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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Der Beichtvater eines Kaiserpaares

das vorteilhafteste von dem Bildungsgrade des mexikanischen Durchschnitts¬
klerikers abstach.

Fischer hat offenbar den Versuchen zu seiner "Bekehrung" nur wenig Wider¬
stand entgegengesetzt, scheint es ihm doch schon bald in Parras klar geworden
zu sein, daß ihm der geistliche Stand größere Gelegenheit zur Entfaltung seiner
Fähigkeiten darbot als selbst die Advokatenpraxis.

Eines Tages kam der junge geistliche Hüne bei Gelegenheit einer amtlichen
Reise im Auftrag seines Bischofs nach einer benachbarten Stadt im Staate
Coahuila, wo er gastliche Aufnahme im Hanse eines deutschen Landsmannes
gefunden hatte, der dort an der Spitze einer angesehenen Firma stand. Hier
zeigte sich abermals, welche geradezu unheimliche Gewalt dieser Priester auf seine
Mitmenschen -- und zwar ganz besonders auf die Frauen -- auszuüben ver¬
mochte. Schon bei dem zweiten Besuche Fischers im Hause jenes deutschen
Kaufmanns, des Herrn Becker, war dessen Frau dem hypnotisch wirkenden Ein¬
flüsse des Priesters so völlig willenlos verfallen, daß sie seiner Forderung, ihm
zu folgen, widerstandslos nachgab. Die schon über die erste Jugend hinaus¬
gekommene Frau, deren Leben sich bis dahin abgespielt hatte, ohne daß ihr auch
nur der geringste "Schritt vom Wege" in den Sinn gekommen wäre, erklärte
ihrem darob völlig verzweifelten Gatten eines schonen Tages mit eisiger Ruhe,
sie müsse ihn und ihre Kinder verlassen, um jenen: Manne zu folgen, an den
das Schicksal sie nun einmal mit eisernen Klammern gefesselt habe. Die
Ungeheuerlichkeit dieses Schrittes, dieses Hembsteigens aus der Sphäre der bis¬
herigen strengen Ehrbarkeit des deutschen Kaufmannshauses mit seiner auch noch
im Auslande kühlen Bremenser Gefühlstemperatur schien ihr dabei gar nicht
zum Bewußtsein zu kommen. Und selbst wenn das geschehen wäre, so war die
Zwangsvorstellung, unter welcher sie stand, viel zu mächtig, als daß andere
Empfindungen, Erwägungen oder Betrachtungen auf diesen Schritt irgendwelchen
Einfluß ausüben konnten!

So zog denn Frau Becker, die stattliche schöne Blondine, in die Pfarre
des Cura Fischer als "Hausdame" ein, als ernst und sorglich waltende Schaffnerin,
die, so willenlos sie auch sonst unter dem Einflüsse des priesterlichen Geliebten
stand, doch auch wieder durch ihren Einfluß mildernd und sünftigend auf die
wüsten Neigungen des sich schon lange vor Nietzsche als "Übermenschen"
fühlenden Mannes einzuwirken verstand -- und sei es auch nur durch eine
Handbewegung, durch einen Blick...

Wieder vergingen die Jahre, und die Zeit begann dem tatendurstigen
"Manne in den besten Jahren", der das Pfarrhaus in dem von der großen
Heerstraße etwas abgelegenen Parras bewohnte, bereits etwas lang zu werden.
Jedenfalls sehnte er sich bereits stark wieder nach Abwechslung, als dieser Wunsch
in einer für ihn ganz ungeahnten Weise in Erfüllung gehen sollte.

Die Franzosen kamen ins Land und oktroyierten dem mexikanischen Volke unter
Beihilfe der klerikalen Partei den Erzherzog Maximilian von Österreich als Kaiser auf.


Grenzboten I 1912 ^
Der Beichtvater eines Kaiserpaares

das vorteilhafteste von dem Bildungsgrade des mexikanischen Durchschnitts¬
klerikers abstach.

Fischer hat offenbar den Versuchen zu seiner „Bekehrung" nur wenig Wider¬
stand entgegengesetzt, scheint es ihm doch schon bald in Parras klar geworden
zu sein, daß ihm der geistliche Stand größere Gelegenheit zur Entfaltung seiner
Fähigkeiten darbot als selbst die Advokatenpraxis.

Eines Tages kam der junge geistliche Hüne bei Gelegenheit einer amtlichen
Reise im Auftrag seines Bischofs nach einer benachbarten Stadt im Staate
Coahuila, wo er gastliche Aufnahme im Hanse eines deutschen Landsmannes
gefunden hatte, der dort an der Spitze einer angesehenen Firma stand. Hier
zeigte sich abermals, welche geradezu unheimliche Gewalt dieser Priester auf seine
Mitmenschen — und zwar ganz besonders auf die Frauen — auszuüben ver¬
mochte. Schon bei dem zweiten Besuche Fischers im Hause jenes deutschen
Kaufmanns, des Herrn Becker, war dessen Frau dem hypnotisch wirkenden Ein¬
flüsse des Priesters so völlig willenlos verfallen, daß sie seiner Forderung, ihm
zu folgen, widerstandslos nachgab. Die schon über die erste Jugend hinaus¬
gekommene Frau, deren Leben sich bis dahin abgespielt hatte, ohne daß ihr auch
nur der geringste „Schritt vom Wege" in den Sinn gekommen wäre, erklärte
ihrem darob völlig verzweifelten Gatten eines schonen Tages mit eisiger Ruhe,
sie müsse ihn und ihre Kinder verlassen, um jenen: Manne zu folgen, an den
das Schicksal sie nun einmal mit eisernen Klammern gefesselt habe. Die
Ungeheuerlichkeit dieses Schrittes, dieses Hembsteigens aus der Sphäre der bis¬
herigen strengen Ehrbarkeit des deutschen Kaufmannshauses mit seiner auch noch
im Auslande kühlen Bremenser Gefühlstemperatur schien ihr dabei gar nicht
zum Bewußtsein zu kommen. Und selbst wenn das geschehen wäre, so war die
Zwangsvorstellung, unter welcher sie stand, viel zu mächtig, als daß andere
Empfindungen, Erwägungen oder Betrachtungen auf diesen Schritt irgendwelchen
Einfluß ausüben konnten!

