Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.Neichsspiegel Konsequenz des Ministerwechsels ohne gleichzeitig erfolgende Reichstagsauflösung Jetzt sind wir wieder an einer Etappe angelangt, wo die Regierung Neichsspiegel Konsequenz des Ministerwechsels ohne gleichzeitig erfolgende Reichstagsauflösung Jetzt sind wir wieder an einer Etappe angelangt, wo die Regierung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0555" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320972"/> <fw type="header" place="top"> Neichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_2475" prev="#ID_2474"> Konsequenz des Ministerwechsels ohne gleichzeitig erfolgende Reichstagsauflösung<lb/> gewesen wäre. Dies zu tun, hinderte ihn die an sich richtige Erkenntnis, daß<lb/> es mit den alten Gepflogenheiten im Reiche nicht mehr weiter ginge. Die<lb/> Folgerung aus dieser Erkenntnis aber, das Land zu befragen und das Land<lb/> zur Wahl einer liberalen Mehrheit zu veranlassen, wagte er nicht zu ziehen.<lb/> Und darin liegt das ganze Unglück mit unserer politischen Verärgerung, die<lb/> durch eine Reichstagsauflösung im Sommer 1909 nicht tiefer geführt werden<lb/> konnte, als es durch die „friedliche" Politik geschehen. Gab damals das Reich<lb/> ähnlich wie jetzt in Bauern eine Antwort zugunsten der Konservativen, so hätte<lb/> die Regierung sich bei ihrer ferneren Haltung mit gutem Recht darauf berufen<lb/> können, daß das Volk nicht anders als konservativ regiert werden wollte. Gab<lb/> es eine Mehrheit, die dem Bülow-Block entsprach, so wären die Gesetze, die in<lb/> den letzten zwei Jahren unter Dach gebracht wurden, sicher nicht zu kurz gekommen.<lb/> Und die Verärgerung, die nur den Sozialdemokraten zugute gekommen ist,<lb/> wäre vermieden.</p><lb/> <p xml:id="ID_2476" next="#ID_2477"> Jetzt sind wir wieder an einer Etappe angelangt, wo die Regierung<lb/> richtunggebend eingreifen kann: Wehrfrage und Deckungsfrage stehen auf<lb/> der Tagesordnung! Verfassungsfragen werden von allen Seiten an sie gerichtet.<lb/> In der Deckungsfrage ist augenscheinlich der Rückzug angetreten. Freiherr</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0555]
Neichsspiegel
Konsequenz des Ministerwechsels ohne gleichzeitig erfolgende Reichstagsauflösung
gewesen wäre. Dies zu tun, hinderte ihn die an sich richtige Erkenntnis, daß
es mit den alten Gepflogenheiten im Reiche nicht mehr weiter ginge. Die
Folgerung aus dieser Erkenntnis aber, das Land zu befragen und das Land
zur Wahl einer liberalen Mehrheit zu veranlassen, wagte er nicht zu ziehen.
Und darin liegt das ganze Unglück mit unserer politischen Verärgerung, die
durch eine Reichstagsauflösung im Sommer 1909 nicht tiefer geführt werden
konnte, als es durch die „friedliche" Politik geschehen. Gab damals das Reich
ähnlich wie jetzt in Bauern eine Antwort zugunsten der Konservativen, so hätte
die Regierung sich bei ihrer ferneren Haltung mit gutem Recht darauf berufen
können, daß das Volk nicht anders als konservativ regiert werden wollte. Gab
es eine Mehrheit, die dem Bülow-Block entsprach, so wären die Gesetze, die in
den letzten zwei Jahren unter Dach gebracht wurden, sicher nicht zu kurz gekommen.
Und die Verärgerung, die nur den Sozialdemokraten zugute gekommen ist,
wäre vermieden.
Jetzt sind wir wieder an einer Etappe angelangt, wo die Regierung
richtunggebend eingreifen kann: Wehrfrage und Deckungsfrage stehen auf
der Tagesordnung! Verfassungsfragen werden von allen Seiten an sie gerichtet.
In der Deckungsfrage ist augenscheinlich der Rückzug angetreten. Freiherr
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