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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Aus Hebbels Studienzeit

Mit der .Bemerkung, statt einer Einleitung':

Manches Volk ist nichts, als die oft unleserliehe und kaum zu entziffernde
Grabschrift eines vergangenen herrlichen Geschlechts; aber es thut weh, wenn
der Meißel an einer solchen Grabschrift die letzte Zeile, die von versunkener Pracht
und Herrlichkeit redet, zertrümmern will, und es mag alles aufrufen, was versenkt ist
zu Schutz und Trutz in eine freie Männerbrust, den Ernst und den Spott/

Diese originelle kleine Piece, die nach der Unterschrift schon am letzten
Tage des Jahres 1835 geschrieben und wie es scheint, nicht in den Buchhandel
gekommen ist, empfehlen wir jedem, der zu derselben gelangen kann, zu lesen.
Der Inhalt qualificirt sich nicht für dieses Blatt."




Das also ist die Stelle, um deren Abschrift Hebbel Elisen ersucht. Die
leider nur wenigen Worte, die das Kieler Blatt uns aufbewahrte, tragen
unverkennbar das Stilgepräge des Hebbel von 1835/36. Es handelt sich --
denn zweifellos sind Druckort und Verlag Pseudonym, und das Stück wurde in
Hamburg privat gedruckt -- um eine anonyme, politische, d. h., da der Inhalt
sich für eine Tageszeitung "nicht qualifizierte", wohl nicht reinpolitische Flug¬
schrift des jungen Hebbel aus der ersten Hamburger Zeit. Und zwar "in Betreff
der Zoll-Angelegenheit". Das ist keineswegs überraschend. Das 1835 der
holsteinischen Ständeversammlung von der dünischen Regierung vorgelegte, die
Ausfuhrzölle stark erhöhende Zollgesetz entstammte nicht rein fiskalischen Gesichts¬
punkten, sondern sollte vor allem Holstein enger an Dänemark binden. Die
Erregung, auf die, es stieß, war also eine nationale. Hinzu kommt, daß nach
dem damaligen Stand der Dinge mit der Zollfrage sogleich der Kampf um die
Trennung von Justiz und Administration, um Selbstverwaltung und Zensur¬
freiheit, kurzum der gesamte Komplex konstitutioneller Fragen sich verband. So
hatte die Zollfrage schon 1835 in Holstein und nicht zuletzt in Dithmarschen
Unruhen hervorgerufen, die sich 1836 weit schwerer wiederholten. Daß Hebbel
in Heidelberg noch die Vorgänge in der Heimat mit entschiedensten Interesse
verfolgte, beweist im vorstehenden Franz-Brief seine lebhafte Anfrage danach,
die sich in Heidelberger Briefen an den Kirchspielschreiber Voß noch entschiedener
wiederholt. Diesem aber schreibt Hebbel am 14. August 1836 ausdrücklich:
"Die Zollverhandlungen, die elend-nichtswürdigen, müssen das öffentl. Ver¬
trauen untergraben, und daß ein Haus zusammen stürzt, wenn man das
Fundament aufreißt, liegt im Lauf der Dinge." -- So viel über Hebbels "Send¬
schreiben." Ob es möglich sein wird, des verschollenen Privatdrucks selbst noch
habhaft zu werden, weiß ich nicht; bisher ist es mir nicht gelungen"). Immerhin
stehe ich noch nicht am Ende aller Bemühungen und darf mir weiteres in dieser
Angelegenheit vorbehalten.





*) Die Bibliotheken von Hamburg und Kiel besitzen das "Sendschreiben" nicht; auch
die gütigen Nachforschungen des Hamburger Staatsarchivs blieben ohne Erfolg.
Aus Hebbels Studienzeit

Mit der .Bemerkung, statt einer Einleitung':

Manches Volk ist nichts, als die oft unleserliehe und kaum zu entziffernde
Grabschrift eines vergangenen herrlichen Geschlechts; aber es thut weh, wenn
der Meißel an einer solchen Grabschrift die letzte Zeile, die von versunkener Pracht
und Herrlichkeit redet, zertrümmern will, und es mag alles aufrufen, was versenkt ist
zu Schutz und Trutz in eine freie Männerbrust, den Ernst und den Spott/

Diese originelle kleine Piece, die nach der Unterschrift schon am letzten
Tage des Jahres 1835 geschrieben und wie es scheint, nicht in den Buchhandel
gekommen ist, empfehlen wir jedem, der zu derselben gelangen kann, zu lesen.
Der Inhalt qualificirt sich nicht für dieses Blatt."




