Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.Reichsspiegel bringenden kaufmännischen oder industriellen Tätigkeit ohne den Besitz der Wenn so das Gesetz in ausreichendem Maße dafür Sorge trägt, den Grenzboten l 1912 63
Reichsspiegel bringenden kaufmännischen oder industriellen Tätigkeit ohne den Besitz der Wenn so das Gesetz in ausreichendem Maße dafür Sorge trägt, den Grenzboten l 1912 63
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0501" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320918"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_2193" prev="#ID_2192"> bringenden kaufmännischen oder industriellen Tätigkeit ohne den Besitz der<lb/> Staatsangehörigkeit des betreffenden Landes kaum durchführbar ist. In Rußland<lb/> ist beispielsweise der Erwerb von Grundbesitz wie die Betätigung in einer Reihe<lb/> von kaufmännischen und gewerblichen Berufen für den Ausländer grundsätzlich<lb/> ausgeschlossen. In England kann ein Fremder nicht die Zulassung zur Börse<lb/> erreichen; damit ist in London dem Ausländer der wichtigste Zweig lauf,<lb/> närrischer und finanzieller Betätigung unmöglich gemacht. In den Ländern<lb/> Mittel- und Südamerikas werden bei allen staatlichen und kommunalen<lb/> Lieferungen und Ausschreibungen die Inländer dermaßen bevorzugt, daß auch<lb/> hier für den deutschen Kaufmann ein dringendes Interesse vorliegt, sich die<lb/> gleichen Vorteile zu sichern. Bei dieser Sachlage muß es doch als ein großer<lb/> Fortschritt bezeichnet werden, daß durch die neue Gesetzesbestimmung alle diese<lb/> stellenweise wertvollsten Elemente des im Ausland lebenden Deutschtums dem<lb/> Vaterlande erhalten bleiben können. Die russische Presse hat sich eingehend<lb/> mit dieser neuen Gesetzesbestimmung befaßt und auf den Standpunkt gestellt,<lb/> daß eine derartige doppelte Staatsangehörigkeit unzulässig sei. Erfreulicherweise<lb/> hat sich die Reichsregierung hierdurch in ihrer Haltung nicht beirren lassen;<lb/> ste ist vielmehr dem englischen Gesetze gefolgt, das die gleiche Bestimmung<lb/> bereits seit dem Jahre 1870 kennt. Die im Auslande lebenden Engländer<lb/> haben von dieser Wohltat des Gesetzes einen ausgiebigen Gebrauch gemacht,<lb/> und es ist nicht bekannt geworden, daß jemals sich andere Staaten darüber<lb/> beklagt hätten. Man wird sich daher wohl auch in Rußland mit der Tatsache<lb/> abfinden müssen, daß. was den Engländern recht ist, ebenso den Deutschen billig<lb/> sein müßte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2194" next="#ID_2195"> Wenn so das Gesetz in ausreichendem Maße dafür Sorge trägt, den<lb/> Verlust der Neichsangehörtgkeit auf ein Minimum zu beschränken, so bringt es<lb/> auf der anderen Seite eine Neuerung, welche, so berechtigt sie auch sein mag,<lb/> dieser Tendenz selbst naturgemäß zuwiderläuft. Es ist dies die Ausbürgerung<lb/> wegen nicht erfüllter Wehrpflicht. Diese Bestimmung stellt ein gesetzliches Novum<lb/> in der Welt dar. Die Begründung, welche dem Reichstage seitens der Reichs¬<lb/> regierung zu dem Gesetzentwurf zugegangen ist, behauptet, daß in den Ver¬<lb/> einigten Staaten eine ähnliche Bestimmung in Kraft sei. Dies beruht aber<lb/> auf einem Irrtum; das amerikanische Gesetz besagt vielmehr nur. daß die<lb/> Deserteure der amerikanischen Armee und Marine des amerikanischen Bürger¬<lb/> rechtes verlustig gehen sollen. Dies hat darin seinen Grund, daß ein großer<lb/> Teil der amerikanischen Soldaten Ausländer sind, und daß daher diese Leute,<lb/> wenn sie später ihre Eidespflicht verletzen, nicht das erst durch den Eintritt in die<lb/> amerikanische Wehrmacht erworbene Bürgerrecht noch weiterhin behalten sollen. Bei<lb/> uns liegen die Verhältnisse schon deswegen ganz anders, weil wir die allgemeine<lb/> Wehrpflicht haben. Aber gerade hieraus folgt auch die Berechtigung der neuen<lb/> Gesetzesbestimmung. Die bürgerliche und die Wehrgemeinschaft muß identisch<lb/> sein, und wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch nimmt, den im Inlande</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten l 1912 63</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0501]
