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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Allgemeine Wehrpflicht und Präsenzstärke

entsteht, daß ein immer größer werdender Prozentsatz von Wehrpflichtigen über.
Haupt nicht zur Dienstleistung herangezogen wird.

Dieses Unrecht kann von niemand geleugnet werden, und es würde natürlich
am besten und gerechtesten dadurch aus der Welt geschafft, daß die Mittel bereit¬
gestellt werden könnten, um sämtliche brauchbare Mannschaften auf gleich lange
Zeit, also auf drei Jahre, in den Dienst zu stellen. Leider kann aber hiervon
aus finanziellen Gründen keine Rede sein, und auch militärisch erscheint eine so
starke Armee für Deutschlands Sicherheit gar nicht erforderlich.

Es stehen sich deshalb in der Frage zwei Ansichten schroff gegenüber: die
einen wollen das Unrecht, das durch das Mißverhältnis zwischen allgemeiner
Wehrpflicht und Präsenzstärke besteht, dadurch aus der Welt schaffen, daß sie
eine Vermehrung der Präsenzstärke durch die Herabsetzung der Dienstzeit auf ein
Jahr finanziell ermöglichen; die anderen aber erklären -- und wohl mit Recht --,
daß diese Herabsetzung der Dienstzeit der Schlagfertigkeit des deutschen Heeres
schweren Schaden zufügen müßte und deshalb die zweijährige Dienstzeit nicht nur
beibehalten, sondern weiter ausgebaut werden müsse.

Wir befinden uns also in einem schweren Dilemma: Entweder leidet die
Schlagfertigkeit des Heeres oder das Rechtsbewußtsein des Volkes. Das alli>
tcirische Interesse verbietet die Herabsetzung der Dienstzeit auf ein Jahr und
damit die Durchführung der allgemeinen Dienstpflicht; der Rechtsstandpunkt ver¬
langt gleiche Behandlung aller Staatsbürger auch durch die Wehrverfassung.
Gibt es keinen gangbaren Weg, der aus diesem Dilemma herausführt?

Wir meinen, der Weg ist zu finden, sobald man sich mit dem nun einmal
finanziell undurchführbaren, aber auch angesichts unserer starken Bevölkerung
überflüssigen Grundsatz abfindet, daß der allgemeinen Wehrpflicht nur durch den
persönlichen Heerdienst genügt werden dürfe: wir glauben, daß das Rechts¬
bewußtsein des deutschen Volkes recht wohl sich angesichts der finanziellen
Unmöglichkeit der Durchführung der allgemeinen Dienstpflicht mit dem Freiwerden
von 40 Prozent diensttauglicher Mannschaften abfinden würde, sobald diesen frei¬
werdenden Wehrpflichtigen eine materielle Gegenleistung auferlegt würde, welche
einigermaßen den, schweren persönlichen Opfer gleichkäme, das der persönliche
zwei- oder gar dreijährige Heerdienst den dazu Verpflichteten auferlegt, und
wenn anderseits den gedienten Mannschaften, namentlich den zum dreijährigen
Dienst ausgehobenen Wehrpflichtigen, solche Vorteile irgendwelcher Art geboten
würden, daß ihnen das schwere Opfer ihrer längeren militärischen Dienstzeit
einigermaßen ersetzt würde.

Hier muß ein Ausweg gefunden werden, welcher ebenso den Interessen der
Schlagfertigkeit unseres Heeres gerecht wird, indem er die Beibehaltung der zwei¬
jährigen Wehrpflicht und deren Ausbau gewährleistet, als die Forderungen der
Gerechtigkeit im Sinne einer gleichmäßigen Verteilung der Heereslast auf alle
Wehrpflichtigen unter tunlichster Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen
von Familie und Nährstand befriedigt.


Allgemeine Wehrpflicht und Präsenzstärke

entsteht, daß ein immer größer werdender Prozentsatz von Wehrpflichtigen über.
Haupt nicht zur Dienstleistung herangezogen wird.

Dieses Unrecht kann von niemand geleugnet werden, und es würde natürlich
am besten und gerechtesten dadurch aus der Welt geschafft, daß die Mittel bereit¬
gestellt werden könnten, um sämtliche brauchbare Mannschaften auf gleich lange
Zeit, also auf drei Jahre, in den Dienst zu stellen. Leider kann aber hiervon
aus finanziellen Gründen keine Rede sein, und auch militärisch erscheint eine so
starke Armee für Deutschlands Sicherheit gar nicht erforderlich.

Es stehen sich deshalb in der Frage zwei Ansichten schroff gegenüber: die
einen wollen das Unrecht, das durch das Mißverhältnis zwischen allgemeiner
Wehrpflicht und Präsenzstärke besteht, dadurch aus der Welt schaffen, daß sie
eine Vermehrung der Präsenzstärke durch die Herabsetzung der Dienstzeit auf ein
Jahr finanziell ermöglichen; die anderen aber erklären — und wohl mit Recht —,
daß diese Herabsetzung der Dienstzeit der Schlagfertigkeit des deutschen Heeres
schweren Schaden zufügen müßte und deshalb die zweijährige Dienstzeit nicht nur
beibehalten, sondern weiter ausgebaut werden müsse.

Wir befinden uns also in einem schweren Dilemma: Entweder leidet die
Schlagfertigkeit des Heeres oder das Rechtsbewußtsein des Volkes. Das alli>
tcirische Interesse verbietet die Herabsetzung der Dienstzeit auf ein Jahr und
damit die Durchführung der allgemeinen Dienstpflicht; der Rechtsstandpunkt ver¬
langt gleiche Behandlung aller Staatsbürger auch durch die Wehrverfassung.
Gibt es keinen gangbaren Weg, der aus diesem Dilemma herausführt?

