Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.Raimund und Nestroy oder auch nur manchmal gezeichnet habe. Schlechtestes wie Bestes läßt sich nur Es ist gesagt worden, daß Raimund zwischen seine Geister und seine Wo Nestroys Witz auf ein geformtes Kunstwerk trifft, da allein erscheint Raimund und Nestroy oder auch nur manchmal gezeichnet habe. Schlechtestes wie Bestes läßt sich nur Es ist gesagt worden, daß Raimund zwischen seine Geister und seine Wo Nestroys Witz auf ein geformtes Kunstwerk trifft, da allein erscheint <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0444" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320861"/> <fw type="header" place="top"> Raimund und Nestroy</fw><lb/> <p xml:id="ID_1876" prev="#ID_1875"> oder auch nur manchmal gezeichnet habe. Schlechtestes wie Bestes läßt sich nur<lb/> durch psychologisches Ergründen fassen, und zur Seelenkunde gehört wahrscheinlich<lb/> weniger Verstand als Gefühl, als das Vermögen, selber zu lieben und zu<lb/> hassen. Fast durchweg trifft man bei Nestroy auf dieselben und immer auch<lb/> recht geringe Stufen der Schlechtigkeit genau so wie der Güte; von irgend etwas<lb/> Superlativischem ist kaum je die Rede, nur immer vom Ungesteigerten, vom<lb/> Flachen. Man will sich amüsieren, man stiehlt, betrügt, verleumdet, verrät ein<lb/> bißchen, alles ohne Exzeß mit einer gewissen anständigen Bosheit und gemüt¬<lb/> lichen Niedertracht, und ebenso gemäßigt und ebenso umlief ist die Güte der<lb/> gelegentlichen braven, auch wohl „stler" Leute, die um der theatralischen<lb/> Ökonomie und Üblichkeit willen auftreten und nun den Nestroyanhängern zum<lb/> Beweise dafür herhalten müssen, daß ihr Held auch Gemüt hatte, daß er nicht<lb/> bloß Satiriker war. Aber in Wahrheit hat sich der Schriftsteller Nestroy als<lb/> vollkommen gemütsabwesend gezeigt, weswegen er dann freilich nicht nur als<lb/> Humorist, sondern auch als Satiriker geleugnet werden muß, da auch die Satire<lb/> der Kraft des Liebens und Hassens bedarf.</p><lb/> <p xml:id="ID_1877"> Es ist gesagt worden, daß Raimund zwischen seine Geister und seine<lb/> Menschen eine Art Mittelbildung stellte, die Allegorie, die ungemein lebens¬<lb/> vollen Gestalten der Zufriedenheit, des Hasses usw. Als solch eine Allegorie,<lb/> zugleich also als etwas mehr und sehr viel weniger als ein ganzer Mensch,<lb/> el scheint Johannes Nestroy, als die Allegorie des Witzes. Er ist die Verkörpe¬<lb/> rung des uneingeschränkten, selbstherrlichen Witzes, der weder dem Humor noch<lb/> der Satire dient, der auf keinen Gemütszustand schließen läßt und keine Willens¬<lb/> richtung bekundet, der die Komik der Dinge zwecklos und in blitzartiger Schnelle<lb/> und Flüchtigkeit in ihren äußeren Umrissen beleuchtet. Und wie Raimunds<lb/> Menschen neidisch oder hoffnungsvoll werden, wenn Neid oder Hoffnung an sie<lb/> herantreten, so werden die Dinge und Charaktere komisch, an die Nestroy heran¬<lb/> tritt. Aber Hoffnung und Neid sind bei Raimund in? Wechsel mit andere»<lb/> Menschlichkeiten tätig, und so ist bei ihm — wenn auch oft unter törichten<lb/> Formen — doch Leben zu spüren; bei Nestroy hingegen, wo der Witz die<lb/> absolute Gewalt hat, kommt alles auf ein erstarrtes Grinsen heraus. Man<lb/> sagt, es sei reichliches Leben in Nestroys Gestalten geflossen, wenn er sie selbst<lb/> gespielt habe, und noch heute könne ein guter Schauspieler manches damit<lb/> anfangen — aber wie traurig ist es um den Eigenwert einer Schöpfung bestellt,<lb/> deren Charaktere tote Hüllen sind und zum Erwachen des hereinschlüpfendcn<lb/> Darstellers bedürfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1878" next="#ID_1879"> Wo Nestroys Witz auf ein geformtes Kunstwerk trifft, da allein erscheint<lb/> der Witzige selber als Künstler, weil eben sein Witz vorhandener Kunstschöpfung<lb/> anhaftet; es handelt sich dann um kein Neubilden, nicht einmal um Arabesken¬<lb/> zeichnungen zu Vorhandenen, sondern einzig und allein um ein Verschieben von<lb/> Tonart und Beleuchtung. Nestroy ist einmal mit einem großen Kunstwerk<lb/> zusammengestoßen, und bei dieser Gelegenheit hat er dann wirklich selber eine</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0444]
