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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Franz Weilers Martyrium

"Im Namen. . .!"

Jakob, der Zehnjährige, fährt fort und schnattert:

". . . des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen. O
Gott, von dem wir alles haben, wir preisen dich für deine Gaben. Du speisest
uns. weil du uns liebst, o segne auch, was du uns gibst. Ehre sei dem Vater
und dem Sohne und dem heiligen Geiste. Amen."

Während des Betens schielt Franz zur Mutter, neben der sein Tischplatz
ist. Sie hat noch die Binde um den Kopf. Nach dem Gebet zerschneidet sie
die Pfannkuchen, legt jedem Kind ein Stück in den Teller und zerwürfelt es
und dem Messer. Es gibt Feldsalat und Brot dazu. Die Kleinen hat sie
freundlich mit Essen versehen. Franzens Anteil schleudert sie in den Teller, ein
böser Blick dazu, in dem ein Rachelodern flammt.

Dem gepeinigten Bub steigen die Tränen in die Augen. Bewegungslos
sitzt er vor dem Teller und würgt seine Tränen hinunter. In der Nase rinnt
es ihm feucht. Als er schnüffelt, merkt der Vater auf:

"Warum ißt der Kerl nix? Wer so fesche geschafft hat, muß auch esse könne!"

Franz schüttelt traurig den Kopf und haucht mit zuckendem Munde:

"Ich kann net!"

Nun herrscht die Mutter ihn an:

"Freß, du Hund, du vermaledeiter!"

Unwillkürlich greift das Kind ans Herz. Es ist ihm, als habe es inwendig
gezerrt. Die Mutter hat ihn zum erstenmal Hund gescholten.

Jetzt knirscht des Vaters drohende Stimme:

"Untersteh dich, daß du em was nachsehe! Untersteh dich!"

Franz fühlt keinen Schutz für sich aus diesen Worten, und die anderen
Kinder sehen ängstlich auf.

Man hört, wie draußen vor der Haustür schweres Ackergeschirr niedergelegt
wird. Dann tappen genagelte Schuhe durch den geplätteten Hausgang. Es klopft.

Ein Bauersmann mit stoppelbärtigem Gesicht steht schwerfällig im Rahmen.
In, hembgezerrten rechten Mundwinkel hängt ihm eine kurze Pfeife. Er
nimmt sie heraus, hält sie in der einen Hand, mit der anderen setzt er die
tuchene Mütze ab.

"Gun Owend beisamme! Gure Appetit aach zum Nachtesse! El, Herr
Lähre, ich meenst mei Kleine moaje gäärn emol dehaam beHalde. Mei Fraa
muß lower Feld zu einer Leich. Ehre Schweejern is gestorwe. Do seil mer
die Kleine e bißje die Haushalding fibre!"

Der Lehrer spreizt sich ein wenig in schulmeisterlicher Würde, um den
Wunsch des Bauern schließlich doch zu erfüllen.

Franz würgt seinen Pfannkuchen hinunter. Die Anwesenheit eines Gleich¬
gültigen mindert seine Beengung.

Dem Bauer ist es nicht unbemerkt geblieben, daß die Mutter den Kopf
verbunden hat, und er fragt:


Franz Weilers Martyrium

„Im Namen. . .!"

Jakob, der Zehnjährige, fährt fort und schnattert:

„. . . des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen. O
Gott, von dem wir alles haben, wir preisen dich für deine Gaben. Du speisest
uns. weil du uns liebst, o segne auch, was du uns gibst. Ehre sei dem Vater
und dem Sohne und dem heiligen Geiste. Amen."

Während des Betens schielt Franz zur Mutter, neben der sein Tischplatz
ist. Sie hat noch die Binde um den Kopf. Nach dem Gebet zerschneidet sie
die Pfannkuchen, legt jedem Kind ein Stück in den Teller und zerwürfelt es
und dem Messer. Es gibt Feldsalat und Brot dazu. Die Kleinen hat sie
freundlich mit Essen versehen. Franzens Anteil schleudert sie in den Teller, ein
böser Blick dazu, in dem ein Rachelodern flammt.

Dem gepeinigten Bub steigen die Tränen in die Augen. Bewegungslos
sitzt er vor dem Teller und würgt seine Tränen hinunter. In der Nase rinnt
es ihm feucht. Als er schnüffelt, merkt der Vater auf:

„Warum ißt der Kerl nix? Wer so fesche geschafft hat, muß auch esse könne!"

Franz schüttelt traurig den Kopf und haucht mit zuckendem Munde:

„Ich kann net!"

Nun herrscht die Mutter ihn an:

„Freß, du Hund, du vermaledeiter!"