Reichsspiegel
bringenden kaufmännischen oder industriellen Tätigkeit ohne den Besitz der
Staatsangehörigkeit des betreffenden Landes kaum durchführbar ist. In Rußland
ist beispielsweise der Erwerb von Grundbesitz wie die Betätigung in einer Reihe
von kaufmännischen und gewerblichen Berufen für den Ausländer grundsätzlich
ausgeschlossen. In England kann ein Fremder nicht die Zulassung zur Börse
erreichen; damit ist in London dem Ausländer der wichtigste Zweig lauf,
närrischer und finanzieller Betätigung unmöglich gemacht. In den Ländern
Mittel- und Südamerikas werden bei allen staatlichen und kommunalen
Lieferungen und Ausschreibungen die Inländer dermaßen bevorzugt, daß auch
hier für den deutschen Kaufmann ein dringendes Interesse vorliegt, sich die
gleichen Vorteile zu sichern. Bei dieser Sachlage muß es doch als ein großer
Fortschritt bezeichnet werden, daß durch die neue Gesetzesbestimmung alle diese
stellenweise wertvollsten Elemente des im Ausland lebenden Deutschtums dem
Vaterlande erhalten bleiben können. Die russische Presse hat sich eingehend
mit dieser neuen Gesetzesbestimmung befaßt und auf den Standpunkt gestellt,
daß eine derartige doppelte Staatsangehörigkeit unzulässig sei. Erfreulicherweise
hat sich die Reichsregierung hierdurch in ihrer Haltung nicht beirren lassen;
ste ist vielmehr dem englischen Gesetze gefolgt, das die gleiche Bestimmung
bereits seit dem Jahre 1870 kennt. Die im Auslande lebenden Engländer
haben von dieser Wohltat des Gesetzes einen ausgiebigen Gebrauch gemacht,
und es ist nicht bekannt geworden, daß jemals sich andere Staaten darüber
beklagt hätten. Man wird sich daher wohl auch in Rußland mit der Tatsache
abfinden müssen, daß. was den Engländern recht ist, ebenso den Deutschen billig
sein müßte.
Wenn so das Gesetz in ausreichendem Maße dafür Sorge trägt, den
Verlust der Neichsangehörtgkeit auf ein Minimum zu beschränken, so bringt es
auf der anderen Seite eine Neuerung, welche, so berechtigt sie auch sein mag,
dieser Tendenz selbst naturgemäß zuwiderläuft. Es ist dies die Ausbürgerung
wegen nicht erfüllter Wehrpflicht. Diese Bestimmung stellt ein gesetzliches Novum
in der Welt dar. Die Begründung, welche dem Reichstage seitens der Reichs¬
regierung zu dem Gesetzentwurf zugegangen ist, behauptet, daß in den Ver¬
einigten Staaten eine ähnliche Bestimmung in Kraft sei. Dies beruht aber
auf einem Irrtum; das amerikanische Gesetz besagt vielmehr nur. daß die
Deserteure der amerikanischen Armee und Marine des amerikanischen Bürger¬
rechtes verlustig gehen sollen. Dies hat darin seinen Grund, daß ein großer
Teil der amerikanischen Soldaten Ausländer sind, und daß daher diese Leute,
wenn sie später ihre Eidespflicht verletzen, nicht das erst durch den Eintritt in die
amerikanische Wehrmacht erworbene Bürgerrecht noch weiterhin behalten sollen. Bei
uns liegen die Verhältnisse schon deswegen ganz anders, weil wir die allgemeine
Wehrpflicht haben. Aber gerade hieraus folgt auch die Berechtigung der neuen
Gesetzesbestimmung. Die bürgerliche und die Wehrgemeinschaft muß identisch
sein, und wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch nimmt, den im Inlande
Grenzboten l 1912 63
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