Das also ist die Stelle, um deren Abschrift Hebbel Elisen ersucht. Die
leider nur wenigen Worte, die das Kieler Blatt uns aufbewahrte, tragen
unverkennbar das Stilgepräge des Hebbel von 1835/36. Es handelt sich —
denn zweifellos sind Druckort und Verlag Pseudonym, und das Stück wurde in
Hamburg privat gedruckt — um eine anonyme, politische, d. h., da der Inhalt
sich für eine Tageszeitung „nicht qualifizierte", wohl nicht reinpolitische Flug¬
schrift des jungen Hebbel aus der ersten Hamburger Zeit. Und zwar „in Betreff
der Zoll-Angelegenheit". Das ist keineswegs überraschend. Das 1835 der
holsteinischen Ständeversammlung von der dünischen Regierung vorgelegte, die
Ausfuhrzölle stark erhöhende Zollgesetz entstammte nicht rein fiskalischen Gesichts¬
punkten, sondern sollte vor allem Holstein enger an Dänemark binden. Die
Erregung, auf die, es stieß, war also eine nationale. Hinzu kommt, daß nach
dem damaligen Stand der Dinge mit der Zollfrage sogleich der Kampf um die
Trennung von Justiz und Administration, um Selbstverwaltung und Zensur¬
freiheit, kurzum der gesamte Komplex konstitutioneller Fragen sich verband. So
hatte die Zollfrage schon 1835 in Holstein und nicht zuletzt in Dithmarschen
Unruhen hervorgerufen, die sich 1836 weit schwerer wiederholten. Daß Hebbel
in Heidelberg noch die Vorgänge in der Heimat mit entschiedensten Interesse
verfolgte, beweist im vorstehenden Franz-Brief seine lebhafte Anfrage danach,
die sich in Heidelberger Briefen an den Kirchspielschreiber Voß noch entschiedener
wiederholt. Diesem aber schreibt Hebbel am 14. August 1836 ausdrücklich:
„Die Zollverhandlungen, die elend-nichtswürdigen, müssen das öffentl. Ver¬
trauen untergraben, und daß ein Haus zusammen stürzt, wenn man das
Fundament aufreißt, liegt im Lauf der Dinge." — So viel über Hebbels „Send¬
schreiben." Ob es möglich sein wird, des verschollenen Privatdrucks selbst noch
habhaft zu werden, weiß ich nicht; bisher ist es mir nicht gelungen"). Immerhin
stehe ich noch nicht am Ende aller Bemühungen und darf mir weiteres in dieser
Angelegenheit vorbehalten.





*) Die Bibliotheken von Hamburg und Kiel besitzen das „Sendschreiben" nicht; auch
die gütigen Nachforschungen des Hamburger Staatsarchivs blieben ohne Erfolg.
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[0639] Aus Hebbels Studienzeit Mit der .Bemerkung, statt einer Einleitung': Manches Volk ist nichts, als die oft unleserliehe und kaum zu entziffernde Grabschrift eines vergangenen herrlichen Geschlechts; aber es thut weh, wenn der Meißel an einer solchen Grabschrift die letzte Zeile, die von versunkener Pracht und Herrlichkeit redet, zertrümmern will, und es mag alles aufrufen, was versenkt ist zu Schutz und Trutz in eine freie Männerbrust, den Ernst und den Spott/ Diese originelle kleine Piece, die nach der Unterschrift schon am letzten Tage des Jahres 1835 geschrieben und wie es scheint, nicht in den Buchhandel gekommen ist, empfehlen wir jedem, der zu derselben gelangen kann, zu lesen. Der Inhalt qualificirt sich nicht für dieses Blatt." Das also ist die Stelle, um deren Abschrift Hebbel Elisen ersucht. Die leider nur wenigen Worte, die das Kieler Blatt uns aufbewahrte, tragen unverkennbar das Stilgepräge des Hebbel von 1835/36. Es handelt sich — denn zweifellos sind Druckort und Verlag Pseudonym, und das Stück wurde in Hamburg privat gedruckt — um eine anonyme, politische, d. h., da der Inhalt sich für eine Tageszeitung „nicht qualifizierte", wohl nicht reinpolitische Flug¬ schrift des jungen Hebbel aus der ersten Hamburger Zeit. Und zwar „in Betreff der Zoll-Angelegenheit". Das ist keineswegs überraschend. Das 1835 der holsteinischen Ständeversammlung von der dünischen Regierung vorgelegte, die Ausfuhrzölle stark erhöhende Zollgesetz entstammte nicht rein fiskalischen Gesichts¬ punkten, sondern sollte vor allem Holstein enger an Dänemark binden. Die Erregung, auf die, es stieß, war also eine nationale. Hinzu kommt, daß nach dem damaligen Stand der Dinge mit der Zollfrage sogleich der Kampf um die Trennung von Justiz und Administration, um Selbstverwaltung und Zensur¬ freiheit, kurzum der gesamte Komplex konstitutioneller Fragen sich verband. So hatte die Zollfrage schon 1835 in Holstein und nicht zuletzt in Dithmarschen Unruhen hervorgerufen, die sich 1836 weit schwerer wiederholten. Daß Hebbel in Heidelberg noch die Vorgänge in der Heimat mit entschiedensten Interesse verfolgte, beweist im vorstehenden Franz-Brief seine lebhafte Anfrage danach, die sich in Heidelberger Briefen an den Kirchspielschreiber Voß noch entschiedener wiederholt. Diesem aber schreibt Hebbel am 14. August 1836 ausdrücklich: „Die Zollverhandlungen, die elend-nichtswürdigen, müssen das öffentl. Ver¬ trauen untergraben, und daß ein Haus zusammen stürzt, wenn man das Fundament aufreißt, liegt im Lauf der Dinge." — So viel über Hebbels „Send¬ schreiben." Ob es möglich sein wird, des verschollenen Privatdrucks selbst noch habhaft zu werden, weiß ich nicht; bisher ist es mir nicht gelungen"). Immerhin stehe ich noch nicht am Ende aller Bemühungen und darf mir weiteres in dieser Angelegenheit vorbehalten. *) Die Bibliotheken von Hamburg und Kiel besitzen das „Sendschreiben" nicht; auch die gütigen Nachforschungen des Hamburger Staatsarchivs blieben ohne Erfolg.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/639>, abgerufen am 27.09.2024.