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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Carl Hauptman"

durchaus. Die Sieghaftigkeit einer reinen Natur, die mit lauterem Licht leuchtende
Zartheit eines starken, sich nie ganz verlierenden Menschen wird uns klar und lieb.
"Freude und Leiden/' heißt es da einmal, "sind aus einem Grund und kommen
beide aus Tiefen, die uns Kraft geben und unsere Wege mit lebendigem Sinn
bedecken wie der Frühling mit Blumen. Nicht jedem ist geschenkt, in Gründe
zu tauchen. Nicht jeder ist gewürdigt, aus der Tiefe zu schöpfen, nicht in Freuden,
nicht im Leiden. Aber Mathilde war Eine." Und dadurch, daß diese feine und
eigentümliche Gestalt durch ihres Dichters reife und reiche Seelenkunde ganz die
unsers wird, bekommen auch wir selbst etwas ab von dieser Fähigkeit, auf die
leisen Töne zu lauschen, die unter der Oberfläche leben und beben. Wie in Wilhelm
Specks "Zwei Seelen" die stillen Wasser rinnen, Tropfen auf Tropfen, so rieseln
sie auch in "Mathilde". Hauptmanns Stil ist freilich weit preziöser als der Specks,
aber diese oft seltsam gesteigerte Sprache hat ihren nicht geringen Reiz und gleitet
oft wie von selbst ins rein Lyrische hinüber. So erscheint denn der wundervolle
Ostergesang, der das Buch schmückt, wie aus ihm heraus geboren:


Blüten! Blüten! Die kaum geöffneten, zagen --
Ewige Wunder blühen und klingen und sagen:

"Ja, der Lebendige wacht."
Bäche tosen in schäumenden Ufer" zu Tale.
Tausend Stimmen jauchzen!

"Mit einem Male

Schwanden Tod und Nacht!"
Wieder, wie wenn heilige Feuer lohten
Über Gräbern Männer in glänzenden Kleidern --:

"Engel!"
Und ein Ewiger spricht:

"Weinet nicht!

Suchet nimmer den Lebendigen
Unter Toten!"


Mit solchen, tief innerlich errungenen Versen führte Carl Hauptmann dies Werk
auf die Höhe, eine Höhe, auf der es leider viel zu wenig gewürdigt, viel zu oft
übersehen worden ist. Er hatte in der "Mathilde" gezeigt, wie weit seine epischen
Gaben, die er so oft miniaturhaft verwendet hatte, zusammengehen konnten zum
breiteren Bilde, ohne daß dabei der lyrische Gehalt seines Wesens zu kurz kam.

Nicht sehr früh ist Carl Hauptmann von der Wissenschaft (er war ein Schüler
von Richard Avenarius und Ernst Haeckel) zur Dichtung gekommen -- die "Marianne"
war sein erstes Werk. Und es ist dann nicht selten so, daß der reife Mann als
Dichter es nicht eilig hat, sich gleich durchdringend auf einem Felde zu bewähren.
So stehen die Höhepunkte dieses Schaffens, der feine Entwicklungsroman "Mathilde"
und das große Religionsdrama "Moses" scheinbar unvermittelt nebeneinander.
Aber doch nur scheinbar: denn in beiden lebt das Licht von innen, das sich in
keinem Hauptmannschen Werk verleugnet, ein Streben nach innerer Beseelung, daS
über den äußeren Rahmen des gewählten Stoffes nicht unkünstlerisch hinaufstrebt,
da erst die Meisterschaft erreicht ist, sondern sich bemüht, nach innen hin ihm so
viel abzugewinnen, wie überhaupt nur möglich. Darum gerade war Hauptmann


Carl Hauptman»

durchaus. Die Sieghaftigkeit einer reinen Natur, die mit lauterem Licht leuchtende
Zartheit eines starken, sich nie ganz verlierenden Menschen wird uns klar und lieb.
„Freude und Leiden/' heißt es da einmal, „sind aus einem Grund und kommen
beide aus Tiefen, die uns Kraft geben und unsere Wege mit lebendigem Sinn
bedecken wie der Frühling mit Blumen. Nicht jedem ist geschenkt, in Gründe
zu tauchen. Nicht jeder ist gewürdigt, aus der Tiefe zu schöpfen, nicht in Freuden,
nicht im Leiden. Aber Mathilde war Eine." Und dadurch, daß diese feine und
eigentümliche Gestalt durch ihres Dichters reife und reiche Seelenkunde ganz die
unsers wird, bekommen auch wir selbst etwas ab von dieser Fähigkeit, auf die
leisen Töne zu lauschen, die unter der Oberfläche leben und beben. Wie in Wilhelm
Specks „Zwei Seelen" die stillen Wasser rinnen, Tropfen auf Tropfen, so rieseln
sie auch in „Mathilde". Hauptmanns Stil ist freilich weit preziöser als der Specks,
aber diese oft seltsam gesteigerte Sprache hat ihren nicht geringen Reiz und gleitet
oft wie von selbst ins rein Lyrische hinüber. So erscheint denn der wundervolle
Ostergesang, der das Buch schmückt, wie aus ihm heraus geboren:


Blüten! Blüten! Die kaum geöffneten, zagen —
Ewige Wunder blühen und klingen und sagen:

„Ja, der Lebendige wacht."
Bäche tosen in schäumenden Ufer» zu Tale.
Tausend Stimmen jauchzen!

