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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Franz Weilers Martyrium

Da steht die Frau, wie Franz sich in der Wanne plötzlich steil ausrichtet
und gespannt lauscht.

Er zuckt, preßt die Knie in Angst zusammen, seine Blicke flattern wie
Vögel, die ein Schreckschuß aus friedsamer Ruhe aufgescheucht hat.

Er hat feines Vaters Stimme draußen im Hofe gehört.

"Tante Liesel, der Vater!"

Frau Elisabeth beruhigt ihn:

"Still, nur still! Ich wasch uur den Emil rasch ab und leg ihn ins Bett.
Dann geh ich naus zu deim Vater."

Als Emil hört, daß er nur abgewaschen wird, seufzt er erleichtert:

"Doll sei Dank!"

Die Mutter besorgt ihn, bringt den Kleinen ins Schlafzimmer, kehrt wieder
zurück zu Franz, nimmt seinen nassen Kopf zwischen die Hände und sagt tröstend:

"Kei Angscht hawwe, mein liewer Bub, kei Angscht hawwe. Ich geh
gleich mans zu em!"

Die zwei älteren Vettern fragen:

"Gell, du hascht was angestellt?"

Franz gibt ihnen keine Antwort, steigt aus der Badewanne, hüllt sich in
ein mächtiges Frottiertuch, trocknet sich ab und zieht sich an.

Draußen nimmt Frau Elisabeth den Bruder beiseite und beginnt ohne
Umschweife:

"Sag emal, du, was habt ihr denn mit dem Bub gemacht? Das Kind
ist ja in Heller Verzweiflung! Pfui tausend, so en arme Wurm so zu malträtiere,
daß er flüchtig geht!"

"Ich baw em doch nix gemacht, im Gegenteil!"

"Ach, im Gegenteil!! Bleib still, bleib still! So ne Verzweiflung kommt
net von ein Mal. Da is viel vorausgange, bis das so weit hat komme könne.
Du scheinscht net zu wisse, was das ganze Dorf weiß: daß der arme Bub
zwische euch zwei Mühlstein vermähle wird mit euern ewige Zwistigkeite!
Ich tat mich schäme als Lehrer!"

"Lieb Lisbeth, des sin Sache, wo dich nix angehen!"

"Sie sin mich seither nix angange. Awwer von heut Awend ab gehen se
mich an. Denn das Kind ist zu mir geflohe. Ich müßt kei Mutter sei und
mit höre arm Kreatur kei Erbarme hawwe, wenn ich da net helfe tat. Das
Kind bleibt heunt bei mir!"

"Das Kind geht jetzt sofort hin, wo's hingehört!" äfft der Bruder ihr nach.

"Wenn du für den Bub, dein eigen Fleisch und Blut, noch en Funke Lieb
hascht, läßt du ihn heunt emal da. Verstehste?"

"Nein, sag ich, der Lausbub, der verfluchte, geht heim!" schreit der Lehrer
in Heller Wut.

In die Frau springt ein Widerwille gegen den maßlos zornigen Mann.
Sie steht, daß da augenblicklich Vernunftgründe nicht helfen. Wut und Brutalität


Franz Weilers Martyrium

Da steht die Frau, wie Franz sich in der Wanne plötzlich steil ausrichtet
und gespannt lauscht.

Er zuckt, preßt die Knie in Angst zusammen, seine Blicke flattern wie
Vögel, die ein Schreckschuß aus friedsamer Ruhe aufgescheucht hat.

Er hat feines Vaters Stimme draußen im Hofe gehört.

„Tante Liesel, der Vater!"

Frau Elisabeth beruhigt ihn:

„Still, nur still! Ich wasch uur den Emil rasch ab und leg ihn ins Bett.
Dann geh ich naus zu deim Vater."

Als Emil hört, daß er nur abgewaschen wird, seufzt er erleichtert:

„Doll sei Dank!"

Die Mutter besorgt ihn, bringt den Kleinen ins Schlafzimmer, kehrt wieder
zurück zu Franz, nimmt seinen nassen Kopf zwischen die Hände und sagt tröstend:

„Kei Angscht hawwe, mein liewer Bub, kei Angscht hawwe. Ich geh
gleich mans zu em!"

Die zwei älteren Vettern fragen:

„Gell, du hascht was angestellt?"

Franz gibt ihnen keine Antwort, steigt aus der Badewanne, hüllt sich in
ein mächtiges Frottiertuch, trocknet sich ab und zieht sich an.

Draußen nimmt Frau Elisabeth den Bruder beiseite und beginnt ohne
Umschweife:

„Sag emal, du, was habt ihr denn mit dem Bub gemacht? Das Kind
ist ja in Heller Verzweiflung! Pfui tausend, so en arme Wurm so zu malträtiere,
daß er flüchtig geht!"

