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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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^'ranz Weilers Martyrium

"Da, Heiner, haschten! 's is en Milchgriffel. Mer kann gut denn schreiwe.
Schöner als wie mit harte Schiefergriffel. Wart, jetzt geb ich dir auch noch
die Klinker. Ich brauch se ja doch net. Ich derf ja doch net mit de ärmere
Buwe spiele."

Franz holt aus dem Hause den Zigarrenkasten, in dem er seine Klinker
aufbewahrt. Sie sind noch ganz neu und unbenutzt und glänzen in allen
Farben. Er läßt die bunten Steinkügelchen wehmütig ini Kasten rollen.

"Heiner, halt dei Kapp auf! All darf ich der se net gäwwe, forscht schürt't
mich mein Babba!"

Wie er sie, einen nach dem anderen, in Heinrichs Mütze fallen läßt, kommt
der Vater zum Tor herein. Er sieht die beiden Buben, Franz ihm den Rücken
kehrend, beisammen stehen und herrscht: "Was soll das da geben?" und ist
mit raschen Schritten bei ihnen.

"El, ich -- ich, de Heiner, el, Babba, ich will dem Heiner e par Klinker
güwwe!" stottert Franz.

"Wozu? Weil er der geholfe hat?"

"El, nein. Weil, weil. Er hat gesagt, er hätt' mich gern!"

"Dumm Zeug! Nix, nix, nix, des gibt's net. Die teuere Klinker willschte
herschenke? Was fällt dir ein?? Her damit!!"

Er reißt dem Franz den Kasten mit den Klinkern aus den Händen, stellt
ihn auf die Fensterbank und fingert aus der Westentasche etliche Geldmünzen.
Davon gibt er Heinrich drei Pfennig. Zuerst wollte er ihm einen Zweier und
einen Einer geben, dann entschied er sich zu drei Einem. Denn dem dummen
Kinde erscheint eine Geldsumme in Einzelmünzen größer als der gleiche Betrag
in großem Geld.

"So, da kann sich der Heinrich Erdelmeier was kaufen, und jetzt geht er
heim, Kaffee trinken!"

"Adscheh, Her Lähre, dank aach Schaar!" sagt Heinrich, schickt dem Franz,
der gerade ins Haus geht, einen traurigen Blick nach und schiebt sich zum
Tor hinaus.

Auf der Straße lauert er, ob der Lehrer ihm auch nicht nachsieht. Als
er nichts bemerkt, wirft er das Geld weg und knurrt:

"Pels der druff, peif der druff! Du, du, du. . .!"

Und streckt dem Lehrer, der ihn nicht sehen kann, die Zunge heraus, so
weit es nur gehen will.

An der Straßenecke bleibt der Bub noch einmal stehen, ob der Franz
nicht doch noch einmal ans Fenster komme. Die Klinker will er ja nicht
mehr, weil Franz sonst Hiebe bekäme. Aber er möchte den Franz gern noch
einmal sehen.

Da die großen Gardinen nicht zurückgezogen werden, trollt er sich davon.

(Fortsetzung folgt)




^'ranz Weilers Martyrium

„Da, Heiner, haschten! 's is en Milchgriffel. Mer kann gut denn schreiwe.
Schöner als wie mit harte Schiefergriffel. Wart, jetzt geb ich dir auch noch
die Klinker. Ich brauch se ja doch net. Ich derf ja doch net mit de ärmere
Buwe spiele."

Franz holt aus dem Hause den Zigarrenkasten, in dem er seine Klinker
aufbewahrt. Sie sind noch ganz neu und unbenutzt und glänzen in allen
Farben. Er läßt die bunten Steinkügelchen wehmütig ini Kasten rollen.

„Heiner, halt dei Kapp auf! All darf ich der se net gäwwe, forscht schürt't
mich mein Babba!"

Wie er sie, einen nach dem anderen, in Heinrichs Mütze fallen läßt, kommt
der Vater zum Tor herein. Er sieht die beiden Buben, Franz ihm den Rücken
kehrend, beisammen stehen und herrscht: „Was soll das da geben?" und ist
mit raschen Schritten bei ihnen.

„El, ich — ich, de Heiner, el, Babba, ich will dem Heiner e par Klinker
güwwe!" stottert Franz.

„Wozu? Weil er der geholfe hat?"

„El, nein. Weil, weil. Er hat gesagt, er hätt' mich gern!"

„Dumm Zeug! Nix, nix, nix, des gibt's net. Die teuere Klinker willschte
herschenke? Was fällt dir ein?? Her damit!!"