Wir meinen, der Weg ist zu finden, sobald man sich mit dem nun einmal
finanziell undurchführbaren, aber auch angesichts unserer starken Bevölkerung
überflüssigen Grundsatz abfindet, daß der allgemeinen Wehrpflicht nur durch den
persönlichen Heerdienst genügt werden dürfe: wir glauben, daß das Rechts¬
bewußtsein des deutschen Volkes recht wohl sich angesichts der finanziellen
Unmöglichkeit der Durchführung der allgemeinen Dienstpflicht mit dem Freiwerden
von 40 Prozent diensttauglicher Mannschaften abfinden würde, sobald diesen frei¬
werdenden Wehrpflichtigen eine materielle Gegenleistung auferlegt würde, welche
einigermaßen den, schweren persönlichen Opfer gleichkäme, das der persönliche
zwei- oder gar dreijährige Heerdienst den dazu Verpflichteten auferlegt, und
wenn anderseits den gedienten Mannschaften, namentlich den zum dreijährigen
Dienst ausgehobenen Wehrpflichtigen, solche Vorteile irgendwelcher Art geboten
würden, daß ihnen das schwere Opfer ihrer längeren militärischen Dienstzeit
einigermaßen ersetzt würde.

Hier muß ein Ausweg gefunden werden, welcher ebenso den Interessen der
Schlagfertigkeit unseres Heeres gerecht wird, indem er die Beibehaltung der zwei¬
jährigen Wehrpflicht und deren Ausbau gewährleistet, als die Forderungen der
Gerechtigkeit im Sinne einer gleichmäßigen Verteilung der Heereslast auf alle
Wehrpflichtigen unter tunlichster Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen
von Familie und Nährstand befriedigt.


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[0371] Allgemeine Wehrpflicht und Präsenzstärke entsteht, daß ein immer größer werdender Prozentsatz von Wehrpflichtigen über. Haupt nicht zur Dienstleistung herangezogen wird. Dieses Unrecht kann von niemand geleugnet werden, und es würde natürlich am besten und gerechtesten dadurch aus der Welt geschafft, daß die Mittel bereit¬ gestellt werden könnten, um sämtliche brauchbare Mannschaften auf gleich lange Zeit, also auf drei Jahre, in den Dienst zu stellen. Leider kann aber hiervon aus finanziellen Gründen keine Rede sein, und auch militärisch erscheint eine so starke Armee für Deutschlands Sicherheit gar nicht erforderlich. Es stehen sich deshalb in der Frage zwei Ansichten schroff gegenüber: die einen wollen das Unrecht, das durch das Mißverhältnis zwischen allgemeiner Wehrpflicht und Präsenzstärke besteht, dadurch aus der Welt schaffen, daß sie eine Vermehrung der Präsenzstärke durch die Herabsetzung der Dienstzeit auf ein Jahr finanziell ermöglichen; die anderen aber erklären — und wohl mit Recht —, daß diese Herabsetzung der Dienstzeit der Schlagfertigkeit des deutschen Heeres schweren Schaden zufügen müßte und deshalb die zweijährige Dienstzeit nicht nur beibehalten, sondern weiter ausgebaut werden müsse. Wir befinden uns also in einem schweren Dilemma: Entweder leidet die Schlagfertigkeit des Heeres oder das Rechtsbewußtsein des Volkes. Das alli> tcirische Interesse verbietet die Herabsetzung der Dienstzeit auf ein Jahr und damit die Durchführung der allgemeinen Dienstpflicht; der Rechtsstandpunkt ver¬ langt gleiche Behandlung aller Staatsbürger auch durch die Wehrverfassung. Gibt es keinen gangbaren Weg, der aus diesem Dilemma herausführt? Wir meinen, der Weg ist zu finden, sobald man sich mit dem nun einmal finanziell undurchführbaren, aber auch angesichts unserer starken Bevölkerung überflüssigen Grundsatz abfindet, daß der allgemeinen Wehrpflicht nur durch den persönlichen Heerdienst genügt werden dürfe: wir glauben, daß das Rechts¬ bewußtsein des deutschen Volkes recht wohl sich angesichts der finanziellen Unmöglichkeit der Durchführung der allgemeinen Dienstpflicht mit dem Freiwerden von 40 Prozent diensttauglicher Mannschaften abfinden würde, sobald diesen frei¬ werdenden Wehrpflichtigen eine materielle Gegenleistung auferlegt würde, welche einigermaßen den, schweren persönlichen Opfer gleichkäme, das der persönliche zwei- oder gar dreijährige Heerdienst den dazu Verpflichteten auferlegt, und wenn anderseits den gedienten Mannschaften, namentlich den zum dreijährigen Dienst ausgehobenen Wehrpflichtigen, solche Vorteile irgendwelcher Art geboten würden, daß ihnen das schwere Opfer ihrer längeren militärischen Dienstzeit einigermaßen ersetzt würde. Hier muß ein Ausweg gefunden werden, welcher ebenso den Interessen der Schlagfertigkeit unseres Heeres gerecht wird, indem er die Beibehaltung der zwei¬ jährigen Wehrpflicht und deren Ausbau gewährleistet, als die Forderungen der Gerechtigkeit im Sinne einer gleichmäßigen Verteilung der Heereslast auf alle Wehrpflichtigen unter tunlichster Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen von Familie und Nährstand befriedigt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/371>, abgerufen am 19.10.2024.