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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Putz zu dem erfolgreichsten unter ihnen, daß er sich ausschließlich auf
solche Trübnernrtig breite Malerei beschränkt hat. Eine Zeitlang schien es, als
könnte aus Putz mehr als ein flotter Münchner Skizzist mehr oder weniger
bekleideter Modelle werden, denn seine Phantasie war kaum geringer als die
Fritz Erkers und urwüchsiger, weniger symbolisch und ganz aus der sinnlichen
Welt. Aber es scheint bei glücklichen Anläufen geblieben zu sein; auch ihm
ist die leichte Schaffensmöglichkeit und die Münchner Atmosphäre gefährlich
geworden. Verwandtes, aber mit reiferer Beschränkung auf mondäne Frauen¬
grazie, erstrebten A. Münzer und mit einem Zug zum Stilleben und Interieur
W. Püttner.

Was Leiht für München, das bedeutet Max Liebermann für Berlin und
Norddeutschland überhaupt. Dieser so viel und leidenschaftlich angefeindete
.Künstler galt und gilt immer noch häufig als Revolutionär; er ist es
auch, wenn Revolution den tatkräftigen Protest gegen alles Mittelmäßige
und akademisch Erstarrte in der Kunst bedeutet. Es war ein Protest
der Tat und nicht des Wortes. Allerdings, was in Süddentschland Leiht
in bäuerlicher Einsamkeit und Stille vollbrachte, in einem Lande, das
längst malerisch und sinnlich empfand und malte, dazu bedürfte es in dem
härteren geistigen Klima Norddeutschlands öffentlichen und lauten .Kampfes.
Die Münchner Sezession, in der sich die impressionistischen Neuerer zusammen¬
fanden, wurde zwar früher gegründet als die Berliner. Aber diese hatte
sogleich von Anbeginn die größere Bedeutung, weil ihre Mitglieder entschlossener
und folgerichtiger den Impressionismus betonten und jede starke neue Begabung
aufnahmen, und weil sie in Liebermann einen künstlerisch wie kunstpolitisch
gleich energischen Führer hatten. Es ist nicht möglich und nicht nötig, Lieber¬
manns Führerschaft in der Sezession zu schildern, notwendig aber, seine historische
Stellung kurz zu betrachten, weil sie das Geheimnis seines Einflusses und seiner
Bedeutung enthält.

Die Anschauungsweise des norddeutschen Realismus geht bis ins achtzehnte
Jahrhundert, auf Chodowiecki zurück. Sie kehrt wieder mit höherem Schwung
bei Gottfried Schadow, mit kluger Nüchternheit bei dem echtberliner Krüger; und
auf diesem baut unmittelbar Menzel wieder auf. Nicht von dem Wirklichkeits-
registrator Menzel ist hier die Rede, sondern von dem genialen Maler
seiner Jugend, der schon in den achtzehnhundertvierziger Jahren einen völlig
impressionistischen, malerischen Stil selbständig ausgebildet hat. Die Tradition
der ehrlichen Wirklichkeitskunst nahm Liebermann wieder auf, und es zeugt
sowohl für das außerordentliche Genie des jüngeren Menzel als für die inner¬
liche Reife der Liebermcmnschen Malerei, daß Liebermann erst nach jahrzehnte¬
langer Entwicklung auf dem Standpunkt ganz lockerer Malweise anlangte, mit
der Menzel fast begann. Liebermann hat sich die breite, gelassene Handschrift,
die seine späteren Bilder so einfach und eindringlich macht, selbst geschaffen und
damit das von Menzel verlassene Werk wieder aufgenommen. Jetzt, wo er


Grenzboten I 1912 71

Putz zu dem erfolgreichsten unter ihnen, daß er sich ausschließlich auf
solche Trübnernrtig breite Malerei beschränkt hat. Eine Zeitlang schien es, als
könnte aus Putz mehr als ein flotter Münchner Skizzist mehr oder weniger
bekleideter Modelle werden, denn seine Phantasie war kaum geringer als die
Fritz Erkers und urwüchsiger, weniger symbolisch und ganz aus der sinnlichen
Welt. Aber es scheint bei glücklichen Anläufen geblieben zu sein; auch ihm
ist die leichte Schaffensmöglichkeit und die Münchner Atmosphäre gefährlich
geworden. Verwandtes, aber mit reiferer Beschränkung auf mondäne Frauen¬
grazie, erstrebten A. Münzer und mit einem Zug zum Stilleben und Interieur
W. Püttner.

Was Leiht für München, das bedeutet Max Liebermann für Berlin und
Norddeutschland überhaupt. Dieser so viel und leidenschaftlich angefeindete
.Künstler galt und gilt immer noch häufig als Revolutionär; er ist es
auch, wenn Revolution den tatkräftigen Protest gegen alles Mittelmäßige
und akademisch Erstarrte in der Kunst bedeutet. Es war ein Protest
der Tat und nicht des Wortes. Allerdings, was in Süddentschland Leiht
in bäuerlicher Einsamkeit und Stille vollbrachte, in einem Lande, das
längst malerisch und sinnlich empfand und malte, dazu bedürfte es in dem
härteren geistigen Klima Norddeutschlands öffentlichen und lauten .Kampfes.
Die Münchner Sezession, in der sich die impressionistischen Neuerer zusammen¬
fanden, wurde zwar früher gegründet als die Berliner. Aber diese hatte
sogleich von Anbeginn die größere Bedeutung, weil ihre Mitglieder entschlossener
und folgerichtiger den Impressionismus betonten und jede starke neue Begabung
aufnahmen, und weil sie in Liebermann einen künstlerisch wie kunstpolitisch
gleich energischen Führer hatten. Es ist nicht möglich und nicht nötig, Lieber¬
manns Führerschaft in der Sezession zu schildern, notwendig aber, seine historische
Stellung kurz zu betrachten, weil sie das Geheimnis seines Einflusses und seiner
Bedeutung enthält.

Die Anschauungsweise des norddeutschen Realismus geht bis ins achtzehnte
Jahrhundert, auf Chodowiecki zurück. Sie kehrt wieder mit höherem Schwung
bei Gottfried Schadow, mit kluger Nüchternheit bei dem echtberliner Krüger; und
auf diesem baut unmittelbar Menzel wieder auf. Nicht von dem Wirklichkeits-
registrator Menzel ist hier die Rede, sondern von dem genialen Maler
seiner Jugend, der schon in den achtzehnhundertvierziger Jahren einen völlig
impressionistischen, malerischen Stil selbständig ausgebildet hat. Die Tradition
der ehrlichen Wirklichkeitskunst nahm Liebermann wieder auf, und es zeugt
sowohl für das außerordentliche Genie des jüngeren Menzel als für die inner¬
liche Reife der Liebermcmnschen Malerei, daß Liebermann erst nach jahrzehnte¬
langer Entwicklung auf dem Standpunkt ganz lockerer Malweise anlangte, mit
der Menzel fast begann. Liebermann hat sich die breite, gelassene Handschrift,
die seine späteren Bilder so einfach und eindringlich macht, selbst geschaffen und
damit das von Menzel verlassene Werk wieder aufgenommen. Jetzt, wo er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/565>, abgerufen am 27.09.2024.