in dieser Frage mit sich selbst in Wider¬
spruch getreten und habe absichtlich Wirrwarr in die Christenheit bringen wollen,
so muß, wenn nicht beide, wenigstens einer dieser Päpste seinen eigenen Wunsch
mit dem Willen Gottes verwechselt haben.

Die unvermeidliche Folgerung aus den von Pius für die Wiedereinsetzung des
Ordens geltend gemachten Gründen ist: die nachdrückliche und feierliche Behauptung
Clemens', sein Entschluß zur Aushebung des Ordens sei ihm nach inbrünstigen
Gebeten um Erleuchtung von Gott eingegeben worden, — sei wahrheitswidrig,
denn Gott wolle das Gegenteil, nämlich das Fortbestehen, die Wiedereinsetzung
des Ordens.

Bei unvoreingenommener Prüfung scheint die Verwechslung des eigenen
Wunsches mit dem Willen Gottes aber eher auf feiten Pius' zu liegen, denn
erstens sagt er ja selbst, die Wiedereinsetzung des Ordens sei von Anfang seiner
päpstlichen Regierung (also schon siebenundzwanzig Jahre nach dessen Aufhebung
für ewig durch Clemens!) sein lebhafter Wunsch gewesen; und zweitens stimmt das
Urteil Clemens' über den Jesuitenorden genau überein mit dem Urteil der
profanen Geschichtschreibung über den Orden und mit den Erfahrungen, die
zahlreiche meist katholische Staaten, in denen er zugelassen war, zu ihrem
Schaden an ihm gemacht haben, und die sich alle genötigt sahen, ihn wegen
seiner Gemeinschädlichkeit teils vorübergehend, teils dauernd auszuweisen (Frank¬
reich, England, Portugal, Niederlande, Republik Venedig, Schweden, Österreich,
Ungarn, Polen, Neapel, Rußland, Schweiz, Deutschland).

In dieser überaus wichtigen kirchlichen Frage steht also das Urteil von
Papst und Klerus der einen Generation (1773) in unversöhnlich schroffem
Gegensatz zu dem Urteil von Papst und Klerus der nächsten (1814). Beide
Päpste heischen Gehorsam für ihre in diesem Fälle schnurstracks entgegengesetzten
Anordnungen, und doch ist hier Gehorsam selbst für den gehorsamwilligsten
Katholiken ein Ding gänzlicher Unmöglichkeit, denn indem er das tut, was der eine
Papst befiehlt, tut, er unvermeidlich das, was der andere verbietet, — indem
er der Drohung des einen entgeht, verfällt er unvermeidlich der des anderen.

In der gleichen Lage befinden sich die Gesetzgeber und Regierungen der
weltlichen Staaten. Sie mögen sich stellen wie sie wollen, mögen den Jesuiten-


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[0126] Aus der Geschichte des Jesuitenordens begünstigen! — Der eine verlangt Gehorsam und bedroht diejenigen, welche seiner Aufhebung entgegenarbeiten, mit dem „höheren Bann", — der andere heischt auch Gehorsam und kündigt den „Zorn Gottes, Petri und Pauli" den¬ jenigen an, die seiner Wiedereinsetzung des Ordens Hindernisse in den Weg legen! — Der eine erklärt die Zuwiderhandlung gegen sein Breve für ein „Sich-Unterfangen", — der andere die Zuwiderhandlung gegen seine Bulle entgegengesetzten Inhalts für eine „Frechheit." Dem einen wäre also nach inbrünstigen Gebeten die Aufhebung des Ordens als Wille Gottes erschienen, dem anderen nach eben solchen Gebeten das diametrale Gegenteil! Da nun undenkbar ist, Gott sei in dieser Frage mit sich selbst in Wider¬ spruch getreten und habe absichtlich Wirrwarr in die Christenheit bringen wollen, so muß, wenn nicht beide, wenigstens einer dieser Päpste seinen eigenen Wunsch mit dem Willen Gottes verwechselt haben. Die unvermeidliche Folgerung aus den von Pius für die Wiedereinsetzung des Ordens geltend gemachten Gründen ist: die nachdrückliche und feierliche Behauptung Clemens', sein Entschluß zur Aushebung des Ordens sei ihm nach inbrünstigen Gebeten um Erleuchtung von Gott eingegeben worden, — sei wahrheitswidrig, denn Gott wolle das Gegenteil, nämlich das Fortbestehen, die Wiedereinsetzung des Ordens. Bei unvoreingenommener Prüfung scheint die Verwechslung des eigenen Wunsches mit dem Willen Gottes aber eher auf feiten Pius' zu liegen, denn erstens sagt er ja selbst, die Wiedereinsetzung des Ordens sei von Anfang seiner päpstlichen Regierung (also schon siebenundzwanzig Jahre nach dessen Aufhebung für ewig durch Clemens!) sein lebhafter Wunsch gewesen; und zweitens stimmt das Urteil Clemens' über den Jesuitenorden genau überein mit dem Urteil der profanen Geschichtschreibung über den Orden und mit den Erfahrungen, die zahlreiche meist katholische Staaten, in denen er zugelassen war, zu ihrem Schaden an ihm gemacht haben, und die sich alle genötigt sahen, ihn wegen seiner Gemeinschädlichkeit teils vorübergehend, teils dauernd auszuweisen (Frank¬ reich, England, Portugal, Niederlande, Republik Venedig, Schweden, Österreich, Ungarn, Polen, Neapel, Rußland, Schweiz, Deutschland). In dieser überaus wichtigen kirchlichen Frage steht also das Urteil von Papst und Klerus der einen Generation (1773) in unversöhnlich schroffem Gegensatz zu dem Urteil von Papst und Klerus der nächsten (1814). Beide Päpste heischen Gehorsam für ihre in diesem Fälle schnurstracks entgegengesetzten Anordnungen, und doch ist hier Gehorsam selbst für den gehorsamwilligsten Katholiken ein Ding gänzlicher Unmöglichkeit, denn indem er das tut, was der eine Papst befiehlt, tut, er unvermeidlich das, was der andere verbietet, — indem er der Drohung des einen entgeht, verfällt er unvermeidlich der des anderen. In der gleichen Lage befinden sich die Gesetzgeber und Regierungen der weltlichen Staaten. Sie mögen sich stellen wie sie wollen, mögen den Jesuiten-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/126>, abgerufen am 25.08.2024.