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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Line deutsche katholische Kirche

Aus ihnen heraus mußte eine Bewegung entstehen, ähnlich der der Altkatholiken,
die es sich zum Ziele setzte, das katholische Deutschland von den verderben¬
bringenden Fesseln des ausländischen Papstes zu befreien. Bismarck hätte nur
den Anstoß dazu zu geben brauchen. Mit sicheren: Geist hätte er den Mann
finden müssen, der seinen Gedanken in die Tat umsetzte, und eine Menge deutscher
Katholiken wäre begeistert mit aufgestanden. Ließ er sie kämpfen, so konnte
niemand argwöhnen, der Kampf ginge gegen die deutschen Katholiken, dann
konnte es nur heißen, der Kampf ginge ausschließlich gegen das undeutsche
Rom, gegen den nichtdeutschen Papst. Und das war Bismarcks Ziel.

Der große Schlag, der für immer die Gefahren beseitigt hätte, die Deutsch¬
land von Rom aus drohten, ging fehl. Bismarck mußte nachgeben, und der
Papst, politisch verkörpert durch das Zentrum, stand mächtiger in Deutschland
da, als vorher. Deutsche hatten sich wieder einmal zum Kampfe gegen die
Interessen ihres eigenen Vaterlandes mißbrauchen lassen. Die großen Massen,
sie waren unschuldig daran, es war ihnen von ihren Führern nachweislich ver¬
schwiegen worden, um was es sich in dem Kampfe handelte. Für die Führer
aber ist das nur um so beschämender.

Das Ganze beweist, wie sehr Rom seine Gläubigen ihrem Vaterlande zu
entfremden vermag. Rom hat noch immer in aller Herren Länder von ihnen
verlangt, daß sie die Interessen des Papstes denen des eigenen Vaterlandes
voranstellen. Und mit Hilfe des religiösen Zwanges hat es das auch noch
immer durchgesetzt.

Traurige Zeiten folgten für Deutschland. Bismarcks Nachfolger dachten
wohl auch daran, den Kampf gegen das römische Treiben in Deutschland
wieder aufzunehmen; aber fasziniert von der Stärke des Zentrumsturms,
scheuten sie sich, auch nur ein energisches Mittel zu seiner Bekämpfung anzuwenden.
Sie sahen schließlich die Zentrumsmacht als etwas Gegebenes an, und gaben
sich zufrieden damit, ja waren froh darüber, weil sich mit Hilfe des Zentrums
unter gewissen Bedingungen sichere Mehrheiten für die Aufgaben der Tages¬
politik verschaffen ließen. Vielleicht hegten sie auch die Hoffnung, das Zentrum
auf diese Weise auf vernünftige Wege zu leiten, nach dem richtigen Grundsatze,
daß man einer Partei oft besser Herr wird, wenn man mit ihr, als wenn man
gegen sie geht. Diesen Grundsatz befolgt man aber nur richtig, wenn man in
dieser Situation stets der Führenden Herr bleibt. Das blieben die Kanzler
aber durchaus nicht. So kam es, daß das Zentrum immer mächtiger wurde,
d. h. nichts anderes, als daß Rom wieder einen größeren Einfluß auf die
deutsche Politik erlangte.

Erst Fürst Bülow begann, allerdings auch erst nachdem er schon längere
Zeit im Amte war, seiner Erkenntnis der Zentrumsgefahr in seinem politischen
Auftreten Ausdruck zu verleihen.

Aber wie sein größerer Vorgänger faßte auch er das Übel nicht bei der
Wurzel. Er glaubte, mit einer Ausschaltung des Zentrums sei schon alles


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Aus ihnen heraus mußte eine Bewegung entstehen, ähnlich der der Altkatholiken,
die es sich zum Ziele setzte, das katholische Deutschland von den verderben¬
bringenden Fesseln des ausländischen Papstes zu befreien. Bismarck hätte nur
den Anstoß dazu zu geben brauchen. Mit sicheren: Geist hätte er den Mann
finden müssen, der seinen Gedanken in die Tat umsetzte, und eine Menge deutscher
Katholiken wäre begeistert mit aufgestanden. Ließ er sie kämpfen, so konnte
niemand argwöhnen, der Kampf ginge gegen die deutschen Katholiken, dann
konnte es nur heißen, der Kampf ginge ausschließlich gegen das undeutsche
Rom, gegen den nichtdeutschen Papst. Und das war Bismarcks Ziel.

Der große Schlag, der für immer die Gefahren beseitigt hätte, die Deutsch¬
land von Rom aus drohten, ging fehl. Bismarck mußte nachgeben, und der
Papst, politisch verkörpert durch das Zentrum, stand mächtiger in Deutschland
da, als vorher. Deutsche hatten sich wieder einmal zum Kampfe gegen die
Interessen ihres eigenen Vaterlandes mißbrauchen lassen. Die großen Massen,
sie waren unschuldig daran, es war ihnen von ihren Führern nachweislich ver¬
schwiegen worden, um was es sich in dem Kampfe handelte. Für die Führer
aber ist das nur um so beschämender.

Das Ganze beweist, wie sehr Rom seine Gläubigen ihrem Vaterlande zu
entfremden vermag. Rom hat noch immer in aller Herren Länder von ihnen
verlangt, daß sie die Interessen des Papstes denen des eigenen Vaterlandes
voranstellen. Und mit Hilfe des religiösen Zwanges hat es das auch noch
immer durchgesetzt.

