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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Die deutsche Malerei der Gegenwart

einem Bilde vier Jahre lang malen könne! Dieses Gemälde ist allerdings
"Die drei Bäuerinnen in der Kirche" und eines der köstlichsten Werke der
Malerei. Es enthält keine heroischen Kentaurenkämpfe oder Meernixen, es ist
inhaltlich total "langweilig"; sein unschätzbarer Wert beruht darin, daß ein
großer Künstler hier die Natur bis ins letzte hinein lebendig nachgefühlt und
ein Gewebe von farbigen Flächen daraus gemacht hat, das als Malwerk
schlechthin vollkommen ist. Um seine Schönheit zu empfinden, braucht man
nur zu fühlen, was Kunst von der Natur unterscheidet. Erklären läßt
es sich nicht, weil das Wesen des Malerischen, ganz wie das eigentlich
Musikalische, mit den Sinnen allein erfaßt, aber mit Worten nicht beschrieben
werden kann.

Um Leiht bildete sich in den siebziger Jahren ein Kreis gleichstrebender
Maler, die zum großen Teil noch heute wirken, aber nicht alle die hohe
Qualität jener gemeinsamen Jahre bewahrt haben. So sind namentlich
Hagemeister und Theodor Alt bald von ihrer damaligen Höhe herabgesunken.
Auch Hans Thoma gehört in weiterem Sinne zu ihren Gesinnungsgenossen; wie er
seine Anschauungen -- nicht zum Vorteil seiner Malerei -- gewandelt hat,
haben wir schon betrachtet. Karl Schund, dessen wunderbare Stilleben oft
Leibls Feinheit erreichen, ist gestorben. Der intimste Genosse des großen
Kölners war spert, der mehr zur Feinmalerei neigte und in Landschaften und
Interieurs gleichermaßen eine träumerische Stille liebte. Der bedeutendste aus
dem Kreise aber ist Wilhelm Trübner. In jungen Jahren schon erreichte er
eine Meisterschaft, die den besten Holländern ebenbürtig genannt werden kann.
Seine Bildnisse, seine Landschaften sind in gewissem Sinne harmonischer und
daseinsfreudiger als die von Leiht; sie sind leichter und glücklicher entstanden
als Leibls schwerblütig tiefe Arbeiten, und ein Glücksgefühl strömt von ihrer
lockeren, flockigen Oberfläche aus, das echt süddeutsch ist. Aber auch Trübner
sand, wie alle Großen seiner Zeit, keine Resonanz in Deutschland. Er bemühte
sich mit anekdotenhaften Pointen und mit Kentaurenbildern um die Gunst des
deutschen Volkes; aber die waren zu gut gemalt, als daß man ihn mit den
beliebten Genre- und Historienmalern hätte verwechseln können. Und endlich
reifte dann in den neunziger Jahren fein heutiger Stil, der mit breiterer,
wuchtiger Pinfeltechnik die Natur zu großen vereinfachten Flächen zusammen¬
zwingt, sei es Landschaft, Bildnis, Stilleben oder was er malt. Diese
"gemauerte" Technik ist für den heutigen Trübner charakteristisch, und sie ver¬
bindet echt malerischen Geist mit einem großen Gefühl für dekorative Fern¬
wirkung. Die stille Feinheit seiner Jugendbilder, ihren unendlichen Charme
erreichen diese Bilder nicht; aber ihr stärkerer Klang entspricht dem Bedürfnis
unserer Zeit und ist ein Ausdruck des Fortschreitens ihres Meisters.*)



") Eine vortreffliche Einführung in das Wesen und die Bedeutung der Kunst Trübners
bietet Georg Fuchs in einer bei Georg Müller in München erschienenen reich illustrierten
Die Schristltg. Monographie.
Die deutsche Malerei der Gegenwart

einem Bilde vier Jahre lang malen könne! Dieses Gemälde ist allerdings
„Die drei Bäuerinnen in der Kirche" und eines der köstlichsten Werke der
Malerei. Es enthält keine heroischen Kentaurenkämpfe oder Meernixen, es ist
inhaltlich total „langweilig"; sein unschätzbarer Wert beruht darin, daß ein
großer Künstler hier die Natur bis ins letzte hinein lebendig nachgefühlt und
ein Gewebe von farbigen Flächen daraus gemacht hat, das als Malwerk
schlechthin vollkommen ist. Um seine Schönheit zu empfinden, braucht man
nur zu fühlen, was Kunst von der Natur unterscheidet. Erklären läßt
es sich nicht, weil das Wesen des Malerischen, ganz wie das eigentlich
Musikalische, mit den Sinnen allein erfaßt, aber mit Worten nicht beschrieben
werden kann.