Unwillkürlich greift das Kind ans Herz. Es ist ihm, als habe es inwendig
gezerrt. Die Mutter hat ihn zum erstenmal Hund gescholten.

Jetzt knirscht des Vaters drohende Stimme:

„Untersteh dich, daß du em was nachsehe! Untersteh dich!"

Franz fühlt keinen Schutz für sich aus diesen Worten, und die anderen
Kinder sehen ängstlich auf.

Man hört, wie draußen vor der Haustür schweres Ackergeschirr niedergelegt
wird. Dann tappen genagelte Schuhe durch den geplätteten Hausgang. Es klopft.

Ein Bauersmann mit stoppelbärtigem Gesicht steht schwerfällig im Rahmen.
In, hembgezerrten rechten Mundwinkel hängt ihm eine kurze Pfeife. Er
nimmt sie heraus, hält sie in der einen Hand, mit der anderen setzt er die
tuchene Mütze ab.

„Gun Owend beisamme! Gure Appetit aach zum Nachtesse! El, Herr
Lähre, ich meenst mei Kleine moaje gäärn emol dehaam beHalde. Mei Fraa
muß lower Feld zu einer Leich. Ehre Schweejern is gestorwe. Do seil mer
die Kleine e bißje die Haushalding fibre!"

Der Lehrer spreizt sich ein wenig in schulmeisterlicher Würde, um den
Wunsch des Bauern schließlich doch zu erfüllen.

Franz würgt seinen Pfannkuchen hinunter. Die Anwesenheit eines Gleich¬
gültigen mindert seine Beengung.

Dem Bauer ist es nicht unbemerkt geblieben, daß die Mutter den Kopf
verbunden hat, und er fragt:


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[0577] Franz Weilers Martyrium „Im Namen. . .!" Jakob, der Zehnjährige, fährt fort und schnattert: „. . . des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen. O Gott, von dem wir alles haben, wir preisen dich für deine Gaben. Du speisest uns. weil du uns liebst, o segne auch, was du uns gibst. Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem heiligen Geiste. Amen." Während des Betens schielt Franz zur Mutter, neben der sein Tischplatz ist. Sie hat noch die Binde um den Kopf. Nach dem Gebet zerschneidet sie die Pfannkuchen, legt jedem Kind ein Stück in den Teller und zerwürfelt es und dem Messer. Es gibt Feldsalat und Brot dazu. Die Kleinen hat sie freundlich mit Essen versehen. Franzens Anteil schleudert sie in den Teller, ein böser Blick dazu, in dem ein Rachelodern flammt. Dem gepeinigten Bub steigen die Tränen in die Augen. Bewegungslos sitzt er vor dem Teller und würgt seine Tränen hinunter. In der Nase rinnt es ihm feucht. Als er schnüffelt, merkt der Vater auf: „Warum ißt der Kerl nix? Wer so fesche geschafft hat, muß auch esse könne!" Franz schüttelt traurig den Kopf und haucht mit zuckendem Munde: „Ich kann net!" Nun herrscht die Mutter ihn an: „Freß, du Hund, du vermaledeiter!" Unwillkürlich greift das Kind ans Herz. Es ist ihm, als habe es inwendig gezerrt. Die Mutter hat ihn zum erstenmal Hund gescholten. Jetzt knirscht des Vaters drohende Stimme: „Untersteh dich, daß du em was nachsehe! Untersteh dich!" Franz fühlt keinen Schutz für sich aus diesen Worten, und die anderen Kinder sehen ängstlich auf. Man hört, wie draußen vor der Haustür schweres Ackergeschirr niedergelegt wird. Dann tappen genagelte Schuhe durch den geplätteten Hausgang. Es klopft. Ein Bauersmann mit stoppelbärtigem Gesicht steht schwerfällig im Rahmen. In, hembgezerrten rechten Mundwinkel hängt ihm eine kurze Pfeife. Er nimmt sie heraus, hält sie in der einen Hand, mit der anderen setzt er die tuchene Mütze ab. „Gun Owend beisamme! Gure Appetit aach zum Nachtesse! El, Herr Lähre, ich meenst mei Kleine moaje gäärn emol dehaam beHalde. Mei Fraa muß lower Feld zu einer Leich. Ehre Schweejern is gestorwe. Do seil mer die Kleine e bißje die Haushalding fibre!" Der Lehrer spreizt sich ein wenig in schulmeisterlicher Würde, um den Wunsch des Bauern schließlich doch zu erfüllen. Franz würgt seinen Pfannkuchen hinunter. Die Anwesenheit eines Gleich¬ gültigen mindert seine Beengung. Dem Bauer ist es nicht unbemerkt geblieben, daß die Mutter den Kopf verbunden hat, und er fragt:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/577>, abgerufen am 29.12.2024.