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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel

einen größeren Prozentsatz im Verbrechertum, eine höhere Sterblichkeitsziffer und
eine höhere Selbstmordziffer; jeder Mann, wenigstens bis zum funfzigsten
Lebensjahr, müsse heiraten und Kinder großziehen, das sei einfach seine verfluchte
Pflicht und Schuldigkeit. Wer sich dieser Pflicht entziehe, der müsse zum
Ausgleich dem Staate wenigstens eine Abgabe in Geld entrichten. Diese Aus¬
führungen gehen viel zu weit und sind auf einem falschen Wege. Gewiß beruht
der Staat auf der Familie; daraus folgt aber noch nicht, daß die Verehelichung
eine Pflicht gegen den Staat ist. Gar mancher hätte gern geheiratet; aber
dazu gehören zwei, und nicht jeder findet die andere, bessere Hälfte für seine
Ehe. Manch einen halten andere Pflichten von einer Heirat ab; und weder
diese noch die verstockten Weiberfeinde werden aus Furcht vor einer Steuer die
Erste, vielleicht nicht Beste, zur Frau nehmen. Es ist ganz abwegig, mit Hilfe
einer rein materiellen Einwirkung Entschließungen beeinflussen zu wollen, die
fast ausschließlich auf sittlichem Gebiet liegen. Also kurz, diese Gründe ziehen nicht.

Trotzdem bleibt uns Familienvätern ein Stachel zurück. Wir fühlen
doch eine Ungerechtigkeit, eine Benachteiligung gegen die Junggesellen. Aber
worin liegt sie, und wie ist ihr abzuhelfen?

Eine Ungerechtigkeit könnte nur dann anerkannt werden, wenn sie auf dem
Gebiete der Besteuerung selbst liegt. Ist das wirklich der Fall, dann kann, ja,
dann muß Abhilfe geschaffen werden. Und da muß man bei ruhiger Prüfung
der gesamten Belastungen des Staatsbürgers allerdings zugeben, daß der Jung¬
geselle besser fortkommt als der Familienvater. Nicht bei der direkten Steuer;
denn da zahlt jeder seineni Einkommen entsprechend gleichviel. Aber die indirekten
Abgaben, die in Form von Steuern und Zöllen auf Verbrauchsgegenständen,
besonders auf den Lebensmitteln liegen, die lasten auf dem Familienvater, der
den Unterhalt für Frau und Kinder zu bestreiten hat, zweifellos stärker, als
auf dem Ehelosen, der nur für sich zu sorgen hat. Es kann niemand leugnen,
daß bei gleichem Einkommen der Familienvater insgesamt, also mit direkten
und indirekten Steuern, dem Staate mehr gibt als der Junggeselle. In dieser
ungleichen Belastung liegt eine Ungerechtigkeit.

Wie nun ausgleichen? Bei den indirekten Abgaben kann ein Ausgleich
uicht vorgenommen werden, weil sie nicht unmittelbar von dem Konsumenten,
der sie schließlich zu tragen hat, erhoben werden. Der Ausgleich kann nur bei
den direkten Steuern erfolgen. Das ist der einzig mögliche Weg. Verfolgt
man in dieser Richtung den Weg weiter, so ergibt sich von selbst, daß dem
Familienvater entsprechend seiner Mehrbelastung mit indirekten Ab¬
gaben eine Erleichterung, also ein Nachlaß bei den direkten Steuern gewährt
werden muß. In gewisser Weise geschieht das jetzt schon, indem nach Z 19 des
.preußischen Einkommensteuergesetzes in drei Abstufungen bei Steuerpflichtigen,
deren Einkommen 3000 Mark, "500 Mark und 9500 Mark beträgt, gewisse
Ermäßigungen stattfinden, die im wesentlichen in einer Ermäßigung der Steuer-
stufen uni ein bis drei Stufen bestehen.


Reichsspiegel

einen größeren Prozentsatz im Verbrechertum, eine höhere Sterblichkeitsziffer und
eine höhere Selbstmordziffer; jeder Mann, wenigstens bis zum funfzigsten
Lebensjahr, müsse heiraten und Kinder großziehen, das sei einfach seine verfluchte
Pflicht und Schuldigkeit. Wer sich dieser Pflicht entziehe, der müsse zum
Ausgleich dem Staate wenigstens eine Abgabe in Geld entrichten. Diese Aus¬
führungen gehen viel zu weit und sind auf einem falschen Wege. Gewiß beruht
der Staat auf der Familie; daraus folgt aber noch nicht, daß die Verehelichung
eine Pflicht gegen den Staat ist. Gar mancher hätte gern geheiratet; aber
dazu gehören zwei, und nicht jeder findet die andere, bessere Hälfte für seine
Ehe. Manch einen halten andere Pflichten von einer Heirat ab; und weder
diese noch die verstockten Weiberfeinde werden aus Furcht vor einer Steuer die
Erste, vielleicht nicht Beste, zur Frau nehmen. Es ist ganz abwegig, mit Hilfe
einer rein materiellen Einwirkung Entschließungen beeinflussen zu wollen, die
fast ausschließlich auf sittlichem Gebiet liegen. Also kurz, diese Gründe ziehen nicht.

Trotzdem bleibt uns Familienvätern ein Stachel zurück. Wir fühlen
doch eine Ungerechtigkeit, eine Benachteiligung gegen die Junggesellen. Aber
worin liegt sie, und wie ist ihr abzuhelfen?

