Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.Reichsspiegel soll, die der sorgsame Neichssückelmeister hier und da zuwege gebracht Hai. Herr Die liberale Presse hat den scheidenden Staatssekretär bejubelt! Hat Man wird mir einwenden, solche Forderung hieße den Parlamen¬ Reichsspiegel soll, die der sorgsame Neichssückelmeister hier und da zuwege gebracht Hai. Herr Die liberale Presse hat den scheidenden Staatssekretär bejubelt! Hat Man wird mir einwenden, solche Forderung hieße den Parlamen¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0650" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321067"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_3024" prev="#ID_3023"> soll, die der sorgsame Neichssückelmeister hier und da zuwege gebracht Hai. Herr<lb/> Wermuth wollte die finanzielle Kriegsbereitschaft des Reichs sicherstellen, die<lb/> Einflüsse der Konservativen und des Zentrums im Bundesrate haben sich dieser<lb/> gesunden Absicht entgegengestellt, und deshalb hat er es vorgezogen, seinen Posten<lb/> aufzugeben.</p><lb/> <p xml:id="ID_3025"> Die liberale Presse hat den scheidenden Staatssekretär bejubelt! Hat<lb/> sie einen besonderen Grund dafür? Es möchte mir fast scheinen, als sei<lb/> der Jubel nicht oder noch nicht am Platze. Es wurde schon bemerkt, daß der<lb/> Rücktritt in erster Linie dem Zentrum zugute kommt, da er die Negierung gegen¬<lb/> über dieser Partei schwächt. Die Haltung der liberalen Presse erweckt daher<lb/> den Eindruck besonders zur Schau getragener Schadenfreude, ähnlich wie es<lb/> beim Ausscheiden von Lindequist der Fall war. Hat aber Lindequist aus<lb/> feinem Rücktritt Folgerungen gezogen, die die Liberalen veranlassen konnten,<lb/> ihn als ihren Mann zu betrachten? Hat er sich irgend einer Organisation zur<lb/> Verfügung gestellt, um das von ihm so scharf kritisierte System zu verbessern?<lb/> Es ist nichts davon bekannt geworden. Wird Herr Wermuth ähnlich verfahren?<lb/> Soll es nicht scheinen, als wäre gekränkte Eitelkeit maßgebend für den Schritt<lb/> Wermuths gewesen, dann müßte er offenen Anschluß an eine der Parteien finden,<lb/> die seine Politik zur Amtszeit unterstützte. Das wäre die politische Tat eines<lb/> für das Wohl des Vaterlandes kämpfenden Staatsmannes! Findet er aber den<lb/> Weg zu einen: solchen Entschluß nicht, so stünde er vor der Öffentlichkeit und vor<lb/> der Geschichte größer und glänzender da, wenn er trotz der bestehenden Meinungs¬<lb/> verschiedenheiten fest am Beamtenstandpunkt hielt und von feinem Platze neben<lb/> dem Kanzler nicht wicht</p><lb/> <p xml:id="ID_3026"> Man wird mir einwenden, solche Forderung hieße den Parlamen¬<lb/> tarismus begünstige». Doch man bedenke: der Kryptoparlamentarismus,<lb/> der gegenwärtig in Deutschland besteht, zerstört die gesunden Kräfte in der<lb/> Bureaukratie, ohne der Negierung die Möglichkeit zu geben, statt ihrer<lb/> neue aus den Parteien heraufzuziehen. Darunter leiden Regierung und Par¬<lb/> teien in gleichem Maße. Der gegenwärtige Zustand ist ruinös für alle bürger¬<lb/> lichen Parteien, dessen sollen auch die Konservativen eingedenk sein, er bedeutet<lb/> eine ernste Gefahr für den bürgerlichen Staat mit samt der Monarchie. Ist<lb/> es für ein an geistigen Kräften so reiches Volk, wie das deutsche, nicht fast ein<lb/> unwürdiger Zustand, wenn in den höchsten Kreisen das Wort die Runde machen<lb/> kann, ohne auf Widerspruch zu stoßen: Herr v. Bethmann sitze so fest im Sattel,<lb/> lediglich weil nirgends ein Mann für seinen Posten auffindbar?! Darum wäre<lb/> ein offen auf der Moral selbständiger Staatsauffassungen emporgcwachsener<lb/> Parlamentarismus zehmal gesünder als der heimliche, in dem, wie jetzt, nur<lb/> die durch Kliquen und Hintertüren arbeitenden Parteien zu Worte kommen!<lb/> Damm heraus aus den alten Vorstellungen und Vorurteilen!</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0650]
Reichsspiegel
soll, die der sorgsame Neichssückelmeister hier und da zuwege gebracht Hai. Herr
Wermuth wollte die finanzielle Kriegsbereitschaft des Reichs sicherstellen, die
Einflüsse der Konservativen und des Zentrums im Bundesrate haben sich dieser
gesunden Absicht entgegengestellt, und deshalb hat er es vorgezogen, seinen Posten
aufzugeben.