Um Leiht bildete sich in den siebziger Jahren ein Kreis gleichstrebender
Maler, die zum großen Teil noch heute wirken, aber nicht alle die hohe
Qualität jener gemeinsamen Jahre bewahrt haben. So sind namentlich
Hagemeister und Theodor Alt bald von ihrer damaligen Höhe herabgesunken.
Auch Hans Thoma gehört in weiterem Sinne zu ihren Gesinnungsgenossen; wie er
seine Anschauungen — nicht zum Vorteil seiner Malerei — gewandelt hat,
haben wir schon betrachtet. Karl Schund, dessen wunderbare Stilleben oft
Leibls Feinheit erreichen, ist gestorben. Der intimste Genosse des großen
Kölners war spert, der mehr zur Feinmalerei neigte und in Landschaften und
Interieurs gleichermaßen eine träumerische Stille liebte. Der bedeutendste aus
dem Kreise aber ist Wilhelm Trübner. In jungen Jahren schon erreichte er
eine Meisterschaft, die den besten Holländern ebenbürtig genannt werden kann.
Seine Bildnisse, seine Landschaften sind in gewissem Sinne harmonischer und
daseinsfreudiger als die von Leiht; sie sind leichter und glücklicher entstanden
als Leibls schwerblütig tiefe Arbeiten, und ein Glücksgefühl strömt von ihrer
lockeren, flockigen Oberfläche aus, das echt süddeutsch ist. Aber auch Trübner
sand, wie alle Großen seiner Zeit, keine Resonanz in Deutschland. Er bemühte
sich mit anekdotenhaften Pointen und mit Kentaurenbildern um die Gunst des
deutschen Volkes; aber die waren zu gut gemalt, als daß man ihn mit den
beliebten Genre- und Historienmalern hätte verwechseln können. Und endlich
reifte dann in den neunziger Jahren fein heutiger Stil, der mit breiterer,
wuchtiger Pinfeltechnik die Natur zu großen vereinfachten Flächen zusammen¬
zwingt, sei es Landschaft, Bildnis, Stilleben oder was er malt. Diese
„gemauerte" Technik ist für den heutigen Trübner charakteristisch, und sie ver¬
bindet echt malerischen Geist mit einem großen Gefühl für dekorative Fern¬
wirkung. Die stille Feinheit seiner Jugendbilder, ihren unendlichen Charme
erreichen diese Bilder nicht; aber ihr stärkerer Klang entspricht dem Bedürfnis
unserer Zeit und ist ein Ausdruck des Fortschreitens ihres Meisters.*)



") Eine vortreffliche Einführung in das Wesen und die Bedeutung der Kunst Trübners
bietet Georg Fuchs in einer bei Georg Müller in München erschienenen reich illustrierten
Die Schristltg. Monographie.
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[0563] Die deutsche Malerei der Gegenwart einem Bilde vier Jahre lang malen könne! Dieses Gemälde ist allerdings „Die drei Bäuerinnen in der Kirche" und eines der köstlichsten Werke der Malerei. Es enthält keine heroischen Kentaurenkämpfe oder Meernixen, es ist inhaltlich total „langweilig"; sein unschätzbarer Wert beruht darin, daß ein großer Künstler hier die Natur bis ins letzte hinein lebendig nachgefühlt und ein Gewebe von farbigen Flächen daraus gemacht hat, das als Malwerk schlechthin vollkommen ist. Um seine Schönheit zu empfinden, braucht man nur zu fühlen, was Kunst von der Natur unterscheidet. Erklären läßt es sich nicht, weil das Wesen des Malerischen, ganz wie das eigentlich Musikalische, mit den Sinnen allein erfaßt, aber mit Worten nicht beschrieben werden kann. Um Leiht bildete sich in den siebziger Jahren ein Kreis gleichstrebender Maler, die zum großen Teil noch heute wirken, aber nicht alle die hohe Qualität jener gemeinsamen Jahre bewahrt haben. So sind namentlich Hagemeister und Theodor Alt bald von ihrer damaligen Höhe herabgesunken. Auch Hans Thoma gehört in weiterem Sinne zu ihren Gesinnungsgenossen; wie er seine Anschauungen — nicht zum Vorteil seiner Malerei — gewandelt hat, haben wir schon betrachtet. Karl Schund, dessen wunderbare Stilleben oft Leibls Feinheit erreichen, ist gestorben. Der intimste Genosse des großen Kölners war spert, der mehr zur Feinmalerei neigte und in Landschaften und Interieurs gleichermaßen eine träumerische Stille liebte. Der bedeutendste aus dem Kreise aber ist Wilhelm Trübner. In jungen Jahren schon erreichte er eine Meisterschaft, die den besten Holländern ebenbürtig genannt werden kann. Seine Bildnisse, seine Landschaften sind in gewissem Sinne harmonischer und daseinsfreudiger als die von Leiht; sie sind leichter und glücklicher entstanden als Leibls schwerblütig tiefe Arbeiten, und ein Glücksgefühl strömt von ihrer lockeren, flockigen Oberfläche aus, das echt süddeutsch ist. Aber auch Trübner sand, wie alle Großen seiner Zeit, keine Resonanz in Deutschland. Er bemühte sich mit anekdotenhaften Pointen und mit Kentaurenbildern um die Gunst des deutschen Volkes; aber die waren zu gut gemalt, als daß man ihn mit den beliebten Genre- und Historienmalern hätte verwechseln können. Und endlich reifte dann in den neunziger Jahren fein heutiger Stil, der mit breiterer, wuchtiger Pinfeltechnik die Natur zu großen vereinfachten Flächen zusammen¬ zwingt, sei es Landschaft, Bildnis, Stilleben oder was er malt. Diese „gemauerte" Technik ist für den heutigen Trübner charakteristisch, und sie ver¬ bindet echt malerischen Geist mit einem großen Gefühl für dekorative Fern¬ wirkung. Die stille Feinheit seiner Jugendbilder, ihren unendlichen Charme erreichen diese Bilder nicht; aber ihr stärkerer Klang entspricht dem Bedürfnis unserer Zeit und ist ein Ausdruck des Fortschreitens ihres Meisters.*) ") Eine vortreffliche Einführung in das Wesen und die Bedeutung der Kunst Trübners bietet Georg Fuchs in einer bei Georg Müller in München erschienenen reich illustrierten Die Schristltg. Monographie.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/563>, abgerufen am 27.09.2024.