Eine Ungerechtigkeit könnte nur dann anerkannt werden, wenn sie auf dem
Gebiete der Besteuerung selbst liegt. Ist das wirklich der Fall, dann kann, ja,
dann muß Abhilfe geschaffen werden. Und da muß man bei ruhiger Prüfung
der gesamten Belastungen des Staatsbürgers allerdings zugeben, daß der Jung¬
geselle besser fortkommt als der Familienvater. Nicht bei der direkten Steuer;
denn da zahlt jeder seineni Einkommen entsprechend gleichviel. Aber die indirekten
Abgaben, die in Form von Steuern und Zöllen auf Verbrauchsgegenständen,
besonders auf den Lebensmitteln liegen, die lasten auf dem Familienvater, der
den Unterhalt für Frau und Kinder zu bestreiten hat, zweifellos stärker, als
auf dem Ehelosen, der nur für sich zu sorgen hat. Es kann niemand leugnen,
daß bei gleichem Einkommen der Familienvater insgesamt, also mit direkten
und indirekten Steuern, dem Staate mehr gibt als der Junggeselle. In dieser
ungleichen Belastung liegt eine Ungerechtigkeit.

Wie nun ausgleichen? Bei den indirekten Abgaben kann ein Ausgleich
uicht vorgenommen werden, weil sie nicht unmittelbar von dem Konsumenten,
der sie schließlich zu tragen hat, erhoben werden. Der Ausgleich kann nur bei
den direkten Steuern erfolgen. Das ist der einzig mögliche Weg. Verfolgt
man in dieser Richtung den Weg weiter, so ergibt sich von selbst, daß dem
Familienvater entsprechend seiner Mehrbelastung mit indirekten Ab¬
gaben eine Erleichterung, also ein Nachlaß bei den direkten Steuern gewährt
werden muß. In gewisser Weise geschieht das jetzt schon, indem nach Z 19 des
.preußischen Einkommensteuergesetzes in drei Abstufungen bei Steuerpflichtigen,
deren Einkommen 3000 Mark, «500 Mark und 9500 Mark beträgt, gewisse
Ermäßigungen stattfinden, die im wesentlichen in einer Ermäßigung der Steuer-
stufen uni ein bis drei Stufen bestehen.


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[0106] Reichsspiegel einen größeren Prozentsatz im Verbrechertum, eine höhere Sterblichkeitsziffer und eine höhere Selbstmordziffer; jeder Mann, wenigstens bis zum funfzigsten Lebensjahr, müsse heiraten und Kinder großziehen, das sei einfach seine verfluchte Pflicht und Schuldigkeit. Wer sich dieser Pflicht entziehe, der müsse zum Ausgleich dem Staate wenigstens eine Abgabe in Geld entrichten. Diese Aus¬ führungen gehen viel zu weit und sind auf einem falschen Wege. Gewiß beruht der Staat auf der Familie; daraus folgt aber noch nicht, daß die Verehelichung eine Pflicht gegen den Staat ist. Gar mancher hätte gern geheiratet; aber dazu gehören zwei, und nicht jeder findet die andere, bessere Hälfte für seine Ehe. Manch einen halten andere Pflichten von einer Heirat ab; und weder diese noch die verstockten Weiberfeinde werden aus Furcht vor einer Steuer die Erste, vielleicht nicht Beste, zur Frau nehmen. Es ist ganz abwegig, mit Hilfe einer rein materiellen Einwirkung Entschließungen beeinflussen zu wollen, die fast ausschließlich auf sittlichem Gebiet liegen. Also kurz, diese Gründe ziehen nicht. Trotzdem bleibt uns Familienvätern ein Stachel zurück. Wir fühlen doch eine Ungerechtigkeit, eine Benachteiligung gegen die Junggesellen. Aber worin liegt sie, und wie ist ihr abzuhelfen? Eine Ungerechtigkeit könnte nur dann anerkannt werden, wenn sie auf dem Gebiete der Besteuerung selbst liegt. Ist das wirklich der Fall, dann kann, ja, dann muß Abhilfe geschaffen werden. Und da muß man bei ruhiger Prüfung der gesamten Belastungen des Staatsbürgers allerdings zugeben, daß der Jung¬ geselle besser fortkommt als der Familienvater. Nicht bei der direkten Steuer; denn da zahlt jeder seineni Einkommen entsprechend gleichviel. Aber die indirekten Abgaben, die in Form von Steuern und Zöllen auf Verbrauchsgegenständen, besonders auf den Lebensmitteln liegen, die lasten auf dem Familienvater, der den Unterhalt für Frau und Kinder zu bestreiten hat, zweifellos stärker, als auf dem Ehelosen, der nur für sich zu sorgen hat. Es kann niemand leugnen, daß bei gleichem Einkommen der Familienvater insgesamt, also mit direkten und indirekten Steuern, dem Staate mehr gibt als der Junggeselle. In dieser ungleichen Belastung liegt eine Ungerechtigkeit. Wie nun ausgleichen? Bei den indirekten Abgaben kann ein Ausgleich uicht vorgenommen werden, weil sie nicht unmittelbar von dem Konsumenten, der sie schließlich zu tragen hat, erhoben werden. Der Ausgleich kann nur bei den direkten Steuern erfolgen. Das ist der einzig mögliche Weg. Verfolgt man in dieser Richtung den Weg weiter, so ergibt sich von selbst, daß dem Familienvater entsprechend seiner Mehrbelastung mit indirekten Ab¬ gaben eine Erleichterung, also ein Nachlaß bei den direkten Steuern gewährt werden muß. In gewisser Weise geschieht das jetzt schon, indem nach Z 19 des .preußischen Einkommensteuergesetzes in drei Abstufungen bei Steuerpflichtigen, deren Einkommen 3000 Mark, «500 Mark und 9500 Mark beträgt, gewisse Ermäßigungen stattfinden, die im wesentlichen in einer Ermäßigung der Steuer- stufen uni ein bis drei Stufen bestehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/106>, abgerufen am 29.06.2024.