So zog denn Frau Becker, die stattliche schöne Blondine, in die Pfarre
des Cura Fischer als „Hausdame" ein, als ernst und sorglich waltende Schaffnerin,
die, so willenlos sie auch sonst unter dem Einflüsse des priesterlichen Geliebten
stand, doch auch wieder durch ihren Einfluß mildernd und sünftigend auf die
wüsten Neigungen des sich schon lange vor Nietzsche als „Übermenschen"
fühlenden Mannes einzuwirken verstand — und sei es auch nur durch eine
Handbewegung, durch einen Blick...

Wieder vergingen die Jahre, und die Zeit begann dem tatendurstigen
„Manne in den besten Jahren", der das Pfarrhaus in dem von der großen
Heerstraße etwas abgelegenen Parras bewohnte, bereits etwas lang zu werden.
Jedenfalls sehnte er sich bereits stark wieder nach Abwechslung, als dieser Wunsch
in einer für ihn ganz ungeahnten Weise in Erfüllung gehen sollte.

Die Franzosen kamen ins Land und oktroyierten dem mexikanischen Volke unter
Beihilfe der klerikalen Partei den Erzherzog Maximilian von Österreich als Kaiser auf.


Grenzboten I 1912 ^
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[0085] Der Beichtvater eines Kaiserpaares das vorteilhafteste von dem Bildungsgrade des mexikanischen Durchschnitts¬ klerikers abstach. Fischer hat offenbar den Versuchen zu seiner „Bekehrung" nur wenig Wider¬ stand entgegengesetzt, scheint es ihm doch schon bald in Parras klar geworden zu sein, daß ihm der geistliche Stand größere Gelegenheit zur Entfaltung seiner Fähigkeiten darbot als selbst die Advokatenpraxis. Eines Tages kam der junge geistliche Hüne bei Gelegenheit einer amtlichen Reise im Auftrag seines Bischofs nach einer benachbarten Stadt im Staate Coahuila, wo er gastliche Aufnahme im Hanse eines deutschen Landsmannes gefunden hatte, der dort an der Spitze einer angesehenen Firma stand. Hier zeigte sich abermals, welche geradezu unheimliche Gewalt dieser Priester auf seine Mitmenschen — und zwar ganz besonders auf die Frauen — auszuüben ver¬ mochte. Schon bei dem zweiten Besuche Fischers im Hause jenes deutschen Kaufmanns, des Herrn Becker, war dessen Frau dem hypnotisch wirkenden Ein¬ flüsse des Priesters so völlig willenlos verfallen, daß sie seiner Forderung, ihm zu folgen, widerstandslos nachgab. Die schon über die erste Jugend hinaus¬ gekommene Frau, deren Leben sich bis dahin abgespielt hatte, ohne daß ihr auch nur der geringste „Schritt vom Wege" in den Sinn gekommen wäre, erklärte ihrem darob völlig verzweifelten Gatten eines schonen Tages mit eisiger Ruhe, sie müsse ihn und ihre Kinder verlassen, um jenen: Manne zu folgen, an den das Schicksal sie nun einmal mit eisernen Klammern gefesselt habe. Die Ungeheuerlichkeit dieses Schrittes, dieses Hembsteigens aus der Sphäre der bis¬ herigen strengen Ehrbarkeit des deutschen Kaufmannshauses mit seiner auch noch im Auslande kühlen Bremenser Gefühlstemperatur schien ihr dabei gar nicht zum Bewußtsein zu kommen. Und selbst wenn das geschehen wäre, so war die Zwangsvorstellung, unter welcher sie stand, viel zu mächtig, als daß andere Empfindungen, Erwägungen oder Betrachtungen auf diesen Schritt irgendwelchen Einfluß ausüben konnten! So zog denn Frau Becker, die stattliche schöne Blondine, in die Pfarre des Cura Fischer als „Hausdame" ein, als ernst und sorglich waltende Schaffnerin, die, so willenlos sie auch sonst unter dem Einflüsse des priesterlichen Geliebten stand, doch auch wieder durch ihren Einfluß mildernd und sünftigend auf die wüsten Neigungen des sich schon lange vor Nietzsche als „Übermenschen" fühlenden Mannes einzuwirken verstand — und sei es auch nur durch eine Handbewegung, durch einen Blick... Wieder vergingen die Jahre, und die Zeit begann dem tatendurstigen „Manne in den besten Jahren", der das Pfarrhaus in dem von der großen Heerstraße etwas abgelegenen Parras bewohnte, bereits etwas lang zu werden. Jedenfalls sehnte er sich bereits stark wieder nach Abwechslung, als dieser Wunsch in einer für ihn ganz ungeahnten Weise in Erfüllung gehen sollte. Die Franzosen kamen ins Land und oktroyierten dem mexikanischen Volke unter Beihilfe der klerikalen Partei den Erzherzog Maximilian von Österreich als Kaiser auf. Grenzboten I 1912 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/85>, abgerufen am 19.10.2024.