„Ich baw em doch nix gemacht, im Gegenteil!"

„Ach, im Gegenteil!! Bleib still, bleib still! So ne Verzweiflung kommt
net von ein Mal. Da is viel vorausgange, bis das so weit hat komme könne.
Du scheinscht net zu wisse, was das ganze Dorf weiß: daß der arme Bub
zwische euch zwei Mühlstein vermähle wird mit euern ewige Zwistigkeite!
Ich tat mich schäme als Lehrer!"

„Lieb Lisbeth, des sin Sache, wo dich nix angehen!"

„Sie sin mich seither nix angange. Awwer von heut Awend ab gehen se
mich an. Denn das Kind ist zu mir geflohe. Ich müßt kei Mutter sei und
mit höre arm Kreatur kei Erbarme hawwe, wenn ich da net helfe tat. Das
Kind bleibt heunt bei mir!"

„Das Kind geht jetzt sofort hin, wo's hingehört!" äfft der Bruder ihr nach.

„Wenn du für den Bub, dein eigen Fleisch und Blut, noch en Funke Lieb
hascht, läßt du ihn heunt emal da. Verstehste?"

„Nein, sag ich, der Lausbub, der verfluchte, geht heim!" schreit der Lehrer
in Heller Wut.

In die Frau springt ein Widerwille gegen den maßlos zornigen Mann.
Sie steht, daß da augenblicklich Vernunftgründe nicht helfen. Wut und Brutalität


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[0582] Franz Weilers Martyrium Da steht die Frau, wie Franz sich in der Wanne plötzlich steil ausrichtet und gespannt lauscht. Er zuckt, preßt die Knie in Angst zusammen, seine Blicke flattern wie Vögel, die ein Schreckschuß aus friedsamer Ruhe aufgescheucht hat. Er hat feines Vaters Stimme draußen im Hofe gehört. „Tante Liesel, der Vater!" Frau Elisabeth beruhigt ihn: „Still, nur still! Ich wasch uur den Emil rasch ab und leg ihn ins Bett. Dann geh ich naus zu deim Vater." Als Emil hört, daß er nur abgewaschen wird, seufzt er erleichtert: „Doll sei Dank!" Die Mutter besorgt ihn, bringt den Kleinen ins Schlafzimmer, kehrt wieder zurück zu Franz, nimmt seinen nassen Kopf zwischen die Hände und sagt tröstend: „Kei Angscht hawwe, mein liewer Bub, kei Angscht hawwe. Ich geh gleich mans zu em!" Die zwei älteren Vettern fragen: „Gell, du hascht was angestellt?" Franz gibt ihnen keine Antwort, steigt aus der Badewanne, hüllt sich in ein mächtiges Frottiertuch, trocknet sich ab und zieht sich an. Draußen nimmt Frau Elisabeth den Bruder beiseite und beginnt ohne Umschweife: „Sag emal, du, was habt ihr denn mit dem Bub gemacht? Das Kind ist ja in Heller Verzweiflung! Pfui tausend, so en arme Wurm so zu malträtiere, daß er flüchtig geht!" „Ich baw em doch nix gemacht, im Gegenteil!" „Ach, im Gegenteil!! Bleib still, bleib still! So ne Verzweiflung kommt net von ein Mal. Da is viel vorausgange, bis das so weit hat komme könne. Du scheinscht net zu wisse, was das ganze Dorf weiß: daß der arme Bub zwische euch zwei Mühlstein vermähle wird mit euern ewige Zwistigkeite! Ich tat mich schäme als Lehrer!" „Lieb Lisbeth, des sin Sache, wo dich nix angehen!" „Sie sin mich seither nix angange. Awwer von heut Awend ab gehen se mich an. Denn das Kind ist zu mir geflohe. Ich müßt kei Mutter sei und mit höre arm Kreatur kei Erbarme hawwe, wenn ich da net helfe tat. Das Kind bleibt heunt bei mir!" „Das Kind geht jetzt sofort hin, wo's hingehört!" äfft der Bruder ihr nach. „Wenn du für den Bub, dein eigen Fleisch und Blut, noch en Funke Lieb hascht, läßt du ihn heunt emal da. Verstehste?" „Nein, sag ich, der Lausbub, der verfluchte, geht heim!" schreit der Lehrer in Heller Wut. In die Frau springt ein Widerwille gegen den maßlos zornigen Mann. Sie steht, daß da augenblicklich Vernunftgründe nicht helfen. Wut und Brutalität

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/582>, abgerufen am 27.09.2024.