Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Rußland, Frankreich und Deutschland

die Rußland erfuhr, nachdem es als Sieger vor den Toren von Konstantinopel
gestanden hatte. So ist es zu verstehen, wenn Fürst Bismarck zur Zeit des
Berliner Kongresses dem Times-Korrespondenten sagte: "Ich bin ein aufrichtiger
Freund meiner Freunde und ein aufrichtiger Feind meiner Feinde. Fürst
Gortschakow hat das jetzt gewahr werden müssen. Der Angelegenheit von
1375 hat er die politische Niederlage beizumessen, die er auf dem Kongreß zu
erleiden hatte." Nach der Darstellung Ssaburows, der diese Äußerung Bismarcks
wiedergibt, könnte es scheinen, als ob der deutsche Reichskanzler im Jahre 1878
nur unter dem Gesichtspunkte gehandelt habe, die persönliche Niederlage heim¬
zuzahlen, die er 1875 erlitten hatte. Das ist zweifellos unrichtig. Denn
wenn Bismarck auch die Sachen, die er betrieb, ganz zu seinen persönlichen
Angelegenheiten machte und sie gewissermaßen mit dem Feuer erfüllte, das in
ihm loderte, so geschah doch niemals das Umgekehrte, daß er persönliche Sachen
zu Staatsangelegenheiten machte. Gewiß hat er Gortschakow unter die Nase
reiben wollen, daß er 1873 aufzuessen hatte, was er sich 1875 eingebrockt
hatte; er ersparte dem russischen Kollegen, der nach seiner Überzeugung aus
persönlicher Eitelkeit gehandelt hatte, auch diese persönliche Quittung nicht.
Aber daß Bismarck seinerseits aus Rache Rußland in die Verlegenheit von
1878 gebracht habe, stimmt keinesfalls. Sein Verhalten Rußland gegenüber
während des Krieges und auf dem Berliner Kongreß spricht deutlich dagegen.
Aber man wird in der russischen Auffassung eine weitere Erklärung für die
feindselige Stimmung finden, die in Rußland gegen Deutschland Platz griff,
und aus der auch Bismarck notwendig die Folgerungen ziehen mußte.
Ssaburow erwähnt zum Schluß, daß auch Kaiser Alexander schließlich an
Bismarck irre geworden sei und damit das veränderte Verhältnis zwischen
Deutschland und Rußland besiegelte. Es ist bekannt, wie Fürst Bismarck jetzt
den Augenblick für gegeben erachtete, das längst geplante Bündnis mit
Österreich-Ungarn zu schließen.

Mit dieser Erwähnung schließt auch Ssaburow seine Ausführungen. Es
darf als ein bemerkenswertes Symptom angesehen werden, daß ein russischer
Diplomat von so reicher Erfahrung durch seine aufklärende Schilderung die
Politik Bismarcks gegenüber Rußland in ein so Helles Licht gestellt und dabei
anerkannt hat, wie sehr diese Politik auch den wohlverstandenen Interessen
Rußlands gerecht wurde. Das gibt diesen Erinnerungen auch eine große
Bedeutung für die Gegenwart.




