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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Gin Später Derer van Doorn

"Das ist der Herr Pfarrer vom schönen Meeresstrande. Er hat mir einmal
in schwerer Zeit mit seiner Gebetsinbrunst das Leben gerettet." Das unbändige
Lachen des jungen Offiziers, der ein Prinz war, schien sich im Lichterglanze
fortzusetzen und ihn aus allen Blicken zu höhnen. Er sah sich wieder von unten
bis oben an, gehetzt und gepeinigt, daß er noch immer schwarz eingeschnürt da
stand, wie eine Krähe im lichten Weizenfelde, darin der Wind die vollen Ähren
durcheinander treibt.

Hieronymus war völlig in Verwirrung. Und wie er in seinem ziellosen
Umgeschobenwerden zufällig irgendwo eine Tür entdeckt hatte, war er auch sogleich
aus dem Wirrwarr hinaus verschwunden.

Er war irgendwohin in eine Gasse gelaufen, um sich nur erst abzukühlen.

Die blendenden Säle bei Kroens standen in seinem inneren Auge noch
immer wie eine Feuersbrunst in Weißglut. Er konnte der Aufregung und der
Schmach gar nicht Herr werden. Warum er sich so erschöpft und erniedrigt
fühlte, das wußte er nicht.

"Ach was!" dachte er nur, "alle verlachten mich!"

Und er lief schon, wo in der Hauptstadt die Hafenarbeiter ihre Schenken
haben. Musik von einem Dudelsack und einer Flöte näselte und pfiff aus einer
Schifferkneipe, darin Blusenmänner und Soldaten mit blonden Frauenzimmern
im spärlichen Lichte um die Eisensäule tanzten.

Er begann langsamere Schritte zu nehmen.

Dann saß er einsam vor einem unsauberen, rohen Holztisch. Seine Augen
brannten vor sich hin. In dem unheimlichen Gewölbe, darin er in einer halb¬
dunklen Nische Zuflucht gefunden, stand neben dem mit Schinken und Rauch¬
fischen, Austern und Käse besetzten Schenksims ein kolossales, schwarzes Faß.
Schisferknechte und Matrosen mit der dicken Wirtin in aufgesteckter Schürze saßen
gegen die Tür im anderen Winkel des dumpfen Raumes und lärmten. Geräucherte
Fische und Würste hingen von der Decke nieder. Und angemoderte Flaschen
alten, schweren Weines standen in den düsteren Wandnischen.

Hieronymus ließ sich den teuersten alten Wein geben. Er trank Glas um
Glas. Er begann stolz und erregt und gehässig auszusehen. Er begann sich
jetzt ganz als einer Derer van Doorn zu fühlen. Und er lachte jetzt manchmal
vor sich hin, als er eine um die andere der Flaschen kostbaren, schweren Trankes
mit den wenigen Goldstücken, die er bei sich trug, bezahlte.

Erst gegen Morgen kam er torkelnd in sein kleines Hotel zurück. Und er
faßte den Hausdiener lachend an, um nicht beim Hinansteigen auf die erste
Stufe ganz in die Ecke der Treppe zu fliegen. (Schluß folgt)




Gin Später Derer van Doorn

„Das ist der Herr Pfarrer vom schönen Meeresstrande. Er hat mir einmal
in schwerer Zeit mit seiner Gebetsinbrunst das Leben gerettet." Das unbändige
Lachen des jungen Offiziers, der ein Prinz war, schien sich im Lichterglanze
fortzusetzen und ihn aus allen Blicken zu höhnen. Er sah sich wieder von unten
bis oben an, gehetzt und gepeinigt, daß er noch immer schwarz eingeschnürt da
stand, wie eine Krähe im lichten Weizenfelde, darin der Wind die vollen Ähren
durcheinander treibt.

Hieronymus war völlig in Verwirrung. Und wie er in seinem ziellosen
Umgeschobenwerden zufällig irgendwo eine Tür entdeckt hatte, war er auch sogleich
aus dem Wirrwarr hinaus verschwunden.

Er war irgendwohin in eine Gasse gelaufen, um sich nur erst abzukühlen.

Die blendenden Säle bei Kroens standen in seinem inneren Auge noch
immer wie eine Feuersbrunst in Weißglut. Er konnte der Aufregung und der
Schmach gar nicht Herr werden. Warum er sich so erschöpft und erniedrigt
fühlte, das wußte er nicht.

„Ach was!" dachte er nur, „alle verlachten mich!"

Und er lief schon, wo in der Hauptstadt die Hafenarbeiter ihre Schenken
haben. Musik von einem Dudelsack und einer Flöte näselte und pfiff aus einer
Schifferkneipe, darin Blusenmänner und Soldaten mit blonden Frauenzimmern
im spärlichen Lichte um die Eisensäule tanzten.