Er reißt dem Franz den Kasten mit den Klinkern aus den Händen, stellt
ihn auf die Fensterbank und fingert aus der Westentasche etliche Geldmünzen.
Davon gibt er Heinrich drei Pfennig. Zuerst wollte er ihm einen Zweier und
einen Einer geben, dann entschied er sich zu drei Einem. Denn dem dummen
Kinde erscheint eine Geldsumme in Einzelmünzen größer als der gleiche Betrag
in großem Geld.

„So, da kann sich der Heinrich Erdelmeier was kaufen, und jetzt geht er
heim, Kaffee trinken!"

„Adscheh, Her Lähre, dank aach Schaar!" sagt Heinrich, schickt dem Franz,
der gerade ins Haus geht, einen traurigen Blick nach und schiebt sich zum
Tor hinaus.

Auf der Straße lauert er, ob der Lehrer ihm auch nicht nachsieht. Als
er nichts bemerkt, wirft er das Geld weg und knurrt:

„Pels der druff, peif der druff! Du, du, du. . .!"

Und streckt dem Lehrer, der ihn nicht sehen kann, die Zunge heraus, so
weit es nur gehen will.

An der Straßenecke bleibt der Bub noch einmal stehen, ob der Franz
nicht doch noch einmal ans Fenster komme. Die Klinker will er ja nicht
mehr, weil Franz sonst Hiebe bekäme. Aber er möchte den Franz gern noch
einmal sehen.

Da die großen Gardinen nicht zurückgezogen werden, trollt er sich davon.

(Fortsetzung folgt)




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[0488] ^'ranz Weilers Martyrium „Da, Heiner, haschten! 's is en Milchgriffel. Mer kann gut denn schreiwe. Schöner als wie mit harte Schiefergriffel. Wart, jetzt geb ich dir auch noch die Klinker. Ich brauch se ja doch net. Ich derf ja doch net mit de ärmere Buwe spiele." Franz holt aus dem Hause den Zigarrenkasten, in dem er seine Klinker aufbewahrt. Sie sind noch ganz neu und unbenutzt und glänzen in allen Farben. Er läßt die bunten Steinkügelchen wehmütig ini Kasten rollen. „Heiner, halt dei Kapp auf! All darf ich der se net gäwwe, forscht schürt't mich mein Babba!" Wie er sie, einen nach dem anderen, in Heinrichs Mütze fallen läßt, kommt der Vater zum Tor herein. Er sieht die beiden Buben, Franz ihm den Rücken kehrend, beisammen stehen und herrscht: „Was soll das da geben?" und ist mit raschen Schritten bei ihnen. „El, ich — ich, de Heiner, el, Babba, ich will dem Heiner e par Klinker güwwe!" stottert Franz. „Wozu? Weil er der geholfe hat?" „El, nein. Weil, weil. Er hat gesagt, er hätt' mich gern!" „Dumm Zeug! Nix, nix, nix, des gibt's net. Die teuere Klinker willschte herschenke? Was fällt dir ein?? Her damit!!" Er reißt dem Franz den Kasten mit den Klinkern aus den Händen, stellt ihn auf die Fensterbank und fingert aus der Westentasche etliche Geldmünzen. Davon gibt er Heinrich drei Pfennig. Zuerst wollte er ihm einen Zweier und einen Einer geben, dann entschied er sich zu drei Einem. Denn dem dummen Kinde erscheint eine Geldsumme in Einzelmünzen größer als der gleiche Betrag in großem Geld. „So, da kann sich der Heinrich Erdelmeier was kaufen, und jetzt geht er heim, Kaffee trinken!" „Adscheh, Her Lähre, dank aach Schaar!" sagt Heinrich, schickt dem Franz, der gerade ins Haus geht, einen traurigen Blick nach und schiebt sich zum Tor hinaus. Auf der Straße lauert er, ob der Lehrer ihm auch nicht nachsieht. Als er nichts bemerkt, wirft er das Geld weg und knurrt: „Pels der druff, peif der druff! Du, du, du. . .!" Und streckt dem Lehrer, der ihn nicht sehen kann, die Zunge heraus, so weit es nur gehen will. An der Straßenecke bleibt der Bub noch einmal stehen, ob der Franz nicht doch noch einmal ans Fenster komme. Die Klinker will er ja nicht mehr, weil Franz sonst Hiebe bekäme. Aber er möchte den Franz gern noch einmal sehen. Da die großen Gardinen nicht zurückgezogen werden, trollt er sich davon. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/488>, abgerufen am 29.12.2024.