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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel

ist, so kann er sich darüber doch nicht so leicht hinwegsetzen. Denn die
Kreiseingesessenen, die sich bei den Einschätzungsverhandlungen verärgert haben,
braucht der Landrat bei anderen Kreisangelegenheiten, und es ist leicht möglich,
daß sie dann versagen. Besonders schlimm wird das, wenn die Verärgerten
einflußreiche Leute im Kreise sind. Der Landrat ist also durch den Vorsitz in
der Veranlagungskommission in die Lage versetzt, sich jährlich bei der Steuer¬
einschätzung mit denjenigen Personen zu verärgern, mit denen er zur Förderung
anderer Kreisangelegenheiten in Eintracht zusammenarbeiten soll. Es kann dem
Landrat in dieser Lage nicht so sehr verdacht werden, wenn er ausweicht und
nachgiebig ist. Diese Nachgiebigkeit des Vorsitzenden der Veranlagungskommission
aber, die den Neigungen der Steuerpflichtige" sich anpaßt, muß zu einer laxen
Praxis führen, zu Einschätzungen, die hinter der Wahrheit zurückbleiben.

Da scheint mir folgender Weg gangbar: Für die Veranlagungskommisfion
wird die Stellung eines Regierungskommissars geschaffen, der bei der
Veranlagung mitwirkt. Der Kommissar nimmt an den Sitzungen der Kommission
teil, er hat kein Stimmrecht, muß aber jederzeit gehört werden; er kann Anträge
stellen und vor allem Rechtsmittel gegen unrichtige Einschätzung einlegen. Der
Regierungskommissar hat die fiskalischen Interessen zu vertreten und auf eine
den gesetzlichen Vorschriften genau entsprechende, volle und also gerechte Ein¬
schätzung zu halten. Wenn ihn seine Amtspflicht mit einzelnen steuerscheuen
Kreiseingesessenen in Widerspruch bringt, so kann er das ruhig tragen; denn
er hat mit ihnen sonst nichts zu tun. Ja, ihm gegenüber wird die Unzufriedenheit
gar nicht so tief gehen, weil jedermann weiß, daß er nur seine Pflicht tut,
während man von dem Landrat allerlei Rücksicht erwartet. Neben diesem
Regierungskommissar würde der Landrat dann nur die allgemeine Leitung des
Veranlagungsgeschäfts haben, er würde nicht dauernd mit seinen Kreiseingesessenen
in Streit und Widerspruch geraten, sondern ihm würde die sehr viel angenehmere
Aufgabe zukommen, bei Streitigkeiten mit dem Regierungskomnnssar zu ver¬
mitteln und auszugleichen. Selbstverständlich wäre es nicht nötig, daß für jeden
Landratskreis ein besonderer Regierungskommissar bestellt wird; es würde sür
niehrere Kreise ein Kommissar bestellt und dadurch auch eine gleichmäßige Praxis
herbeigeführt werden.

Durch die Einsetzung eines Regierungskommissars würden keinerlei Interessen
geschädigt oder bedroht werden; aber es würde eine Garantie geschaffen werden
für eine gleichmäßige und volle, also gerechte Einschätzung aller Steuerpflichtigen,
und das Gesamtergebnis der Einkommensteuer würde zweifellos ein besseres
werden.---

Die Junggesellensteuer ist oft vorgeschlagen, früher stets abgelehnt,
jetzt wird sie doch ernsthaft besprochen. Was hat man nicht alles zu ihren
Gunsten angeführt? Sie soll dein Staat nicht nur Geld zuführen, sondern auch
die Hagestolzen dazu bringen, eine Ehe zu schließen. Die Familie sei die
notwendige Grundlage des Staates, die Ehelosen seien minderwertig, sie zeigen


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ist, so kann er sich darüber doch nicht so leicht hinwegsetzen. Denn die
Kreiseingesessenen, die sich bei den Einschätzungsverhandlungen verärgert haben,
braucht der Landrat bei anderen Kreisangelegenheiten, und es ist leicht möglich,
daß sie dann versagen. Besonders schlimm wird das, wenn die Verärgerten
einflußreiche Leute im Kreise sind. Der Landrat ist also durch den Vorsitz in
der Veranlagungskommission in die Lage versetzt, sich jährlich bei der Steuer¬
einschätzung mit denjenigen Personen zu verärgern, mit denen er zur Förderung
anderer Kreisangelegenheiten in Eintracht zusammenarbeiten soll. Es kann dem
Landrat in dieser Lage nicht so sehr verdacht werden, wenn er ausweicht und
nachgiebig ist. Diese Nachgiebigkeit des Vorsitzenden der Veranlagungskommission
aber, die den Neigungen der Steuerpflichtige» sich anpaßt, muß zu einer laxen
Praxis führen, zu Einschätzungen, die hinter der Wahrheit zurückbleiben.

