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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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täglich wiederholten und nie bestrittenen Behauptung, Englands insulare Lage
erfordere exzeptionelle Maßnahmen. Wir haben diesen Satz so oft gehört und
meist ohne Nachdenken angenommen, daß fast jeder von uns dem insularen
Albion ein besonderes Schutzbedürfnis zubilligt. Stimmt aber der Satz?
Kann England beanspruchen, ruhiger und sorglicher zu leben als jeder Kon¬
tinentalstaat? Ist wirklich sein Schutzbedürfnis größer, weil ihm eher die
Zufuhr abgeschnitten werden könne? Meiner Ansicht nach ist Deutschland, dem
ein feindliches oder unfreundlich neutrales Frankreich und Rußland die Grenzen
sperren, und dem die englische Flotte die wenigen vorhandenen Häfen blockiert,
in einer weit ungünstigeren Lage, trotzdem der eigene Boden zwei Drittel seiner
Bevölkerung ernähren kann, als England, dessen sämtliche Häfen zu sperren
-- es besitzt etwa die zehnfache Anzahl wie das Deutsche Reich -- keine Flotte
groß genug ist. Gerade die insulare Lage und seine ungeheure Zahl von
Häfen schützt das einer Festung mit Graben vergleichbare England besser als
das Deutsche Reich seine in harter Arbeit erstarkte Wehrmacht.

Nie ist, selbst in schwerer Zeit, England in gleicher Weise wie ein Küsten¬
staat geschädigt oder blockiert worden. Immer ist es reicher geworden durch
den Krieg, stets ist gerade dann Handel und Industrie aufgeblüht. Selbst
eine gleich starke Seemacht könnte nie erfolgreich Englands Seehandel abschneiden,
noch alle seine Häfen blockieren. Für uns besteht diese Gefahr, nicht für England.

Daß Großbritannien der Suprematie auf dem Weltmeer bedürfe, ist ein
verrostetes Wort aus vergangenen Tagen, das kluge Staatskunst immer wieder
aus der Rüstkammer politischer Schlagworte holt, um durch ererbte Formeln
die iinperialistische Politik des britischen Weltreichs zu stützen.




verantwortliche Schriftleiter: für den Politischen Teil der Herausgeber George Cleinow in Schöneberg, für
den literarischen Teil und die Redaktion Heinz Amelung in Wilmersdorf, -- Manuslriptsendungen und Briefe
werden erbeten unter der Adresse:
An den Herausgeber der Grrnzliotrn in Frieden"" bei Berlin, Hcdwigftr. 1".
Fernsprecher der Schristleitung: Amt Pfalzburg S71S, des Verlags: Amt Lützow SS10.
Verlag: Verlag der Grenzboten G> in, b. H. in Berlin SV. II.
Druck: .Der Reichsbote" G, in, S. H. in Berlin SV. 11, Dessauer Strasze SS/S7.


Rlnchsspicgel,

täglich wiederholten und nie bestrittenen Behauptung, Englands insulare Lage
erfordere exzeptionelle Maßnahmen. Wir haben diesen Satz so oft gehört und
meist ohne Nachdenken angenommen, daß fast jeder von uns dem insularen
Albion ein besonderes Schutzbedürfnis zubilligt. Stimmt aber der Satz?
Kann England beanspruchen, ruhiger und sorglicher zu leben als jeder Kon¬
tinentalstaat? Ist wirklich sein Schutzbedürfnis größer, weil ihm eher die
Zufuhr abgeschnitten werden könne? Meiner Ansicht nach ist Deutschland, dem
ein feindliches oder unfreundlich neutrales Frankreich und Rußland die Grenzen
sperren, und dem die englische Flotte die wenigen vorhandenen Häfen blockiert,
in einer weit ungünstigeren Lage, trotzdem der eigene Boden zwei Drittel seiner
Bevölkerung ernähren kann, als England, dessen sämtliche Häfen zu sperren
— es besitzt etwa die zehnfache Anzahl wie das Deutsche Reich — keine Flotte
groß genug ist. Gerade die insulare Lage und seine ungeheure Zahl von
Häfen schützt das einer Festung mit Graben vergleichbare England besser als
das Deutsche Reich seine in harter Arbeit erstarkte Wehrmacht.

