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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspicgel

jeden Anreiz zum Erwerb der Anleihe seitens des investierenden Publikums
ausschließt. Diesen so einfachen Grundprinzipien hat man unbegreiflicherweise
schnurstracks zuwidergehandelt. Wer soll vierprozentige Reichsanleihe übernehmen,
wenn er sich das Geld mit fünf Prozent und mehr beschaffen muß? Und wer
soll solche Anleihen erwerben, wenn der Kurs schon am zweiten Tage nach der
Emission an der Frankfurter Börse zwanzig Pfennige unter dem Ausgabekurs
steht, weil das Konsortium keine Vorkehrung zur Intervention getroffen hat?

Das Mißbehagen, welches die offiziellen Stellen über den Verlauf der
Anlehnsaufnahme beseelt, kommt zweifelsohne auch in der neuen Kundgebung
des Neichsbankpräsidenten gegenüber den Großbanken zum Ausdruck.
Es haben Besprechungen zwischen dem Präsidenten und einer Anzahl führender
Bankdirektoren stattgefunden, in denen ersterer wiederum darauf gedrungen hat,
die Banken möchten sich im Interesse gesunder Kredit- und Geldverhältnisse zu
gewissen restriktiven Maßnahmen verstehen. Wie verlautet, sollen die Anregungen
dahin gehen, im Interesse größerer Liquidität einen Barbestand von 15 Prozent
zu halten, die industriellen und insbesondere die Akzeptkredite ein¬
zuschränken und zu verteuern und endlich die Zinsvergütungen für
Depositengelder zu vereinheitlichen und herabzusetzen. Es ist bekannt,
daß der Reichsbankpräsident schon wiederholt den Banken Mäßigung empfohlen
hat. Von der Anschauung ausgehend, daß seitens der Banken eine überhitzte
Entwicklung der Industrie durch große Kreditgewährung gefördert werde, hat er
vor dreiviertel Jahren jene vielbesprochene und kritisierte Verteuerung der Lombard -
kredite an den Quartalsterminen dekretiert, die sich nach dem einstimmigen Urteil aller
Fachleute als ein Mißgriff erwiesen hat. Die gleiche Anschauung spiegelt sich
in seinen gegenwärtigen Vorschlägen wieder, die unter den Banken eine gewisse
Erregung und eine zum Teil scharf ablehnende Kritik hervorgerufen haben.
Offenbar glaubt man den inneren Grund für den Mißerfolg der neuen Anleihe
in der Bevorzugung spekulativer, namentlich industrieller Anlagewerte seitens
des Publikums erblicken zu müssen und möchte gern der unaufhörlichen Pro¬
duktion der letzteren zugunsten der staatlichen Anlagewerte einen Riegel vor¬
schieben, soweit das überhaupt möglich ist. Indessen ist diese Anklage einer
industriellen Hypertrophie nicht gerechtfertigt. Fehler und Mißgriffe kommen
vor; es ist aber unrichtig, wenn man behauptet, zurzeit litten wir unter einer
Überanspannung des Kredits seitens der Industrie und diese verschulde die
übermäßige Inanspruchnahme der Reichsbank an den Quartalsterminen. Für
diese letztere kommen andere Gründe in Betracht, und wenn der Reichsbank¬
präsident bei seinen Vorschlägen das Erfordernis einer großen Barreserve für
die Depositengelder betont, so bewegt er sich hier weit eher auf richtigem Wege.
Nur sollte er die Konsequenz ziehen, die Stellung dieser Barreserve bei der
Reichsbank zu fordern. Das wäre weniger und zugleich mehr, denn es wäre in
diesem Fall mit einem weit geringeren Betrag an Reserve eine Stärkung der Reichs-
bank verbunden, die sie instant setzen würde, höheren Ansprüchen zu genügen.


Reichsspicgel

jeden Anreiz zum Erwerb der Anleihe seitens des investierenden Publikums
ausschließt. Diesen so einfachen Grundprinzipien hat man unbegreiflicherweise
schnurstracks zuwidergehandelt. Wer soll vierprozentige Reichsanleihe übernehmen,
wenn er sich das Geld mit fünf Prozent und mehr beschaffen muß? Und wer
soll solche Anleihen erwerben, wenn der Kurs schon am zweiten Tage nach der
Emission an der Frankfurter Börse zwanzig Pfennige unter dem Ausgabekurs
steht, weil das Konsortium keine Vorkehrung zur Intervention getroffen hat?