Da scheint mir folgender Weg gangbar: Für die Veranlagungskommisfion
wird die Stellung eines Regierungskommissars geschaffen, der bei der
Veranlagung mitwirkt. Der Kommissar nimmt an den Sitzungen der Kommission
teil, er hat kein Stimmrecht, muß aber jederzeit gehört werden; er kann Anträge
stellen und vor allem Rechtsmittel gegen unrichtige Einschätzung einlegen. Der
Regierungskommissar hat die fiskalischen Interessen zu vertreten und auf eine
den gesetzlichen Vorschriften genau entsprechende, volle und also gerechte Ein¬
schätzung zu halten. Wenn ihn seine Amtspflicht mit einzelnen steuerscheuen
Kreiseingesessenen in Widerspruch bringt, so kann er das ruhig tragen; denn
er hat mit ihnen sonst nichts zu tun. Ja, ihm gegenüber wird die Unzufriedenheit
gar nicht so tief gehen, weil jedermann weiß, daß er nur seine Pflicht tut,
während man von dem Landrat allerlei Rücksicht erwartet. Neben diesem
Regierungskommissar würde der Landrat dann nur die allgemeine Leitung des
Veranlagungsgeschäfts haben, er würde nicht dauernd mit seinen Kreiseingesessenen
in Streit und Widerspruch geraten, sondern ihm würde die sehr viel angenehmere
Aufgabe zukommen, bei Streitigkeiten mit dem Regierungskomnnssar zu ver¬
mitteln und auszugleichen. Selbstverständlich wäre es nicht nötig, daß für jeden
Landratskreis ein besonderer Regierungskommissar bestellt wird; es würde sür
niehrere Kreise ein Kommissar bestellt und dadurch auch eine gleichmäßige Praxis
herbeigeführt werden.

Durch die Einsetzung eines Regierungskommissars würden keinerlei Interessen
geschädigt oder bedroht werden; aber es würde eine Garantie geschaffen werden
für eine gleichmäßige und volle, also gerechte Einschätzung aller Steuerpflichtigen,
und das Gesamtergebnis der Einkommensteuer würde zweifellos ein besseres
werden.---

Die Junggesellensteuer ist oft vorgeschlagen, früher stets abgelehnt,
jetzt wird sie doch ernsthaft besprochen. Was hat man nicht alles zu ihren
Gunsten angeführt? Sie soll dein Staat nicht nur Geld zuführen, sondern auch
die Hagestolzen dazu bringen, eine Ehe zu schließen. Die Familie sei die
notwendige Grundlage des Staates, die Ehelosen seien minderwertig, sie zeigen


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[0105] Reichsspiegel ist, so kann er sich darüber doch nicht so leicht hinwegsetzen. Denn die Kreiseingesessenen, die sich bei den Einschätzungsverhandlungen verärgert haben, braucht der Landrat bei anderen Kreisangelegenheiten, und es ist leicht möglich, daß sie dann versagen. Besonders schlimm wird das, wenn die Verärgerten einflußreiche Leute im Kreise sind. Der Landrat ist also durch den Vorsitz in der Veranlagungskommission in die Lage versetzt, sich jährlich bei der Steuer¬ einschätzung mit denjenigen Personen zu verärgern, mit denen er zur Förderung anderer Kreisangelegenheiten in Eintracht zusammenarbeiten soll. Es kann dem Landrat in dieser Lage nicht so sehr verdacht werden, wenn er ausweicht und nachgiebig ist. Diese Nachgiebigkeit des Vorsitzenden der Veranlagungskommission aber, die den Neigungen der Steuerpflichtige» sich anpaßt, muß zu einer laxen Praxis führen, zu Einschätzungen, die hinter der Wahrheit zurückbleiben. Da scheint mir folgender Weg gangbar: Für die Veranlagungskommisfion wird die Stellung eines Regierungskommissars geschaffen, der bei der Veranlagung mitwirkt. Der Kommissar nimmt an den Sitzungen der Kommission teil, er hat kein Stimmrecht, muß aber jederzeit gehört werden; er kann Anträge stellen und vor allem Rechtsmittel gegen unrichtige Einschätzung einlegen. Der Regierungskommissar hat die fiskalischen Interessen zu vertreten und auf eine den gesetzlichen Vorschriften genau entsprechende, volle und also gerechte Ein¬ schätzung zu halten. Wenn ihn seine Amtspflicht mit einzelnen steuerscheuen Kreiseingesessenen in Widerspruch bringt, so kann er das ruhig tragen; denn er hat mit ihnen sonst nichts zu tun. Ja, ihm gegenüber wird die Unzufriedenheit gar nicht so tief gehen, weil jedermann weiß, daß er nur seine Pflicht tut, während man von dem Landrat allerlei Rücksicht erwartet. Neben diesem Regierungskommissar würde der Landrat dann nur die allgemeine Leitung des Veranlagungsgeschäfts haben, er würde nicht dauernd mit seinen Kreiseingesessenen in Streit und Widerspruch geraten, sondern ihm würde die sehr viel angenehmere Aufgabe zukommen, bei Streitigkeiten mit dem Regierungskomnnssar zu ver¬ mitteln und auszugleichen. Selbstverständlich wäre es nicht nötig, daß für jeden Landratskreis ein besonderer Regierungskommissar bestellt wird; es würde sür niehrere Kreise ein Kommissar bestellt und dadurch auch eine gleichmäßige Praxis herbeigeführt werden. Durch die Einsetzung eines Regierungskommissars würden keinerlei Interessen geschädigt oder bedroht werden; aber es würde eine Garantie geschaffen werden für eine gleichmäßige und volle, also gerechte Einschätzung aller Steuerpflichtigen, und das Gesamtergebnis der Einkommensteuer würde zweifellos ein besseres werden.--- Die Junggesellensteuer ist oft vorgeschlagen, früher stets abgelehnt, jetzt wird sie doch ernsthaft besprochen. Was hat man nicht alles zu ihren Gunsten angeführt? Sie soll dein Staat nicht nur Geld zuführen, sondern auch die Hagestolzen dazu bringen, eine Ehe zu schließen. Die Familie sei die notwendige Grundlage des Staates, die Ehelosen seien minderwertig, sie zeigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/105>, abgerufen am 29.06.2024.