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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Franz Weilers Martyrium

"Mama, de Franz muß mit uns bade! Gell, Mama? Mama, sag
doch: ja!"

Der jüngste wünscht es mit halber Schadenfreude. Er geht nicht gern
ins Wasser.

"Mama, Franz werd aach debat, dell, Mama? Wie ßon emal!"

Denn Franz war schon mehrmals bei dieser fideler Bubenwäsche.

"Ja!" beruhigt die Mutter die Schreihälse, "geht nur coeli nüwer in die
Badekttch!"

Das Kleeblatt rückt aus, auch der Mann entfernt sich.

Als die Frau mit dem Bub allein ist, fragt sie mit inniger Stimme:

"Gell, de Franz will mer was sage?" und zieht ihn fest an ihre Brust.
Er läßt es jetzt geschehen, schüttelt aber auf ihre Frage verneinend den Kopf.
Sie legt den linken Arm um den schmächtigen Knabenkörper und die Finger¬
spitzen der rechten unter sein Kinn, hebt den Kopf empor, so daß die Angen auf
die ihren gerichtet sind, und fragt wieder:

"Gell, du hascht Schlag kriegt daheim?"

Da schießt dem Kinde die Schamröte ins Gesicht, sein Mund zuckt. Die
Tante fragt wieder:

"Haschte was Böses getan?"

Was Böses getan? Franz kann nichts Böses erkennen in seiner Tat.
Sie war auch nicht böse, nur verkehrt. Das Kind weiß nun ganz klar, daß
die Eltern an ihm schuldig geworden sind, und schüttelt abermals verneinend
den Kopf.

Frau Elisabeth weiß, was allen im Dorfe bekannt ist, und fragt nichts
mehr. Vielmehr setzt sie den Bub ganz auf ihren Schoß, küßt ihn zart auf
die Stirne und sagt:

"Nein, du hascht nix Böses getan!"

Dabei fährt sie ihm kosend übers Haar:

"Mein armer Bub! Aber die Tante hilft dir jetzt!"

Die resolute Frau faßt in diesem Augenblicke den Entschluß, einzugreifen
und das Kind zu befreien. Sie wird es auf einen Skandal ankommen lassen.
Ach was! Skandal! Man wird dann im Dorfe eine Zeitlang nur eifriger und
lauter über das reden, worüber die Leute jetzt nur hin und wieder leise tuscheln.

Während dieser Erwägungen der Frau träumt das Kind den Wunsch,
immer bei der Tante sein zu dürfen. Wie sie ihn so streichelt, ist es ihm, wie
wenn die spannende, juckende letzte Kruste sich von einer Wunde löst. Ver¬
wundete Kinderherzen heilen so rasch. Man sagt, sie haben Weinen und Lachen
in einem Kämmerchen.

Er umschließt den Hals der Tante und meint:

"Sag zum Babba, er soll mich verkaufe, un dann tuscht du mich kaufe!"

Die Frau ist beglückt von diesem naiven Kindervertrauen, drückt den Bub
lieb und hält ihm den Mund hin:


Franz Weilers Martyrium

„Mama, de Franz muß mit uns bade! Gell, Mama? Mama, sag
doch: ja!"

Der jüngste wünscht es mit halber Schadenfreude. Er geht nicht gern
ins Wasser.

„Mama, Franz werd aach debat, dell, Mama? Wie ßon emal!"

Denn Franz war schon mehrmals bei dieser fideler Bubenwäsche.

„Ja!" beruhigt die Mutter die Schreihälse, „geht nur coeli nüwer in die
Badekttch!"

Das Kleeblatt rückt aus, auch der Mann entfernt sich.

Als die Frau mit dem Bub allein ist, fragt sie mit inniger Stimme:

„Gell, de Franz will mer was sage?" und zieht ihn fest an ihre Brust.
Er läßt es jetzt geschehen, schüttelt aber auf ihre Frage verneinend den Kopf.
Sie legt den linken Arm um den schmächtigen Knabenkörper und die Finger¬
spitzen der rechten unter sein Kinn, hebt den Kopf empor, so daß die Angen auf
die ihren gerichtet sind, und fragt wieder:

„Gell, du hascht Schlag kriegt daheim?"

Da schießt dem Kinde die Schamröte ins Gesicht, sein Mund zuckt. Die
Tante fragt wieder:

„Haschte was Böses getan?"

Was Böses getan? Franz kann nichts Böses erkennen in seiner Tat.
Sie war auch nicht böse, nur verkehrt. Das Kind weiß nun ganz klar, daß
die Eltern an ihm schuldig geworden sind, und schüttelt abermals verneinend
den Kopf.