Das Mißbehagen, welches die offiziellen Stellen über den Verlauf der
Anlehnsaufnahme beseelt, kommt zweifelsohne auch in der neuen Kundgebung
des Neichsbankpräsidenten gegenüber den Großbanken zum Ausdruck.
Es haben Besprechungen zwischen dem Präsidenten und einer Anzahl führender
Bankdirektoren stattgefunden, in denen ersterer wiederum darauf gedrungen hat,
die Banken möchten sich im Interesse gesunder Kredit- und Geldverhältnisse zu
gewissen restriktiven Maßnahmen verstehen. Wie verlautet, sollen die Anregungen
dahin gehen, im Interesse größerer Liquidität einen Barbestand von 15 Prozent
zu halten, die industriellen und insbesondere die Akzeptkredite ein¬
zuschränken und zu verteuern und endlich die Zinsvergütungen für
Depositengelder zu vereinheitlichen und herabzusetzen. Es ist bekannt,
daß der Reichsbankpräsident schon wiederholt den Banken Mäßigung empfohlen
hat. Von der Anschauung ausgehend, daß seitens der Banken eine überhitzte
Entwicklung der Industrie durch große Kreditgewährung gefördert werde, hat er
vor dreiviertel Jahren jene vielbesprochene und kritisierte Verteuerung der Lombard -
kredite an den Quartalsterminen dekretiert, die sich nach dem einstimmigen Urteil aller
Fachleute als ein Mißgriff erwiesen hat. Die gleiche Anschauung spiegelt sich
in seinen gegenwärtigen Vorschlägen wieder, die unter den Banken eine gewisse
Erregung und eine zum Teil scharf ablehnende Kritik hervorgerufen haben.
Offenbar glaubt man den inneren Grund für den Mißerfolg der neuen Anleihe
in der Bevorzugung spekulativer, namentlich industrieller Anlagewerte seitens
des Publikums erblicken zu müssen und möchte gern der unaufhörlichen Pro¬
duktion der letzteren zugunsten der staatlichen Anlagewerte einen Riegel vor¬
schieben, soweit das überhaupt möglich ist. Indessen ist diese Anklage einer
industriellen Hypertrophie nicht gerechtfertigt. Fehler und Mißgriffe kommen
vor; es ist aber unrichtig, wenn man behauptet, zurzeit litten wir unter einer
Überanspannung des Kredits seitens der Industrie und diese verschulde die
übermäßige Inanspruchnahme der Reichsbank an den Quartalsterminen. Für
diese letztere kommen andere Gründe in Betracht, und wenn der Reichsbank¬
präsident bei seinen Vorschlägen das Erfordernis einer großen Barreserve für
die Depositengelder betont, so bewegt er sich hier weit eher auf richtigem Wege.
Nur sollte er die Konsequenz ziehen, die Stellung dieser Barreserve bei der
Reichsbank zu fordern. Das wäre weniger und zugleich mehr, denn es wäre in
diesem Fall mit einem weit geringeren Betrag an Reserve eine Stärkung der Reichs-
bank verbunden, die sie instant setzen würde, höheren Ansprüchen zu genügen.


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[0410] Reichsspicgel jeden Anreiz zum Erwerb der Anleihe seitens des investierenden Publikums ausschließt. Diesen so einfachen Grundprinzipien hat man unbegreiflicherweise schnurstracks zuwidergehandelt. Wer soll vierprozentige Reichsanleihe übernehmen, wenn er sich das Geld mit fünf Prozent und mehr beschaffen muß? Und wer soll solche Anleihen erwerben, wenn der Kurs schon am zweiten Tage nach der Emission an der Frankfurter Börse zwanzig Pfennige unter dem Ausgabekurs steht, weil das Konsortium keine Vorkehrung zur Intervention getroffen hat? Das Mißbehagen, welches die offiziellen Stellen über den Verlauf der Anlehnsaufnahme beseelt, kommt zweifelsohne auch in der neuen Kundgebung des Neichsbankpräsidenten gegenüber den Großbanken zum Ausdruck. Es haben Besprechungen zwischen dem Präsidenten und einer Anzahl führender Bankdirektoren stattgefunden, in denen ersterer wiederum darauf gedrungen hat, die Banken möchten sich im Interesse gesunder Kredit- und Geldverhältnisse zu gewissen restriktiven Maßnahmen verstehen. Wie verlautet, sollen die Anregungen dahin gehen, im Interesse größerer Liquidität einen Barbestand von 15 Prozent zu halten, die industriellen und insbesondere die Akzeptkredite ein¬ zuschränken und zu verteuern und endlich die Zinsvergütungen für Depositengelder zu vereinheitlichen und herabzusetzen. Es ist bekannt, daß der Reichsbankpräsident schon wiederholt den Banken Mäßigung empfohlen hat. Von der Anschauung ausgehend, daß seitens der Banken eine überhitzte Entwicklung der Industrie durch große Kreditgewährung gefördert werde, hat er vor dreiviertel Jahren jene vielbesprochene und kritisierte Verteuerung der Lombard - kredite an den Quartalsterminen dekretiert, die sich nach dem einstimmigen Urteil aller Fachleute als ein Mißgriff erwiesen hat. Die gleiche Anschauung spiegelt sich in seinen gegenwärtigen Vorschlägen wieder, die unter den Banken eine gewisse Erregung und eine zum Teil scharf ablehnende Kritik hervorgerufen haben. Offenbar glaubt man den inneren Grund für den Mißerfolg der neuen Anleihe in der Bevorzugung spekulativer, namentlich industrieller Anlagewerte seitens des Publikums erblicken zu müssen und möchte gern der unaufhörlichen Pro¬ duktion der letzteren zugunsten der staatlichen Anlagewerte einen Riegel vor¬ schieben, soweit das überhaupt möglich ist. Indessen ist diese Anklage einer industriellen Hypertrophie nicht gerechtfertigt. Fehler und Mißgriffe kommen vor; es ist aber unrichtig, wenn man behauptet, zurzeit litten wir unter einer Überanspannung des Kredits seitens der Industrie und diese verschulde die übermäßige Inanspruchnahme der Reichsbank an den Quartalsterminen. Für diese letztere kommen andere Gründe in Betracht, und wenn der Reichsbank¬ präsident bei seinen Vorschlägen das Erfordernis einer großen Barreserve für die Depositengelder betont, so bewegt er sich hier weit eher auf richtigem Wege. Nur sollte er die Konsequenz ziehen, die Stellung dieser Barreserve bei der Reichsbank zu fordern. Das wäre weniger und zugleich mehr, denn es wäre in diesem Fall mit einem weit geringeren Betrag an Reserve eine Stärkung der Reichs- bank verbunden, die sie instant setzen würde, höheren Ansprüchen zu genügen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/410>, abgerufen am 27.09.2024.