„Mit einem Male

Schwanden Tod und Nacht!"
Wieder, wie wenn heilige Feuer lohten
Über Gräbern Männer in glänzenden Kleidern —:

„Engel!"
Und ein Ewiger spricht:

„Weinet nicht!

Suchet nimmer den Lebendigen
Unter Toten!"


Mit solchen, tief innerlich errungenen Versen führte Carl Hauptmann dies Werk
auf die Höhe, eine Höhe, auf der es leider viel zu wenig gewürdigt, viel zu oft
übersehen worden ist. Er hatte in der „Mathilde" gezeigt, wie weit seine epischen
Gaben, die er so oft miniaturhaft verwendet hatte, zusammengehen konnten zum
breiteren Bilde, ohne daß dabei der lyrische Gehalt seines Wesens zu kurz kam.

Nicht sehr früh ist Carl Hauptmann von der Wissenschaft (er war ein Schüler
von Richard Avenarius und Ernst Haeckel) zur Dichtung gekommen — die „Marianne"
war sein erstes Werk. Und es ist dann nicht selten so, daß der reife Mann als
Dichter es nicht eilig hat, sich gleich durchdringend auf einem Felde zu bewähren.
So stehen die Höhepunkte dieses Schaffens, der feine Entwicklungsroman „Mathilde"
und das große Religionsdrama „Moses" scheinbar unvermittelt nebeneinander.
Aber doch nur scheinbar: denn in beiden lebt das Licht von innen, das sich in
keinem Hauptmannschen Werk verleugnet, ein Streben nach innerer Beseelung, daS
über den äußeren Rahmen des gewählten Stoffes nicht unkünstlerisch hinaufstrebt,
da erst die Meisterschaft erreicht ist, sondern sich bemüht, nach innen hin ihm so
viel abzugewinnen, wie überhaupt nur möglich. Darum gerade war Hauptmann


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[0094] Carl Hauptman» durchaus. Die Sieghaftigkeit einer reinen Natur, die mit lauterem Licht leuchtende Zartheit eines starken, sich nie ganz verlierenden Menschen wird uns klar und lieb. „Freude und Leiden/' heißt es da einmal, „sind aus einem Grund und kommen beide aus Tiefen, die uns Kraft geben und unsere Wege mit lebendigem Sinn bedecken wie der Frühling mit Blumen. Nicht jedem ist geschenkt, in Gründe zu tauchen. Nicht jeder ist gewürdigt, aus der Tiefe zu schöpfen, nicht in Freuden, nicht im Leiden. Aber Mathilde war Eine." Und dadurch, daß diese feine und eigentümliche Gestalt durch ihres Dichters reife und reiche Seelenkunde ganz die unsers wird, bekommen auch wir selbst etwas ab von dieser Fähigkeit, auf die leisen Töne zu lauschen, die unter der Oberfläche leben und beben. Wie in Wilhelm Specks „Zwei Seelen" die stillen Wasser rinnen, Tropfen auf Tropfen, so rieseln sie auch in „Mathilde". Hauptmanns Stil ist freilich weit preziöser als der Specks, aber diese oft seltsam gesteigerte Sprache hat ihren nicht geringen Reiz und gleitet oft wie von selbst ins rein Lyrische hinüber. So erscheint denn der wundervolle Ostergesang, der das Buch schmückt, wie aus ihm heraus geboren: Blüten! Blüten! Die kaum geöffneten, zagen — Ewige Wunder blühen und klingen und sagen: „Ja, der Lebendige wacht." Bäche tosen in schäumenden Ufer» zu Tale. Tausend Stimmen jauchzen! „Mit einem Male Schwanden Tod und Nacht!" Wieder, wie wenn heilige Feuer lohten Über Gräbern Männer in glänzenden Kleidern —: „Engel!" Und ein Ewiger spricht: „Weinet nicht! Suchet nimmer den Lebendigen Unter Toten!" Mit solchen, tief innerlich errungenen Versen führte Carl Hauptmann dies Werk auf die Höhe, eine Höhe, auf der es leider viel zu wenig gewürdigt, viel zu oft übersehen worden ist. Er hatte in der „Mathilde" gezeigt, wie weit seine epischen Gaben, die er so oft miniaturhaft verwendet hatte, zusammengehen konnten zum breiteren Bilde, ohne daß dabei der lyrische Gehalt seines Wesens zu kurz kam. Nicht sehr früh ist Carl Hauptmann von der Wissenschaft (er war ein Schüler von Richard Avenarius und Ernst Haeckel) zur Dichtung gekommen — die „Marianne" war sein erstes Werk. Und es ist dann nicht selten so, daß der reife Mann als Dichter es nicht eilig hat, sich gleich durchdringend auf einem Felde zu bewähren. So stehen die Höhepunkte dieses Schaffens, der feine Entwicklungsroman „Mathilde" und das große Religionsdrama „Moses" scheinbar unvermittelt nebeneinander. Aber doch nur scheinbar: denn in beiden lebt das Licht von innen, das sich in keinem Hauptmannschen Werk verleugnet, ein Streben nach innerer Beseelung, daS über den äußeren Rahmen des gewählten Stoffes nicht unkünstlerisch hinaufstrebt, da erst die Meisterschaft erreicht ist, sondern sich bemüht, nach innen hin ihm so viel abzugewinnen, wie überhaupt nur möglich. Darum gerade war Hauptmann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/94>, abgerufen am 27.09.2024.