Raimund und Nestroy
oder auch nur manchmal gezeichnet habe. Schlechtestes wie Bestes läßt sich nur
durch psychologisches Ergründen fassen, und zur Seelenkunde gehört wahrscheinlich
weniger Verstand als Gefühl, als das Vermögen, selber zu lieben und zu
hassen. Fast durchweg trifft man bei Nestroy auf dieselben und immer auch
recht geringe Stufen der Schlechtigkeit genau so wie der Güte; von irgend etwas
Superlativischem ist kaum je die Rede, nur immer vom Ungesteigerten, vom
Flachen. Man will sich amüsieren, man stiehlt, betrügt, verleumdet, verrät ein
bißchen, alles ohne Exzeß mit einer gewissen anständigen Bosheit und gemüt¬
lichen Niedertracht, und ebenso gemäßigt und ebenso umlief ist die Güte der
gelegentlichen braven, auch wohl „stler" Leute, die um der theatralischen
Ökonomie und Üblichkeit willen auftreten und nun den Nestroyanhängern zum
Beweise dafür herhalten müssen, daß ihr Held auch Gemüt hatte, daß er nicht
bloß Satiriker war. Aber in Wahrheit hat sich der Schriftsteller Nestroy als
vollkommen gemütsabwesend gezeigt, weswegen er dann freilich nicht nur als
Humorist, sondern auch als Satiriker geleugnet werden muß, da auch die Satire
der Kraft des Liebens und Hassens bedarf.
Es ist gesagt worden, daß Raimund zwischen seine Geister und seine
Menschen eine Art Mittelbildung stellte, die Allegorie, die ungemein lebens¬
vollen Gestalten der Zufriedenheit, des Hasses usw. Als solch eine Allegorie,
zugleich also als etwas mehr und sehr viel weniger als ein ganzer Mensch,
el scheint Johannes Nestroy, als die Allegorie des Witzes. Er ist die Verkörpe¬
rung des uneingeschränkten, selbstherrlichen Witzes, der weder dem Humor noch
der Satire dient, der auf keinen Gemütszustand schließen läßt und keine Willens¬
richtung bekundet, der die Komik der Dinge zwecklos und in blitzartiger Schnelle
und Flüchtigkeit in ihren äußeren Umrissen beleuchtet. Und wie Raimunds
Menschen neidisch oder hoffnungsvoll werden, wenn Neid oder Hoffnung an sie
herantreten, so werden die Dinge und Charaktere komisch, an die Nestroy heran¬
tritt. Aber Hoffnung und Neid sind bei Raimund in? Wechsel mit andere»
Menschlichkeiten tätig, und so ist bei ihm — wenn auch oft unter törichten
Formen — doch Leben zu spüren; bei Nestroy hingegen, wo der Witz die
absolute Gewalt hat, kommt alles auf ein erstarrtes Grinsen heraus. Man
sagt, es sei reichliches Leben in Nestroys Gestalten geflossen, wenn er sie selbst
gespielt habe, und noch heute könne ein guter Schauspieler manches damit
anfangen — aber wie traurig ist es um den Eigenwert einer Schöpfung bestellt,
deren Charaktere tote Hüllen sind und zum Erwachen des hereinschlüpfendcn
Darstellers bedürfen.
Wo Nestroys Witz auf ein geformtes Kunstwerk trifft, da allein erscheint
der Witzige selber als Künstler, weil eben sein Witz vorhandener Kunstschöpfung
anhaftet; es handelt sich dann um kein Neubilden, nicht einmal um Arabesken¬
zeichnungen zu Vorhandenen, sondern einzig und allein um ein Verschieben von
Tonart und Beleuchtung. Nestroy ist einmal mit einem großen Kunstwerk
zusammengestoßen, und bei dieser Gelegenheit hat er dann wirklich selber eine
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |