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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Allgemeine Wehrpflicht und Präsenzstärke

Wir haben nun schon in der Einleitung gesehen, daß Wehrpflicht und
Dienstpflicht durchaus verschiedene Begriffe sind. Wehrpflicht ist die Verpflichtung
aller männlichen Landesbewohner zur Anteilnahme an der Landesverteidigung
in irgend einer Weise, sei es mit den Waffen, sei es durch Arbeiten für das
Heer als Arzt, als Militärbeamter, als Militärhandwerker, oder, bei mangelnder
körperlicher Tüchtigkeit dazu sowie aus sonstigen Erwägungen, durch Leistung
bestimmter Geldbeiträge. Dienstpflicht dagegen ist ein viel engerer Begriff; er
bedeutet speziell die persönliche Anteilnahme des Pflichtigen als Kombattant
oder Nichtkombattant am Heerdienste. An diesem Unterschiede ändert die Tat¬
sache nichts, daß man sich in Deutschland daran gewöhnt hat, Wehrpflicht und
Dienstpflicht als dasselbe zu betrachten, insofern die deutsche Gesetzgebung ein
anderes Mittel zur Erfüllung der Wehrpflicht als den persönlichen Dienst mit
der Waffe oder ohne solche seither nicht gekannt hat und deshalb alle Wehr¬
pflichtigen, welche hierzu nicht geeignet oder nicht erforderlich waren, einfach von
der Erfüllung der Wehrpflicht freigelassen hat.

Daß das rechtlich ein Unding ist, liegt auf der Hand. Die Wehrpflicht
muß, wenn sie gerecht gestaltet sein soll, an alle Staatsbürger die gleichen
Anforderungen stellen; hat doch auch jeder Staatsbürger die gleichen politischen
Rechte. Es geht deshalb, rechtlich betrachtet, nicht an, daß lediglich deshalb,
weil der eine zur Kavallerie, der andere zu den Fußtruppen, der dritte zum
Train ausgehoben wurde, man den einen drei, den anderen zwei Jahre, den
dritten nur ein Jahr dienen läßt, ohne dem letzteren hierfür eine entsprechende
sonstige Leistung aufzulegen, daß man den einen, weil er ein Lehrer oder
höher Gebildeter ist, mit einem Jahre Dienstzeit laufen läßt, während man den
Volksschüler zwei oder drei Jahre heranzieht, daß man endlich fast die Hälfte
der Wehrpflichtigen lediglich deshalb, weil man auf Grund des Etats keinen
Platz für sie hat, überhaupt nicht dienen läßt, ohne ihnen dafür eine entsprechende
Gegenleistung aufzulegen.

Nun wird man dagegen einwenden, daß man im Deutschen Reiche mit
seiner heutigen ungeheuren Bevölkerung schon aus finanziellen Gründen unmöglich
alle Wehrpflichtigen zum Dienst mit der Waffe heranziehen kann und daß das
auch aus militärischen Gründen gar nicht nötig ist. GutI dann muß man aber
auch nicht die Fiktion aufrechterhalten wollen, als ob Wehrpflicht und Dienst¬
pflicht gleichbedeutend seien, sondern dann muß man alle diejenigen, welche
wohl wehrpflichtig sind, aber nicht zum Dienst herangezogen werden oder werden
können, in anderer Weise zum Wohl des Ganzen heranziehen und zwar derart,
daß ihre Leistung wenigstens einigermaßen derjenigen der zum Dienst Heran¬
gezogenen gleichwertig ist.

Unter dieser Gleichwertigkeit ist zu verstehen, daß den Nichtdienenden und
den kürzer Dienenden eine materielle Leistung auferlegt wird, die mindestens
so hoch ist, als der materielle Wert der Leistungen der zum Dienst Heran¬
gezogenen beträgt, sowie daß zu diesem materiellen Wert ein Zuschlag erfolgt,


Allgemeine Wehrpflicht und Präsenzstärke

Wir haben nun schon in der Einleitung gesehen, daß Wehrpflicht und
Dienstpflicht durchaus verschiedene Begriffe sind. Wehrpflicht ist die Verpflichtung
aller männlichen Landesbewohner zur Anteilnahme an der Landesverteidigung
in irgend einer Weise, sei es mit den Waffen, sei es durch Arbeiten für das
Heer als Arzt, als Militärbeamter, als Militärhandwerker, oder, bei mangelnder
körperlicher Tüchtigkeit dazu sowie aus sonstigen Erwägungen, durch Leistung
bestimmter Geldbeiträge. Dienstpflicht dagegen ist ein viel engerer Begriff; er
bedeutet speziell die persönliche Anteilnahme des Pflichtigen als Kombattant
oder Nichtkombattant am Heerdienste. An diesem Unterschiede ändert die Tat¬
sache nichts, daß man sich in Deutschland daran gewöhnt hat, Wehrpflicht und
Dienstpflicht als dasselbe zu betrachten, insofern die deutsche Gesetzgebung ein
anderes Mittel zur Erfüllung der Wehrpflicht als den persönlichen Dienst mit
der Waffe oder ohne solche seither nicht gekannt hat und deshalb alle Wehr¬
pflichtigen, welche hierzu nicht geeignet oder nicht erforderlich waren, einfach von
der Erfüllung der Wehrpflicht freigelassen hat.

Daß das rechtlich ein Unding ist, liegt auf der Hand. Die Wehrpflicht
muß, wenn sie gerecht gestaltet sein soll, an alle Staatsbürger die gleichen
Anforderungen stellen; hat doch auch jeder Staatsbürger die gleichen politischen
Rechte. Es geht deshalb, rechtlich betrachtet, nicht an, daß lediglich deshalb,
weil der eine zur Kavallerie, der andere zu den Fußtruppen, der dritte zum
Train ausgehoben wurde, man den einen drei, den anderen zwei Jahre, den
dritten nur ein Jahr dienen läßt, ohne dem letzteren hierfür eine entsprechende
sonstige Leistung aufzulegen, daß man den einen, weil er ein Lehrer oder
höher Gebildeter ist, mit einem Jahre Dienstzeit laufen läßt, während man den
Volksschüler zwei oder drei Jahre heranzieht, daß man endlich fast die Hälfte
der Wehrpflichtigen lediglich deshalb, weil man auf Grund des Etats keinen
Platz für sie hat, überhaupt nicht dienen läßt, ohne ihnen dafür eine entsprechende
Gegenleistung aufzulegen.

Nun wird man dagegen einwenden, daß man im Deutschen Reiche mit
seiner heutigen ungeheuren Bevölkerung schon aus finanziellen Gründen unmöglich
alle Wehrpflichtigen zum Dienst mit der Waffe heranziehen kann und daß das
auch aus militärischen Gründen gar nicht nötig ist. GutI dann muß man aber
auch nicht die Fiktion aufrechterhalten wollen, als ob Wehrpflicht und Dienst¬
pflicht gleichbedeutend seien, sondern dann muß man alle diejenigen, welche
wohl wehrpflichtig sind, aber nicht zum Dienst herangezogen werden oder werden
können, in anderer Weise zum Wohl des Ganzen heranziehen und zwar derart,
daß ihre Leistung wenigstens einigermaßen derjenigen der zum Dienst Heran¬
gezogenen gleichwertig ist.

Unter dieser Gleichwertigkeit ist zu verstehen, daß den Nichtdienenden und
den kürzer Dienenden eine materielle Leistung auferlegt wird, die mindestens
so hoch ist, als der materielle Wert der Leistungen der zum Dienst Heran¬
gezogenen beträgt, sowie daß zu diesem materiellen Wert ein Zuschlag erfolgt,


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[0372] Allgemeine Wehrpflicht und Präsenzstärke Wir haben nun schon in der Einleitung gesehen, daß Wehrpflicht und Dienstpflicht durchaus verschiedene Begriffe sind. Wehrpflicht ist die Verpflichtung aller männlichen Landesbewohner zur Anteilnahme an der Landesverteidigung in irgend einer Weise, sei es mit den Waffen, sei es durch Arbeiten für das Heer als Arzt, als Militärbeamter, als Militärhandwerker, oder, bei mangelnder körperlicher Tüchtigkeit dazu sowie aus sonstigen Erwägungen, durch Leistung bestimmter Geldbeiträge. Dienstpflicht dagegen ist ein viel engerer Begriff; er bedeutet speziell die persönliche Anteilnahme des Pflichtigen als Kombattant oder Nichtkombattant am Heerdienste. An diesem Unterschiede ändert die Tat¬ sache nichts, daß man sich in Deutschland daran gewöhnt hat, Wehrpflicht und Dienstpflicht als dasselbe zu betrachten, insofern die deutsche Gesetzgebung ein anderes Mittel zur Erfüllung der Wehrpflicht als den persönlichen Dienst mit der Waffe oder ohne solche seither nicht gekannt hat und deshalb alle Wehr¬ pflichtigen, welche hierzu nicht geeignet oder nicht erforderlich waren, einfach von der Erfüllung der Wehrpflicht freigelassen hat. Daß das rechtlich ein Unding ist, liegt auf der Hand. Die Wehrpflicht muß, wenn sie gerecht gestaltet sein soll, an alle Staatsbürger die gleichen Anforderungen stellen; hat doch auch jeder Staatsbürger die gleichen politischen Rechte. Es geht deshalb, rechtlich betrachtet, nicht an, daß lediglich deshalb, weil der eine zur Kavallerie, der andere zu den Fußtruppen, der dritte zum Train ausgehoben wurde, man den einen drei, den anderen zwei Jahre, den dritten nur ein Jahr dienen läßt, ohne dem letzteren hierfür eine entsprechende sonstige Leistung aufzulegen, daß man den einen, weil er ein Lehrer oder höher Gebildeter ist, mit einem Jahre Dienstzeit laufen läßt, während man den Volksschüler zwei oder drei Jahre heranzieht, daß man endlich fast die Hälfte der Wehrpflichtigen lediglich deshalb, weil man auf Grund des Etats keinen Platz für sie hat, überhaupt nicht dienen läßt, ohne ihnen dafür eine entsprechende Gegenleistung aufzulegen. Nun wird man dagegen einwenden, daß man im Deutschen Reiche mit seiner heutigen ungeheuren Bevölkerung schon aus finanziellen Gründen unmöglich alle Wehrpflichtigen zum Dienst mit der Waffe heranziehen kann und daß das auch aus militärischen Gründen gar nicht nötig ist. GutI dann muß man aber auch nicht die Fiktion aufrechterhalten wollen, als ob Wehrpflicht und Dienst¬ pflicht gleichbedeutend seien, sondern dann muß man alle diejenigen, welche wohl wehrpflichtig sind, aber nicht zum Dienst herangezogen werden oder werden können, in anderer Weise zum Wohl des Ganzen heranziehen und zwar derart, daß ihre Leistung wenigstens einigermaßen derjenigen der zum Dienst Heran¬ gezogenen gleichwertig ist. Unter dieser Gleichwertigkeit ist zu verstehen, daß den Nichtdienenden und den kürzer Dienenden eine materielle Leistung auferlegt wird, die mindestens so hoch ist, als der materielle Wert der Leistungen der zum Dienst Heran¬ gezogenen beträgt, sowie daß zu diesem materiellen Wert ein Zuschlag erfolgt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/372>, abgerufen am 27.09.2024.