Rußland, Frankreich und Deutschland

die Rußland erfuhr, nachdem es als Sieger vor den Toren von Konstantinopel
gestanden hatte. So ist es zu verstehen, wenn Fürst Bismarck zur Zeit des
Berliner Kongresses dem Times-Korrespondenten sagte: „Ich bin ein aufrichtiger
Freund meiner Freunde und ein aufrichtiger Feind meiner Feinde. Fürst
Gortschakow hat das jetzt gewahr werden müssen. Der Angelegenheit von
1375 hat er die politische Niederlage beizumessen, die er auf dem Kongreß zu
erleiden hatte." Nach der Darstellung Ssaburows, der diese Äußerung Bismarcks
wiedergibt, könnte es scheinen, als ob der deutsche Reichskanzler im Jahre 1878
nur unter dem Gesichtspunkte gehandelt habe, die persönliche Niederlage heim¬
zuzahlen, die er 1875 erlitten hatte. Das ist zweifellos unrichtig. Denn
wenn Bismarck auch die Sachen, die er betrieb, ganz zu seinen persönlichen
Angelegenheiten machte und sie gewissermaßen mit dem Feuer erfüllte, das in
ihm loderte, so geschah doch niemals das Umgekehrte, daß er persönliche Sachen
zu Staatsangelegenheiten machte. Gewiß hat er Gortschakow unter die Nase
reiben wollen, daß er 1873 aufzuessen hatte, was er sich 1875 eingebrockt
hatte; er ersparte dem russischen Kollegen, der nach seiner Überzeugung aus
persönlicher Eitelkeit gehandelt hatte, auch diese persönliche Quittung nicht.
Aber daß Bismarck seinerseits aus Rache Rußland in die Verlegenheit von
1878 gebracht habe, stimmt keinesfalls. Sein Verhalten Rußland gegenüber
während des Krieges und auf dem Berliner Kongreß spricht deutlich dagegen.
Aber man wird in der russischen Auffassung eine weitere Erklärung für die
feindselige Stimmung finden, die in Rußland gegen Deutschland Platz griff,
und aus der auch Bismarck notwendig die Folgerungen ziehen mußte.
Ssaburow erwähnt zum Schluß, daß auch Kaiser Alexander schließlich an
Bismarck irre geworden sei und damit das veränderte Verhältnis zwischen
Deutschland und Rußland besiegelte. Es ist bekannt, wie Fürst Bismarck jetzt
den Augenblick für gegeben erachtete, das längst geplante Bündnis mit
Österreich-Ungarn zu schließen.