Frau Elisabeth weiß, was allen im Dorfe bekannt ist, und fragt nichts
mehr. Vielmehr setzt sie den Bub ganz auf ihren Schoß, küßt ihn zart auf
die Stirne und sagt:

„Nein, du hascht nix Böses getan!"

Dabei fährt sie ihm kosend übers Haar:

„Mein armer Bub! Aber die Tante hilft dir jetzt!"

Die resolute Frau faßt in diesem Augenblicke den Entschluß, einzugreifen
und das Kind zu befreien. Sie wird es auf einen Skandal ankommen lassen.
Ach was! Skandal! Man wird dann im Dorfe eine Zeitlang nur eifriger und
lauter über das reden, worüber die Leute jetzt nur hin und wieder leise tuscheln.

Während dieser Erwägungen der Frau träumt das Kind den Wunsch,
immer bei der Tante sein zu dürfen. Wie sie ihn so streichelt, ist es ihm, wie
wenn die spannende, juckende letzte Kruste sich von einer Wunde löst. Ver¬
wundete Kinderherzen heilen so rasch. Man sagt, sie haben Weinen und Lachen
in einem Kämmerchen.

Er umschließt den Hals der Tante und meint:

„Sag zum Babba, er soll mich verkaufe, un dann tuscht du mich kaufe!"

Die Frau ist beglückt von diesem naiven Kindervertrauen, drückt den Bub
lieb und hält ihm den Mund hin:


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[0580] Franz Weilers Martyrium „Mama, de Franz muß mit uns bade! Gell, Mama? Mama, sag doch: ja!" Der jüngste wünscht es mit halber Schadenfreude. Er geht nicht gern ins Wasser. „Mama, Franz werd aach debat, dell, Mama? Wie ßon emal!" Denn Franz war schon mehrmals bei dieser fideler Bubenwäsche. „Ja!" beruhigt die Mutter die Schreihälse, „geht nur coeli nüwer in die Badekttch!" Das Kleeblatt rückt aus, auch der Mann entfernt sich. Als die Frau mit dem Bub allein ist, fragt sie mit inniger Stimme: „Gell, de Franz will mer was sage?" und zieht ihn fest an ihre Brust. Er läßt es jetzt geschehen, schüttelt aber auf ihre Frage verneinend den Kopf. Sie legt den linken Arm um den schmächtigen Knabenkörper und die Finger¬ spitzen der rechten unter sein Kinn, hebt den Kopf empor, so daß die Angen auf die ihren gerichtet sind, und fragt wieder: „Gell, du hascht Schlag kriegt daheim?" Da schießt dem Kinde die Schamröte ins Gesicht, sein Mund zuckt. Die Tante fragt wieder: „Haschte was Böses getan?" Was Böses getan? Franz kann nichts Böses erkennen in seiner Tat. Sie war auch nicht böse, nur verkehrt. Das Kind weiß nun ganz klar, daß die Eltern an ihm schuldig geworden sind, und schüttelt abermals verneinend den Kopf. Frau Elisabeth weiß, was allen im Dorfe bekannt ist, und fragt nichts mehr. Vielmehr setzt sie den Bub ganz auf ihren Schoß, küßt ihn zart auf die Stirne und sagt: „Nein, du hascht nix Böses getan!" Dabei fährt sie ihm kosend übers Haar: „Mein armer Bub! Aber die Tante hilft dir jetzt!" Die resolute Frau faßt in diesem Augenblicke den Entschluß, einzugreifen und das Kind zu befreien. Sie wird es auf einen Skandal ankommen lassen. Ach was! Skandal! Man wird dann im Dorfe eine Zeitlang nur eifriger und lauter über das reden, worüber die Leute jetzt nur hin und wieder leise tuscheln. Während dieser Erwägungen der Frau träumt das Kind den Wunsch, immer bei der Tante sein zu dürfen. Wie sie ihn so streichelt, ist es ihm, wie wenn die spannende, juckende letzte Kruste sich von einer Wunde löst. Ver¬ wundete Kinderherzen heilen so rasch. Man sagt, sie haben Weinen und Lachen in einem Kämmerchen. Er umschließt den Hals der Tante und meint: „Sag zum Babba, er soll mich verkaufe, un dann tuscht du mich kaufe!" Die Frau ist beglückt von diesem naiven Kindervertrauen, drückt den Bub lieb und hält ihm den Mund hin:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/580>, abgerufen am 27.09.2024.