Nie ist, selbst in schwerer Zeit, England in gleicher Weise wie ein Küsten¬
staat geschädigt oder blockiert worden. Immer ist es reicher geworden durch
den Krieg, stets ist gerade dann Handel und Industrie aufgeblüht. Selbst
eine gleich starke Seemacht könnte nie erfolgreich Englands Seehandel abschneiden,
noch alle seine Häfen blockieren. Für uns besteht diese Gefahr, nicht für England.

Daß Großbritannien der Suprematie auf dem Weltmeer bedürfe, ist ein
verrostetes Wort aus vergangenen Tagen, das kluge Staatskunst immer wieder
aus der Rüstkammer politischer Schlagworte holt, um durch ererbte Formeln
die iinperialistische Politik des britischen Weltreichs zu stützen.




verantwortliche Schriftleiter: für den Politischen Teil der Herausgeber George Cleinow in Schöneberg, für
den literarischen Teil und die Redaktion Heinz Amelung in Wilmersdorf, — Manuslriptsendungen und Briefe
werden erbeten unter der Adresse:
An den Herausgeber der Grrnzliotrn in Frieden«» bei Berlin, Hcdwigftr. 1».
Fernsprecher der Schristleitung: Amt Pfalzburg S71S, des Verlags: Amt Lützow SS10.
Verlag: Verlag der Grenzboten G> in, b. H. in Berlin SV. II.
Druck: .Der Reichsbote" G, in, S. H. in Berlin SV. 11, Dessauer Strasze SS/S7.


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[0660] Rlnchsspicgel, täglich wiederholten und nie bestrittenen Behauptung, Englands insulare Lage erfordere exzeptionelle Maßnahmen. Wir haben diesen Satz so oft gehört und meist ohne Nachdenken angenommen, daß fast jeder von uns dem insularen Albion ein besonderes Schutzbedürfnis zubilligt. Stimmt aber der Satz? Kann England beanspruchen, ruhiger und sorglicher zu leben als jeder Kon¬ tinentalstaat? Ist wirklich sein Schutzbedürfnis größer, weil ihm eher die Zufuhr abgeschnitten werden könne? Meiner Ansicht nach ist Deutschland, dem ein feindliches oder unfreundlich neutrales Frankreich und Rußland die Grenzen sperren, und dem die englische Flotte die wenigen vorhandenen Häfen blockiert, in einer weit ungünstigeren Lage, trotzdem der eigene Boden zwei Drittel seiner Bevölkerung ernähren kann, als England, dessen sämtliche Häfen zu sperren — es besitzt etwa die zehnfache Anzahl wie das Deutsche Reich — keine Flotte groß genug ist. Gerade die insulare Lage und seine ungeheure Zahl von Häfen schützt das einer Festung mit Graben vergleichbare England besser als das Deutsche Reich seine in harter Arbeit erstarkte Wehrmacht. Nie ist, selbst in schwerer Zeit, England in gleicher Weise wie ein Küsten¬ staat geschädigt oder blockiert worden. Immer ist es reicher geworden durch den Krieg, stets ist gerade dann Handel und Industrie aufgeblüht. Selbst eine gleich starke Seemacht könnte nie erfolgreich Englands Seehandel abschneiden, noch alle seine Häfen blockieren. Für uns besteht diese Gefahr, nicht für England. Daß Großbritannien der Suprematie auf dem Weltmeer bedürfe, ist ein verrostetes Wort aus vergangenen Tagen, das kluge Staatskunst immer wieder aus der Rüstkammer politischer Schlagworte holt, um durch ererbte Formeln die iinperialistische Politik des britischen Weltreichs zu stützen. verantwortliche Schriftleiter: für den Politischen Teil der Herausgeber George Cleinow in Schöneberg, für den literarischen Teil und die Redaktion Heinz Amelung in Wilmersdorf, — Manuslriptsendungen und Briefe werden erbeten unter der Adresse: An den Herausgeber der Grrnzliotrn in Frieden«» bei Berlin, Hcdwigftr. 1». Fernsprecher der Schristleitung: Amt Pfalzburg S71S, des Verlags: Amt Lützow SS10. Verlag: Verlag der Grenzboten G> in, b. H. in Berlin SV. II. Druck: .Der Reichsbote" G, in, S. H. in Berlin SV. 11, Dessauer Strasze SS/S7.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/660>, abgerufen am 20.10.2024.