Er begann langsamere Schritte zu nehmen.

Dann saß er einsam vor einem unsauberen, rohen Holztisch. Seine Augen
brannten vor sich hin. In dem unheimlichen Gewölbe, darin er in einer halb¬
dunklen Nische Zuflucht gefunden, stand neben dem mit Schinken und Rauch¬
fischen, Austern und Käse besetzten Schenksims ein kolossales, schwarzes Faß.
Schisferknechte und Matrosen mit der dicken Wirtin in aufgesteckter Schürze saßen
gegen die Tür im anderen Winkel des dumpfen Raumes und lärmten. Geräucherte
Fische und Würste hingen von der Decke nieder. Und angemoderte Flaschen
alten, schweren Weines standen in den düsteren Wandnischen.

Hieronymus ließ sich den teuersten alten Wein geben. Er trank Glas um
Glas. Er begann stolz und erregt und gehässig auszusehen. Er begann sich
jetzt ganz als einer Derer van Doorn zu fühlen. Und er lachte jetzt manchmal
vor sich hin, als er eine um die andere der Flaschen kostbaren, schweren Trankes
mit den wenigen Goldstücken, die er bei sich trug, bezahlte.

Erst gegen Morgen kam er torkelnd in sein kleines Hotel zurück. Und er
faßte den Hausdiener lachend an, um nicht beim Hinansteigen auf die erste
Stufe ganz in die Ecke der Treppe zu fliegen. (Schluß folgt)




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[0292] Gin Später Derer van Doorn „Das ist der Herr Pfarrer vom schönen Meeresstrande. Er hat mir einmal in schwerer Zeit mit seiner Gebetsinbrunst das Leben gerettet." Das unbändige Lachen des jungen Offiziers, der ein Prinz war, schien sich im Lichterglanze fortzusetzen und ihn aus allen Blicken zu höhnen. Er sah sich wieder von unten bis oben an, gehetzt und gepeinigt, daß er noch immer schwarz eingeschnürt da stand, wie eine Krähe im lichten Weizenfelde, darin der Wind die vollen Ähren durcheinander treibt. Hieronymus war völlig in Verwirrung. Und wie er in seinem ziellosen Umgeschobenwerden zufällig irgendwo eine Tür entdeckt hatte, war er auch sogleich aus dem Wirrwarr hinaus verschwunden. Er war irgendwohin in eine Gasse gelaufen, um sich nur erst abzukühlen. Die blendenden Säle bei Kroens standen in seinem inneren Auge noch immer wie eine Feuersbrunst in Weißglut. Er konnte der Aufregung und der Schmach gar nicht Herr werden. Warum er sich so erschöpft und erniedrigt fühlte, das wußte er nicht. „Ach was!" dachte er nur, „alle verlachten mich!" Und er lief schon, wo in der Hauptstadt die Hafenarbeiter ihre Schenken haben. Musik von einem Dudelsack und einer Flöte näselte und pfiff aus einer Schifferkneipe, darin Blusenmänner und Soldaten mit blonden Frauenzimmern im spärlichen Lichte um die Eisensäule tanzten. Er begann langsamere Schritte zu nehmen. Dann saß er einsam vor einem unsauberen, rohen Holztisch. Seine Augen brannten vor sich hin. In dem unheimlichen Gewölbe, darin er in einer halb¬ dunklen Nische Zuflucht gefunden, stand neben dem mit Schinken und Rauch¬ fischen, Austern und Käse besetzten Schenksims ein kolossales, schwarzes Faß. Schisferknechte und Matrosen mit der dicken Wirtin in aufgesteckter Schürze saßen gegen die Tür im anderen Winkel des dumpfen Raumes und lärmten. Geräucherte Fische und Würste hingen von der Decke nieder. Und angemoderte Flaschen alten, schweren Weines standen in den düsteren Wandnischen. Hieronymus ließ sich den teuersten alten Wein geben. Er trank Glas um Glas. Er begann stolz und erregt und gehässig auszusehen. Er begann sich jetzt ganz als einer Derer van Doorn zu fühlen. Und er lachte jetzt manchmal vor sich hin, als er eine um die andere der Flaschen kostbaren, schweren Trankes mit den wenigen Goldstücken, die er bei sich trug, bezahlte. Erst gegen Morgen kam er torkelnd in sein kleines Hotel zurück. Und er faßte den Hausdiener lachend an, um nicht beim Hinansteigen auf die erste Stufe ganz in die Ecke der Treppe zu fliegen. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/292>, abgerufen am 27.09.2024.