Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.Auf Lonrad Ferdinand Meyers Spuren Doch ein anderer Meyerscher Held trat nach dem sterbenden Hütten gebieterisch Vergl. den Traum Wertmüllers in Meyers Novelle "Der Schuß von der Kanzel."
Auf Lonrad Ferdinand Meyers Spuren Doch ein anderer Meyerscher Held trat nach dem sterbenden Hütten gebieterisch Vergl. den Traum Wertmüllers in Meyers Novelle „Der Schuß von der Kanzel."
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Auf Lonrad Ferdinand Meyers Spuren
Doch ein anderer Meyerscher Held trat nach dem sterbenden Hütten gebieterisch
in seine Rechte, als wir uns in den folgenden Tagen mehr und mehr unserem
Ziele, den Bergen Graubündens, näherten, Jürg Jenatsch. In Chur, der
uralten Römersiedlung und Bischofsstadt ist zu sehen, was von ihm an histo¬
rischen Erinnerungen vorhanden ist. Im rätischen Museum fesselt uns in erster
Reihe sein Bildnis in Lebensgröße, das ihn im goldgestickten Scharlachwams
des Feldobersten darstellt, so wie ihn uns Meyer in seiner Graubündner Ge¬
schichte häufig erscheinen läßt. Das finsterblickende Antlitz mit seiner „Gewalts¬
nase"*) spricht von unbeugsamer Entschlossenheit, und die häßliche Zeitmode
des steil nach oben gewichsten Schnurrbartes mag dazu beitragen, daß die Züge
uns eher abstoßend als sympathisch anmuten. Wir finden darin nicht den
jugendlich feurigen, trotz allen Überschwangs edelgesinnten Liebhaber Lukretias.
sondern nur den kaltrechnenden Staatsmann und rücksichtslosen Soldaten, der
keinen Vertragsbruch, kein Blutvergießen scheut, wenn es gilt, seine Zwecke zu
fördern. Die anderen Erinnerungsstücke, eine ungeheure Feldflasche aus mattem,
bemalten, Glase und eine Bettlade von riesigen Maßen in reichen: aber plumpem
Schnitzwerk sind nicht dazu angetan, dem unschönen Eindruck des Bildnisses
entgegenzuwirken; eher schon der unter Glas und Rahmen gezeigte eigenhändige
Brief an den Rat einer Stadt, der regelmäßige, fast zierliche Schriftzüge auf¬
weist und mit den Worten „Kenäo me>Ita8 ^raeiaZ" beginnt. Wie viel
anziehender als Jenatsch erscheint im Bilde der von ihm so arg getäuschte „gute
Herzog", der vornehme Hugenott Heinrich Rohan, von dessen lebensgroßer
sitzender Statue das Museum einen Abguß besitzt. Das feingeschnittene schmale
Antlitz blickt uns mit melancholischen Augen an, als wollte es sprechen von dem
Undank der Menschen und von dem tragischen Ausgang einer an widrigen und
zwiespältigen Verhältnissen gescheiterten edlen Seele. Doch wir wollen den
großen und unglücklichen Jürg, dessen Gestalt uns des Dichters Meisterschaft
so teuer gemacht hat, nicht entgelten lassen, was vielleicht eines elenden Stümpers
Malerei an dem Bilde seines äußeren Menschen gesündigt hat! — Dramatisch
ergreifend tritt uns sein auf der Höhe des Erfolges erlittenes blutiges Ende
vor Augen, als wir nahe der protestantischen Sankt Martinskirche das schlichte
alte Haus gewahren, in dein er laut der angebrachten Inschrift zu Fastnacht
1639 erschlagen ward, und voll ernster Gedanken suchen wir in Churs uralter
Kathedrale sein Grab. Denn dort hat „Bündens größter Mann, sein Befreier
und Wiederhersteller" seine letzte Ruhestätte gefunden, und wenn nach Meyers
Vergl. den Traum Wertmüllers in Meyers Novelle „Der Schuß von der Kanzel."
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