Traurige Zeiten folgten für Deutschland. Bismarcks Nachfolger dachten
wohl auch daran, den Kampf gegen das römische Treiben in Deutschland
wieder aufzunehmen; aber fasziniert von der Stärke des Zentrumsturms,
scheuten sie sich, auch nur ein energisches Mittel zu seiner Bekämpfung anzuwenden.
Sie sahen schließlich die Zentrumsmacht als etwas Gegebenes an, und gaben
sich zufrieden damit, ja waren froh darüber, weil sich mit Hilfe des Zentrums
unter gewissen Bedingungen sichere Mehrheiten für die Aufgaben der Tages¬
politik verschaffen ließen. Vielleicht hegten sie auch die Hoffnung, das Zentrum
auf diese Weise auf vernünftige Wege zu leiten, nach dem richtigen Grundsatze,
daß man einer Partei oft besser Herr wird, wenn man mit ihr, als wenn man
gegen sie geht. Diesen Grundsatz befolgt man aber nur richtig, wenn man in
dieser Situation stets der Führenden Herr bleibt. Das blieben die Kanzler
aber durchaus nicht. So kam es, daß das Zentrum immer mächtiger wurde,
d. h. nichts anderes, als daß Rom wieder einen größeren Einfluß auf die
deutsche Politik erlangte.

Erst Fürst Bülow begann, allerdings auch erst nachdem er schon längere
Zeit im Amte war, seiner Erkenntnis der Zentrumsgefahr in seinem politischen
Auftreten Ausdruck zu verleihen.

Aber wie sein größerer Vorgänger faßte auch er das Übel nicht bei der
Wurzel. Er glaubte, mit einer Ausschaltung des Zentrums sei schon alles


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[0315] Line deutsche katholische Kirche Aus ihnen heraus mußte eine Bewegung entstehen, ähnlich der der Altkatholiken, die es sich zum Ziele setzte, das katholische Deutschland von den verderben¬ bringenden Fesseln des ausländischen Papstes zu befreien. Bismarck hätte nur den Anstoß dazu zu geben brauchen. Mit sicheren: Geist hätte er den Mann finden müssen, der seinen Gedanken in die Tat umsetzte, und eine Menge deutscher Katholiken wäre begeistert mit aufgestanden. Ließ er sie kämpfen, so konnte niemand argwöhnen, der Kampf ginge gegen die deutschen Katholiken, dann konnte es nur heißen, der Kampf ginge ausschließlich gegen das undeutsche Rom, gegen den nichtdeutschen Papst. Und das war Bismarcks Ziel. Der große Schlag, der für immer die Gefahren beseitigt hätte, die Deutsch¬ land von Rom aus drohten, ging fehl. Bismarck mußte nachgeben, und der Papst, politisch verkörpert durch das Zentrum, stand mächtiger in Deutschland da, als vorher. Deutsche hatten sich wieder einmal zum Kampfe gegen die Interessen ihres eigenen Vaterlandes mißbrauchen lassen. Die großen Massen, sie waren unschuldig daran, es war ihnen von ihren Führern nachweislich ver¬ schwiegen worden, um was es sich in dem Kampfe handelte. Für die Führer aber ist das nur um so beschämender. Das Ganze beweist, wie sehr Rom seine Gläubigen ihrem Vaterlande zu entfremden vermag. Rom hat noch immer in aller Herren Länder von ihnen verlangt, daß sie die Interessen des Papstes denen des eigenen Vaterlandes voranstellen. Und mit Hilfe des religiösen Zwanges hat es das auch noch immer durchgesetzt. Traurige Zeiten folgten für Deutschland. Bismarcks Nachfolger dachten wohl auch daran, den Kampf gegen das römische Treiben in Deutschland wieder aufzunehmen; aber fasziniert von der Stärke des Zentrumsturms, scheuten sie sich, auch nur ein energisches Mittel zu seiner Bekämpfung anzuwenden. Sie sahen schließlich die Zentrumsmacht als etwas Gegebenes an, und gaben sich zufrieden damit, ja waren froh darüber, weil sich mit Hilfe des Zentrums unter gewissen Bedingungen sichere Mehrheiten für die Aufgaben der Tages¬ politik verschaffen ließen. Vielleicht hegten sie auch die Hoffnung, das Zentrum auf diese Weise auf vernünftige Wege zu leiten, nach dem richtigen Grundsatze, daß man einer Partei oft besser Herr wird, wenn man mit ihr, als wenn man gegen sie geht. Diesen Grundsatz befolgt man aber nur richtig, wenn man in dieser Situation stets der Führenden Herr bleibt. Das blieben die Kanzler aber durchaus nicht. So kam es, daß das Zentrum immer mächtiger wurde, d. h. nichts anderes, als daß Rom wieder einen größeren Einfluß auf die deutsche Politik erlangte. Erst Fürst Bülow begann, allerdings auch erst nachdem er schon längere Zeit im Amte war, seiner Erkenntnis der Zentrumsgefahr in seinem politischen Auftreten Ausdruck zu verleihen. Aber wie sein größerer Vorgänger faßte auch er das Übel nicht bei der Wurzel. Er glaubte, mit einer Ausschaltung des Zentrums sei schon alles

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/315>, abgerufen am 27.09.2024.