Die liberale Presse hat den scheidenden Staatssekretär bejubelt! Hat
sie einen besonderen Grund dafür? Es möchte mir fast scheinen, als sei
der Jubel nicht oder noch nicht am Platze. Es wurde schon bemerkt, daß der
Rücktritt in erster Linie dem Zentrum zugute kommt, da er die Negierung gegen¬
über dieser Partei schwächt. Die Haltung der liberalen Presse erweckt daher
den Eindruck besonders zur Schau getragener Schadenfreude, ähnlich wie es
beim Ausscheiden von Lindequist der Fall war. Hat aber Lindequist aus
feinem Rücktritt Folgerungen gezogen, die die Liberalen veranlassen konnten,
ihn als ihren Mann zu betrachten? Hat er sich irgend einer Organisation zur
Verfügung gestellt, um das von ihm so scharf kritisierte System zu verbessern?
Es ist nichts davon bekannt geworden. Wird Herr Wermuth ähnlich verfahren?
Soll es nicht scheinen, als wäre gekränkte Eitelkeit maßgebend für den Schritt
Wermuths gewesen, dann müßte er offenen Anschluß an eine der Parteien finden,
die seine Politik zur Amtszeit unterstützte. Das wäre die politische Tat eines
für das Wohl des Vaterlandes kämpfenden Staatsmannes! Findet er aber den
Weg zu einen: solchen Entschluß nicht, so stünde er vor der Öffentlichkeit und vor
der Geschichte größer und glänzender da, wenn er trotz der bestehenden Meinungs¬
verschiedenheiten fest am Beamtenstandpunkt hielt und von feinem Platze neben
dem Kanzler nicht wicht
Man wird mir einwenden, solche Forderung hieße den Parlamen¬
tarismus begünstige». Doch man bedenke: der Kryptoparlamentarismus,
der gegenwärtig in Deutschland besteht, zerstört die gesunden Kräfte in der
Bureaukratie, ohne der Negierung die Möglichkeit zu geben, statt ihrer
neue aus den Parteien heraufzuziehen. Darunter leiden Regierung und Par¬
teien in gleichem Maße. Der gegenwärtige Zustand ist ruinös für alle bürger¬
lichen Parteien, dessen sollen auch die Konservativen eingedenk sein, er bedeutet
eine ernste Gefahr für den bürgerlichen Staat mit samt der Monarchie. Ist
es für ein an geistigen Kräften so reiches Volk, wie das deutsche, nicht fast ein
unwürdiger Zustand, wenn in den höchsten Kreisen das Wort die Runde machen
kann, ohne auf Widerspruch zu stoßen: Herr v. Bethmann sitze so fest im Sattel,
lediglich weil nirgends ein Mann für seinen Posten auffindbar?! Darum wäre
ein offen auf der Moral selbständiger Staatsauffassungen emporgcwachsener
Parlamentarismus zehmal gesünder als der heimliche, in dem, wie jetzt, nur
die durch Kliquen und Hintertüren arbeitenden Parteien zu Worte kommen!
Damm heraus aus den alten Vorstellungen und Vorurteilen!
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |