Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.Franz Weilers Martyrium lassen nicht auf sich einwirken, die müssen sich austoben oder niedergehauen "Reiß mal dein großes Maul net so weit auf, denn erschtens bischte da "Wer will dann dem Dreckkerl was tun? Der soll bleiwe, wo er hin¬ "Ach Gott, Peter, streng dich net an! Da kann von Schlechtmache gar "Aha! Aha! Wenn die abgedankt adlig Gouvernante nur auf die Land¬ "Is gar kei Red davon! Liewer Freund, vermengsel mer net wieder Die beiden ungleichen Geschwister bleiben vor der Haustür stehn. Die "Awwer ich will mich net von mein Thema abbringe lasse durch dein Franz Weilers Martyrium lassen nicht auf sich einwirken, die müssen sich austoben oder niedergehauen „Reiß mal dein großes Maul net so weit auf, denn erschtens bischte da „Wer will dann dem Dreckkerl was tun? Der soll bleiwe, wo er hin¬ „Ach Gott, Peter, streng dich net an! Da kann von Schlechtmache gar „Aha! Aha! Wenn die abgedankt adlig Gouvernante nur auf die Land¬ „Is gar kei Red davon! Liewer Freund, vermengsel mer net wieder Die beiden ungleichen Geschwister bleiben vor der Haustür stehn. Die „Awwer ich will mich net von mein Thema abbringe lasse durch dein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0583" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321000"/> <fw type="header" place="top"> Franz Weilers Martyrium</fw><lb/> <p xml:id="ID_2690" prev="#ID_2689"> lassen nicht auf sich einwirken, die müssen sich austoben oder niedergehauen<lb/> werden. Am liebsten würde sie das letzte tun. Sie weist den Wütenden voller<lb/> Verachtung zurecht:</p><lb/> <p xml:id="ID_2691"> „Reiß mal dein großes Maul net so weit auf, denn erschtens bischte da<lb/> in meinem Haus, und zweitens is es net nötig, daß du dem Kind da drin sei<lb/> Angscht noch größer nachsehe. Neuen dann den Bub in Gottesnamen für heunt<lb/> noch emal mit. Awwer ich möcht dich freundlich ersucht hawwe, das Kind heunt<lb/> net mehr zu haue!"</p><lb/> <p xml:id="ID_2692"> „Wer will dann dem Dreckkerl was tun? Der soll bleiwe, wo er hin¬<lb/> gehört, und soll net mit seim Durchbrenne sei eijene Leut schlecht mache!"</p><lb/> <p xml:id="ID_2693"> „Ach Gott, Peter, streng dich net an! Da kann von Schlechtmache gar<lb/> kei Red sein. Das besorgt der Bub net, das besorgt ihr zwei selwer! Morgen<lb/> komm ich mal mans zu dir und zu deiner Frau. Es wird sich dann e Form<lb/> finde lasse, unrer der der Bub emal e par Woche oder Monat bei mir sein<lb/> kann. Ihr macht ja den arme Kerl zu crea seelische Krüppel. Bedenkschte<lb/> dann garnet, daß du eigentlich der ganze Menschheit Rechenschaft üwwer dei<lb/> Kind schuldig bischt? Oder geht dir das üwwer dein Landschulmeisterhorizont?"</p><lb/> <p xml:id="ID_2694"> „Aha! Aha! Wenn die abgedankt adlig Gouvernante nur auf die Land¬<lb/> schulmeister donnern kann!"</p><lb/> <p xml:id="ID_2695"> „Is gar kei Red davon! Liewer Freund, vermengsel mer net wieder<lb/> allerhand! 's wär mer leid, wenn alle Landschulmeischter so warm wie du!"</p><lb/> <p xml:id="ID_2696"> Die beiden ungleichen Geschwister bleiben vor der Haustür stehn. Die<lb/> Schwester tunkt den offenen einen Flügel zu und wendet sich wieder an den<lb/> Bruder:</p><lb/> <p xml:id="ID_2697" next="#ID_2698"> „Awwer ich will mich net von mein Thema abbringe lasse durch dein<lb/> dumm Geschwätze. Vielleicht erinnerschte dich noch, mal was von de Spartaner<lb/> gehört zu hawwe. Vielleicht weiseste auch noch, daß die ihre schwache und ver¬<lb/> krüppelte Kinner kaltblütig abgemurxt hawweu, weil die doch nix getaugt hätten<lb/> fürs gröschte spartanische Heiligtum, für den Staat, fürs heilige Vaterland.