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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Franz Meilers Martyrium

Als der Mann sich niederbeugt, um das Reisig auszulegen, bückt sich auch
das Kind, um die leere Erbsendüte aufzuheben. Da sinkt es ganz auf die Knie,
umklammert inbrünstig des Vaters Bein und schluchzt mit zuckendem Munde:

"Babbal Babba!"

Sonst nichts. Es bringt nichts weiter über die Lippen. Aber in seinem
Auge weint die Seele: meine Welt bricht zusammen!

Drei Jahre lang hat der Mann Pädagogik studiert und Psychologie, und
zwanzig Jahre lang hat er Schule gehalten und Kinder erzogen und Ersahrungen
des Lebens sammeln können. Und nun schüttelt er unwillig das Bein, so daß
der Kleine es loslassen muß, und sagt voller Widerwille:

"Geh mir weg! Fängst du auch schon an, Theater zu spiele wie das
alte Mensch?!"

Für seine grobklotzige Seele ist die Affäre längst abgetan. Sie ist schon
zum Vergangenen gesunken.

Franz stellt sich auf. In seinem Kopf wirbelt es, wie wenn der Wind
abgefallenes Herbstlaub durcheinanderbläst. Er wankt vor, geht wieder zurück.
Er weiß nicht, wohin. Sein Vater lebt, seine Mutter ist noch da. Und er ist
.trotzdem eine Waise. Eine unsagbare Verlassenheit überfällt ihn. Zwei dicke
Tränen rollen ihm so ätzend über die Wangen, als seien sie eine giftige Säure.
Das bittere Wasser der Tränen fällt auf die Erde. Ihr salziges Weh sickert
zerfressend durch die dornengekrönte Kindesseele.

Der Bub geht in den Hof. Die Mutter sieht vom Küchenfenster aus mit
einem bösen Blicke aus ihn. Da wagt er nicht hineinzugehen, nimmt einen
Besen, kehrt den verzettelten Mist zusammen und schippt ihn in die Grube.

Dann erst geht er mit dem Vater, der unterdessen seine Arbeit ebenfalls
beendet hat, ins Haus, in die Küche. (Fortsetzung folgt)




Franz Meilers Martyrium

Als der Mann sich niederbeugt, um das Reisig auszulegen, bückt sich auch
das Kind, um die leere Erbsendüte aufzuheben. Da sinkt es ganz auf die Knie,
umklammert inbrünstig des Vaters Bein und schluchzt mit zuckendem Munde:

„Babbal Babba!"

Sonst nichts. Es bringt nichts weiter über die Lippen. Aber in seinem
Auge weint die Seele: meine Welt bricht zusammen!

Drei Jahre lang hat der Mann Pädagogik studiert und Psychologie, und
zwanzig Jahre lang hat er Schule gehalten und Kinder erzogen und Ersahrungen
des Lebens sammeln können. Und nun schüttelt er unwillig das Bein, so daß
der Kleine es loslassen muß, und sagt voller Widerwille:

„Geh mir weg! Fängst du auch schon an, Theater zu spiele wie das
alte Mensch?!"

Für seine grobklotzige Seele ist die Affäre längst abgetan. Sie ist schon
zum Vergangenen gesunken.

Franz stellt sich auf. In seinem Kopf wirbelt es, wie wenn der Wind
abgefallenes Herbstlaub durcheinanderbläst. Er wankt vor, geht wieder zurück.
Er weiß nicht, wohin. Sein Vater lebt, seine Mutter ist noch da. Und er ist
.trotzdem eine Waise. Eine unsagbare Verlassenheit überfällt ihn. Zwei dicke
Tränen rollen ihm so ätzend über die Wangen, als seien sie eine giftige Säure.
Das bittere Wasser der Tränen fällt auf die Erde. Ihr salziges Weh sickert
zerfressend durch die dornengekrönte Kindesseele.

Der Bub geht in den Hof. Die Mutter sieht vom Küchenfenster aus mit
einem bösen Blicke aus ihn. Da wagt er nicht hineinzugehen, nimmt einen
Besen, kehrt den verzettelten Mist zusammen und schippt ihn in die Grube.

Dann erst geht er mit dem Vater, der unterdessen seine Arbeit ebenfalls
beendet hat, ins Haus, in die Küche. (Fortsetzung folgt)




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[0544] Franz Meilers Martyrium Als der Mann sich niederbeugt, um das Reisig auszulegen, bückt sich auch das Kind, um die leere Erbsendüte aufzuheben. Da sinkt es ganz auf die Knie, umklammert inbrünstig des Vaters Bein und schluchzt mit zuckendem Munde: „Babbal Babba!" Sonst nichts. Es bringt nichts weiter über die Lippen. Aber in seinem Auge weint die Seele: meine Welt bricht zusammen! Drei Jahre lang hat der Mann Pädagogik studiert und Psychologie, und zwanzig Jahre lang hat er Schule gehalten und Kinder erzogen und Ersahrungen des Lebens sammeln können. Und nun schüttelt er unwillig das Bein, so daß der Kleine es loslassen muß, und sagt voller Widerwille: „Geh mir weg! Fängst du auch schon an, Theater zu spiele wie das alte Mensch?!" Für seine grobklotzige Seele ist die Affäre längst abgetan. Sie ist schon zum Vergangenen gesunken. Franz stellt sich auf. In seinem Kopf wirbelt es, wie wenn der Wind abgefallenes Herbstlaub durcheinanderbläst. Er wankt vor, geht wieder zurück. Er weiß nicht, wohin. Sein Vater lebt, seine Mutter ist noch da. Und er ist .trotzdem eine Waise. Eine unsagbare Verlassenheit überfällt ihn. Zwei dicke Tränen rollen ihm so ätzend über die Wangen, als seien sie eine giftige Säure. Das bittere Wasser der Tränen fällt auf die Erde. Ihr salziges Weh sickert zerfressend durch die dornengekrönte Kindesseele. Der Bub geht in den Hof. Die Mutter sieht vom Küchenfenster aus mit einem bösen Blicke aus ihn. Da wagt er nicht hineinzugehen, nimmt einen Besen, kehrt den verzettelten Mist zusammen und schippt ihn in die Grube. Dann erst geht er mit dem Vater, der unterdessen seine Arbeit ebenfalls beendet hat, ins Haus, in die Küche. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/544>, abgerufen am 20.10.2024.