Mit dieser Erwähnung schließt auch Ssaburow seine Ausführungen. Es
darf als ein bemerkenswertes Symptom angesehen werden, daß ein russischer
Diplomat von so reicher Erfahrung durch seine aufklärende Schilderung die
Politik Bismarcks gegenüber Rußland in ein so Helles Licht gestellt und dabei
anerkannt hat, wie sehr diese Politik auch den wohlverstandenen Interessen
Rußlands gerecht wurde. Das gibt diesen Erinnerungen auch eine große
Bedeutung für die Gegenwart.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0120" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321203"/>
          <fw type="header" place="top"> Rußland, Frankreich und Deutschland</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_493" prev="#ID_492"> die Rußland erfuhr, nachdem es als Sieger vor den Toren von Konstantinopel<lb/>
gestanden hatte. So ist es zu verstehen, wenn Fürst Bismarck zur Zeit des<lb/>
Berliner Kongresses dem Times-Korrespondenten sagte: &#x201E;Ich bin ein aufrichtiger<lb/>
Freund meiner Freunde und ein aufrichtiger Feind meiner Feinde. Fürst<lb/>
Gortschakow hat das jetzt gewahr werden müssen. Der Angelegenheit von<lb/>
1375 hat er die politische Niederlage beizumessen, die er auf dem Kongreß zu<lb/>
erleiden hatte." Nach der Darstellung Ssaburows, der diese Äußerung Bismarcks<lb/>
wiedergibt, könnte es scheinen, als ob der deutsche Reichskanzler im Jahre 1878<lb/>
nur unter dem Gesichtspunkte gehandelt habe, die persönliche Niederlage heim¬<lb/>
zuzahlen, die er 1875 erlitten hatte. Das ist zweifellos unrichtig. Denn<lb/>
wenn Bismarck auch die Sachen, die er betrieb, ganz zu seinen persönlichen<lb/>
Angelegenheiten machte und sie gewissermaßen mit dem Feuer erfüllte, das in<lb/>
ihm loderte, so geschah doch niemals das Umgekehrte, daß er persönliche Sachen<lb/>
zu Staatsangelegenheiten machte. Gewiß hat er Gortschakow unter die Nase<lb/>
reiben wollen, daß er 1873 aufzuessen hatte, was er sich 1875 eingebrockt<lb/>
hatte; er ersparte dem russischen Kollegen, der nach seiner Überzeugung aus<lb/>
persönlicher Eitelkeit gehandelt hatte, auch diese persönliche Quittung nicht.<lb/>
Aber daß Bismarck seinerseits aus Rache Rußland in die Verlegenheit von<lb/>
1878 gebracht habe, stimmt keinesfalls. Sein Verhalten Rußland gegenüber<lb/>
während des Krieges und auf dem Berliner Kongreß spricht deutlich dagegen.<lb/>
Aber man wird in der russischen Auffassung eine weitere Erklärung für die<lb/>
feindselige Stimmung finden, die in Rußland gegen Deutschland Platz griff,<lb/>
und aus der auch Bismarck notwendig die Folgerungen ziehen mußte.<lb/>
Ssaburow erwähnt zum Schluß, daß auch Kaiser Alexander schließlich an<lb/>
Bismarck irre geworden sei und damit das veränderte Verhältnis zwischen<lb/>
Deutschland und Rußland besiegelte. Es ist bekannt, wie Fürst Bismarck jetzt<lb/>
den Augenblick für gegeben erachtete, das längst geplante Bündnis mit<lb/>
Österreich-Ungarn zu schließen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_494"> Mit dieser Erwähnung schließt auch Ssaburow seine Ausführungen. Es<lb/>
darf als ein bemerkenswertes Symptom angesehen werden, daß ein russischer<lb/>
Diplomat von so reicher Erfahrung durch seine aufklärende Schilderung die<lb/>
Politik Bismarcks gegenüber Rußland in ein so Helles Licht gestellt und dabei<lb/>
anerkannt hat, wie sehr diese Politik auch den wohlverstandenen Interessen<lb/>
Rußlands gerecht wurde. Das gibt diesen Erinnerungen auch eine große<lb/>
Bedeutung für die Gegenwart.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0120] Rußland, Frankreich und Deutschland die Rußland erfuhr, nachdem es als Sieger vor den Toren von Konstantinopel gestanden hatte. So ist es zu verstehen, wenn Fürst Bismarck zur Zeit des Berliner Kongresses dem Times-Korrespondenten sagte: „Ich bin ein aufrichtiger Freund meiner Freunde und ein aufrichtiger Feind meiner Feinde. Fürst Gortschakow hat das jetzt gewahr werden müssen. Der Angelegenheit von 1375 hat er die politische Niederlage beizumessen, die er auf dem Kongreß zu erleiden hatte." Nach der Darstellung Ssaburows, der diese Äußerung Bismarcks wiedergibt, könnte es scheinen, als ob der deutsche Reichskanzler im Jahre 1878 nur unter dem Gesichtspunkte gehandelt habe, die persönliche Niederlage heim¬ zuzahlen, die er 1875 erlitten hatte. Das ist zweifellos unrichtig. Denn wenn Bismarck auch die Sachen, die er betrieb, ganz zu seinen persönlichen Angelegenheiten machte und sie gewissermaßen mit dem Feuer erfüllte, das in ihm loderte, so geschah doch niemals das Umgekehrte, daß er persönliche Sachen zu Staatsangelegenheiten machte. Gewiß hat er Gortschakow unter die Nase reiben wollen, daß er 1873 aufzuessen hatte, was er sich 1875 eingebrockt hatte; er ersparte dem russischen Kollegen, der nach seiner Überzeugung aus persönlicher Eitelkeit gehandelt hatte, auch diese persönliche Quittung nicht. Aber daß Bismarck seinerseits aus Rache Rußland in die Verlegenheit von 1878 gebracht habe, stimmt keinesfalls. Sein Verhalten Rußland gegenüber während des Krieges und auf dem Berliner Kongreß spricht deutlich dagegen. Aber man wird in der russischen Auffassung eine weitere Erklärung für die feindselige Stimmung finden, die in Rußland gegen Deutschland Platz griff, und aus der auch Bismarck notwendig die Folgerungen ziehen mußte. Ssaburow erwähnt zum Schluß, daß auch Kaiser Alexander schließlich an Bismarck irre geworden sei und damit das veränderte Verhältnis zwischen Deutschland und Rußland besiegelte. Es ist bekannt, wie Fürst Bismarck jetzt den Augenblick für gegeben erachtete, das längst geplante Bündnis mit Österreich-Ungarn zu schließen. Mit dieser Erwähnung schließt auch Ssaburow seine Ausführungen. Es darf als ein bemerkenswertes Symptom angesehen werden, daß ein russischer Diplomat von so reicher Erfahrung durch seine aufklärende Schilderung die Politik Bismarcks gegenüber Rußland in ein so Helles Licht gestellt und dabei anerkannt hat, wie sehr diese Politik auch den wohlverstandenen Interessen Rußlands gerecht wurde. Das gibt diesen Erinnerungen auch eine große Bedeutung für die Gegenwart.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/120
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/120>, abgerufen am 22.07.2024.