<lb/> Und weiseste, was das Gesunde an dare spartanische Grausamkeit war? El,<lb/> daß sich jeder als klein Glied vom Große betrachtet hat, dem er diene wollt,<lb/> und daß sie die Gesellschaft stark und gesund erhalten wollten durch kräftige,<lb/> brauchbare Aufzucht. Und in dem Geischt hawwen se auch ihre Kinner groß<lb/> gezoge. Das war e Soldatevolk und hat auf die rohe Kraft geguckt und wollt<lb/> kei körperliche Krüppel. Und du nachsehe aus deim Kind en seelische Krüppel,<lb/> der für die Menschheit nix taugt. Hascht denn du dir schon emal üwwerlegt,<lb/> daß gerade du als sogenannt gebildeter Mann in klar bewußtem Zusammen¬<lb/> hang mit der Menschheit stehe sollscht? Das is Pflicht und net was du für<lb/> Pflicht anguckscht: zu dritte, was der Schulinspektor hawwe will. Deine Selbscht-<lb/> zufriedenheit, wenn alles klappt, das is noch lang net das Bewußtsein der<lb/> Pflichterfüllung, mein Liewer! Das is so en billig Vergnüge, das die Stumpfheit<lb/> von deiner Seel, zu der du dich degradiert hascht, sich leischtet. Sonscht nix.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0583]
Franz Weilers Martyrium
lassen nicht auf sich einwirken, die müssen sich austoben oder niedergehauen
werden. Am liebsten würde sie das letzte tun. Sie weist den Wütenden voller
Verachtung zurecht:
„Reiß mal dein großes Maul net so weit auf, denn erschtens bischte da
in meinem Haus, und zweitens is es net nötig, daß du dem Kind da drin sei
Angscht noch größer nachsehe. Neuen dann den Bub in Gottesnamen für heunt
noch emal mit. Awwer ich möcht dich freundlich ersucht hawwe, das Kind heunt
net mehr zu haue!"
„Wer will dann dem Dreckkerl was tun? Der soll bleiwe, wo er hin¬
gehört, und soll net mit seim Durchbrenne sei eijene Leut schlecht mache!"
„Ach Gott, Peter, streng dich net an! Da kann von Schlechtmache gar
kei Red sein. Das besorgt der Bub net, das besorgt ihr zwei selwer! Morgen
komm ich mal mans zu dir und zu deiner Frau. Es wird sich dann e Form
finde lasse, unrer der der Bub emal e par Woche oder Monat bei mir sein
kann. Ihr macht ja den arme Kerl zu crea seelische Krüppel. Bedenkschte
dann garnet, daß du eigentlich der ganze Menschheit Rechenschaft üwwer dei
Kind schuldig bischt? Oder geht dir das üwwer dein Landschulmeisterhorizont?"
„Aha! Aha! Wenn die abgedankt adlig Gouvernante nur auf die Land¬
schulmeister donnern kann!"
„Is gar kei Red davon! Liewer Freund, vermengsel mer net wieder
allerhand! 's wär mer leid, wenn alle Landschulmeischter so warm wie du!"
Die beiden ungleichen Geschwister bleiben vor der Haustür stehn. Die
Schwester tunkt den offenen einen Flügel zu und wendet sich wieder an den
Bruder:
„Awwer ich will mich net von mein Thema abbringe lasse durch dein
dumm Geschwätze. Vielleicht erinnerschte dich noch, mal was von de Spartaner
gehört zu hawwe. Vielleicht weiseste auch noch, daß die ihre schwache und ver¬
krüppelte Kinner kaltblütig abgemurxt hawweu, weil die doch nix getaugt hätten
fürs gröschte spartanische Heiligtum, für den Staat, fürs heilige Vaterland.
Und weiseste, was das Gesunde an dare spartanische Grausamkeit war? El,
daß sich jeder als klein Glied vom Große betrachtet hat, dem er diene wollt,
und daß sie die Gesellschaft stark und gesund erhalten wollten durch kräftige,
brauchbare Aufzucht. Und in dem Geischt hawwen se auch ihre Kinner groß
gezoge. Das war e Soldatevolk und hat auf die rohe Kraft geguckt und wollt
kei körperliche Krüppel. Und du nachsehe aus deim Kind en seelische Krüppel,
der für die Menschheit nix taugt. Hascht denn du dir schon emal üwwerlegt,
daß gerade du als sogenannt gebildeter Mann in klar bewußtem Zusammen¬
hang mit der Menschheit stehe sollscht? Das is Pflicht und net was du für
Pflicht anguckscht: zu dritte, was der Schulinspektor hawwe will. Deine Selbscht-
zufriedenheit, wenn alles klappt, das is noch lang net das Bewußtsein der
Pflichterfüllung, mein Liewer! Das is so en billig Vergnüge, das die Stumpfheit
von deiner Seel, zu der du dich degradiert hascht, sich leischtet. Sonscht nix.
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