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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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und Zentrum die Klingen kreuzen. Damals wurde Herrn Stubei die vom
Reichskanzler gewünschte Frist (um seinen in Aussicht genommenen Nachfolger,
den Grafen Götzen, einzuarbeiten) nicht gewährt. Damals war es Herr Erz-
berger, der durch seinen Artikel in Nummer 721 der Kölnischen Volkszeitung
von: 1. September 1905 Herrn Stubet zur schleunigen Flucht veranlaßte, um
so zu verhindern, daß dieser kenntnisreiche Beamte noch nährend der Kolonml-
debatten im Reichstage erscheinen konnte. Die Regierung mußte nachgeben.
Die Klammern des Zentrums hatten sich in den vorausgegangenen fünf Jahren
so fest um die Reichsregierung gelegt, daß es ein Entrinnen nicht mehr gab.
Grober ward 1903 durch Herrn Spahns Vermittlung zum Mitregenten in
Württemberg bestellt, Freiherr v. Hertling übernahm 1904 eine Art Spezial-
mission in Rom. und die Stellung dieses Parteimannes war so bedeutsam, daß
der preußische Gesandte einem Freunde resigniert sagen mußte, er bringe den
nötigen guten Beziehungen der Regierung zu Zentrum und Kurie schwere
persönliche Opfer! 1905 forderte Herr Spahn den Posten eines Oberlandes¬
gerichtspräsidenten in Stettin, wenn er bei dessen Freiwerdung "alsdann den
Wunsch haben sollte".

Die Macht des Ultramontanismus ist seit 1905 nicht geringer geworden,
und die Gaben, die der Reichskanzler gegenwärtig aus seiner Hand nehmen
muß. wird er als preußischer Ministerpräsident mit Shylockzinsen bezahlen
müssen.

Es ist seitens der Beteiligten abgeleugnet worden, daß der Rücktritt des
Neichssekretärs Wermuth eine neue Machtoffenbarung der Zentrumspartei
bedeutet. Man braucht sich indessen nur daran zu erinnern, wie Herr Speck
im Reichstage, Freiherr v. Hertling bei seiner Antrittsrede im Bayerischen
Landtage und die Germania die Erbschaftssteuerabsichten des Reichskanzlers
behandelten, um die nachträglichen Unschuldsbeteuernngen auf das richtige Maß
zurückführen zu können. Wie es seinerzeit in erster Linie galt, die Position
der Negierung zu schwächen, als man den sachverständigen Stubei in die
Flucht trieb, so galt es auch diesmal, Herrn v. Bethmann seines energischen
und tüchtigen Finanzsekretärs zu berauben, um alsdann den Reichskanzler um
so sicherer zur Anlehnung an die Finanzautoritäten des Zentrums zu zwingen.
Herr Kühn, der Nachfolger Wermuths, wird als ein selbstsicherer Mann von
Kenntnissen gerühmt, sein erstes Auftreten im Reichstage machte einen guten
Eindruck, dennoch darf seine Stellung von dem Augenblick an als erschüttert
gelten, in dem er mit seinen Auffassungen in Gegensatz zu Herrn Erzberger gerät.

Herrn Wermuths Rücktritt erfolgte, weil er die volle Deckung der Mehr¬
ausgaben durch neue Steuern nicht zu erzwingen vermochte. In der entscheidenden
Sitzung des Bundesrath sah er sich einem fertigen Kompromiß gegenübergestellt, der
unter Benutzung einer von Erzberger ausgearbeiteten Denkschrift nur einen Teil
der Ausgaben durch neue Steuern decken will (u. a. Preisgabe der sogenannten
Branntweinliebesgabe), während der Rest aus den Ersparnissen beschafft werden


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und Zentrum die Klingen kreuzen. Damals wurde Herrn Stubei die vom
Reichskanzler gewünschte Frist (um seinen in Aussicht genommenen Nachfolger,
den Grafen Götzen, einzuarbeiten) nicht gewährt. Damals war es Herr Erz-
berger, der durch seinen Artikel in Nummer 721 der Kölnischen Volkszeitung
von: 1. September 1905 Herrn Stubet zur schleunigen Flucht veranlaßte, um
so zu verhindern, daß dieser kenntnisreiche Beamte noch nährend der Kolonml-
debatten im Reichstage erscheinen konnte. Die Regierung mußte nachgeben.
Die Klammern des Zentrums hatten sich in den vorausgegangenen fünf Jahren
so fest um die Reichsregierung gelegt, daß es ein Entrinnen nicht mehr gab.
Grober ward 1903 durch Herrn Spahns Vermittlung zum Mitregenten in
Württemberg bestellt, Freiherr v. Hertling übernahm 1904 eine Art Spezial-
mission in Rom. und die Stellung dieses Parteimannes war so bedeutsam, daß
der preußische Gesandte einem Freunde resigniert sagen mußte, er bringe den
nötigen guten Beziehungen der Regierung zu Zentrum und Kurie schwere
persönliche Opfer! 1905 forderte Herr Spahn den Posten eines Oberlandes¬
gerichtspräsidenten in Stettin, wenn er bei dessen Freiwerdung „alsdann den
Wunsch haben sollte".

Die Macht des Ultramontanismus ist seit 1905 nicht geringer geworden,
und die Gaben, die der Reichskanzler gegenwärtig aus seiner Hand nehmen
muß. wird er als preußischer Ministerpräsident mit Shylockzinsen bezahlen
müssen.

Es ist seitens der Beteiligten abgeleugnet worden, daß der Rücktritt des
Neichssekretärs Wermuth eine neue Machtoffenbarung der Zentrumspartei
bedeutet. Man braucht sich indessen nur daran zu erinnern, wie Herr Speck
im Reichstage, Freiherr v. Hertling bei seiner Antrittsrede im Bayerischen
Landtage und die Germania die Erbschaftssteuerabsichten des Reichskanzlers
behandelten, um die nachträglichen Unschuldsbeteuernngen auf das richtige Maß
zurückführen zu können. Wie es seinerzeit in erster Linie galt, die Position
der Negierung zu schwächen, als man den sachverständigen Stubei in die
Flucht trieb, so galt es auch diesmal, Herrn v. Bethmann seines energischen
und tüchtigen Finanzsekretärs zu berauben, um alsdann den Reichskanzler um
so sicherer zur Anlehnung an die Finanzautoritäten des Zentrums zu zwingen.
Herr Kühn, der Nachfolger Wermuths, wird als ein selbstsicherer Mann von
Kenntnissen gerühmt, sein erstes Auftreten im Reichstage machte einen guten
Eindruck, dennoch darf seine Stellung von dem Augenblick an als erschüttert
gelten, in dem er mit seinen Auffassungen in Gegensatz zu Herrn Erzberger gerät.

Herrn Wermuths Rücktritt erfolgte, weil er die volle Deckung der Mehr¬
ausgaben durch neue Steuern nicht zu erzwingen vermochte. In der entscheidenden
Sitzung des Bundesrath sah er sich einem fertigen Kompromiß gegenübergestellt, der
unter Benutzung einer von Erzberger ausgearbeiteten Denkschrift nur einen Teil
der Ausgaben durch neue Steuern decken will (u. a. Preisgabe der sogenannten
Branntweinliebesgabe), während der Rest aus den Ersparnissen beschafft werden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/649>, abgerufen am 04.01.2025.