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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Franz lveilcrs Martyrium

"Und da, und da, untattara!" höhnt der Vater. "Der Kerl kann auch
nix. Setzen!"

Das Gelächter der Schüler rauscht grausam durch den Saal.

Franz setzt sich nieder und heftet voll brennender Scham die Blicke ins Buch.

In das Lachen der Kinder treibt sich wie ein Keil die rauhe Männerstimme:

"Ruhe jetzt!"

Noch ein halblautes Kichern und Kielern.

"Wer lacht da noch?? . . . Bücher zu! Gradsetzen! Arme verschränken!
Hierher sehen! -- Für morgen schreiben wir einen Aufsatz: Wie Seligenstadt
entstand. Jeder schreibts mit seinen eigenen Worten. Acht geben, ich erzähls
jetzt auf ein paar Arten vor."

Und Lehrer Weiler erzählt. Jeden Satz variiert er drei-, viermal.

Danach erinnert er noch einmal an sämtliche Schulaufgaben, die für den
anderen Tag zu erledigen sind, und kommandiert dann:

"Aufstellen zum Beten!"

Füße scharren und schlorren. Die zurückfahrenden Sitze klappern. Aller
Augen hängen an dem großen Kruzifix über dem Katheder. Darunter auf dem
Podium steht der Lehrer, legt die linke Hand auf die Brust, fährt mit der
rechten an die Stirne und schnarrt:

"Im Namen . . ."

Die Kinder fallen im Chöre ein:

"Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen."

Dann fährt eine einzelne Stimme weiter:

"Wir danken dir, o Gott, für alle Gaben und guten Lehren, die wir heute
empfangen haben. Segne dafür unsere lieben Eltern und Lehrer, die du uns
in deiner Güte gegeben hast zu unserer Wohlfahrt. Amen. Ehre sei dem
Vater und dem Sohne und dem heiligen Geiste. Amen."

Bei den Worten: "Segne. . ." kräuselt sich höhnisch ein Kindermund.

Nach dem Gebete machen sich die Schüler zum Gehen fertig. Sie stellen
sich zu Zweien in den Gängen zwischen den Bänken auf. Der Lehrer schließt
Katheder und Schrank ab. Neben diesem steht ein zweihenkeliger Korb, voll¬
gehäuft mit Frühstücksbrotresten, die der Lehrer für seine Hühner sammeln läßt.

Er fragt, mit seinem Kopfnicken auf Franz deutend:

"Wer hilft Dem den Korb voll Brot heimtragen?"

Unter den Buben meldet sich einer mit fast wütender Begeisterung. Ein
ganz stupid aussehendes Kind. Klein und verwachsen. Es ist der Klassen¬
dümmste.

"Ich, Herr Lähre, ich, ich, ich! Herr Lähre. ich helf Eiern Franz so
gäärn!"

"Gut, gut! Der Heinrich Erdelmeier hilft Dem tragen!"

Franz und Heinrich warten, bis alle gegangen sind, nehmen dann den
Korb auf und entfernen sich auch.


Franz lveilcrs Martyrium

„Und da, und da, untattara!" höhnt der Vater. „Der Kerl kann auch
nix. Setzen!"

Das Gelächter der Schüler rauscht grausam durch den Saal.

Franz setzt sich nieder und heftet voll brennender Scham die Blicke ins Buch.

In das Lachen der Kinder treibt sich wie ein Keil die rauhe Männerstimme:

„Ruhe jetzt!"

Noch ein halblautes Kichern und Kielern.

„Wer lacht da noch?? . . . Bücher zu! Gradsetzen! Arme verschränken!
Hierher sehen! — Für morgen schreiben wir einen Aufsatz: Wie Seligenstadt
entstand. Jeder schreibts mit seinen eigenen Worten. Acht geben, ich erzähls
jetzt auf ein paar Arten vor."

Und Lehrer Weiler erzählt. Jeden Satz variiert er drei-, viermal.

Danach erinnert er noch einmal an sämtliche Schulaufgaben, die für den
anderen Tag zu erledigen sind, und kommandiert dann:

„Aufstellen zum Beten!"

Füße scharren und schlorren. Die zurückfahrenden Sitze klappern. Aller
Augen hängen an dem großen Kruzifix über dem Katheder. Darunter auf dem
Podium steht der Lehrer, legt die linke Hand auf die Brust, fährt mit der
rechten an die Stirne und schnarrt:

„Im Namen . . ."

Die Kinder fallen im Chöre ein:

„Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen."

Dann fährt eine einzelne Stimme weiter:

„Wir danken dir, o Gott, für alle Gaben und guten Lehren, die wir heute
empfangen haben. Segne dafür unsere lieben Eltern und Lehrer, die du uns
in deiner Güte gegeben hast zu unserer Wohlfahrt. Amen. Ehre sei dem
Vater und dem Sohne und dem heiligen Geiste. Amen."

Bei den Worten: „Segne. . ." kräuselt sich höhnisch ein Kindermund.

Nach dem Gebete machen sich die Schüler zum Gehen fertig. Sie stellen
sich zu Zweien in den Gängen zwischen den Bänken auf. Der Lehrer schließt
Katheder und Schrank ab. Neben diesem steht ein zweihenkeliger Korb, voll¬
gehäuft mit Frühstücksbrotresten, die der Lehrer für seine Hühner sammeln läßt.

Er fragt, mit seinem Kopfnicken auf Franz deutend:

„Wer hilft Dem den Korb voll Brot heimtragen?"

Unter den Buben meldet sich einer mit fast wütender Begeisterung. Ein
ganz stupid aussehendes Kind. Klein und verwachsen. Es ist der Klassen¬
dümmste.

„Ich, Herr Lähre, ich, ich, ich! Herr Lähre. ich helf Eiern Franz so
gäärn!"

„Gut, gut! Der Heinrich Erdelmeier hilft Dem tragen!"

Franz und Heinrich warten, bis alle gegangen sind, nehmen dann den
Korb auf und entfernen sich auch.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/486>, abgerufen am 27.09.2024.