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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Lichte und die ältere" Romantiker

auf das Ich, der seine Handlungen bestimmt, ist gar nicht mehr die Rede.
Mit dem Satze: "Es bleibt keine uns fremde Willkür" ist alles gesagt. Alles
ist Bollendung und Harmonie. Er kennt kein Sollen, sondern nur ein Sein,
kein Möglich und Zukünftig, sondern nur ein Wirklich und Jetzt. Das ist, trotz
aller Übertreibung, mit solch kontemplativer Ruhe und Hoheit entwickelt, wie
sie sonst nur den Weltweisen von Platon bis Spinoza und Schopenhauer aus¬
zeichnen, von der auch Schleiermacher etwas hat. Freiheit und ewige Harmonie
ist das Leitmotiv all seiner Abhandlungen.

Seit 1799 schweigt Hülsen in der Öffentlichkeit. Von seinen Schicksalen
hören wir, daß sie nicht immer die besten waren. Im Jahre 1800 starb seine
erste Frau, eine Cousine Fouquös. Sein Leben beschloß er 1810 auf einem
Gute in Holstein, das ihm seine Freunde gekauft hatten.

Er muß:e wohl ein übermächtiger oder eigensinniger Geist gewesen sein,
wenn er trotz aller inneren und äußeren Erlebnisse immer in demselben Punkte
der Anschauung stehen geblieben wäre, zumal jene Zeit immer neue Prinzipien
in regem Wechsel erzeugte. Hören wir ihn selbst in einem Briefe aus dem
Jahre 1803: "Es ist vieles in mir zerstört worden, aber was ich übrigens bin,
das weiß ich dennoch sehr wohl." Das ist Resignation. In den Fragmenten
aus seinem Nachlaß stehen auch noch folgende bedeutungsvollen Worte: "Alle
unsere Erkenntnis ist höhere Offenbarung." Damit werden wir auf den Weg
gewiesen, den die meisten Romantiker gegangen sind, von der absoluten Freiheit
und Allmacht des eigenen Ich zu dem Aufgehen in ein Höheres, dessen Wesen
man durch keine philosophische Spekulation ergründen, sondern nur ahnen und
anschauen kann im Gefühl der Religion. Es ist, mit anderen Worten, der
Weg von Fichte zu Schleiermacher. --

Der romantischen Schule steht Hölderlin eigentlich fern. Ja er behauptet,
wie Havn in seinem Buche über die Romantik richtig fagt, seinen Platz trotz
Schiller und Goethe. Gleich dem früh verstorbenen Wackenroder gehört er zu
den ernsten, ja tragischen Naturen, die bei allem ihre ganze Seele einsetzen.
Vom ersten Flügelschlag seiner kindlichen Phantasie bis zu der langen Nacht
des Wahnsinns strebte er unverrückt einem Ideale nach, das an Hoheit dem
Schillers um nichts nachstand. Ein idealisiertes, mit Hilfe von Platon, Kant,
Schiller und Rousseau angeschautes Griechentum schwebte ihm vor. Neben dem
ungestümen Eifer gegen alles Gemeine sehen wir früh ein weiches Gemüt in
dem rührend naiven Gedicht "Die Stille" (1738). Bei solcher Weichheit des
Gemüts und solch unerreichbarer Höhe des Ideals war sein Schicksal eigentlich
von vornherein besiegelt. Die Welt Hölderlins ist mit der in Platons Phaedon
zu vergleichen. In glänzenden Strahlen flutet das Licht über die reinen Gebilde
der Natur, und darüber dehnt sich der unendliche Äther, der "Vater der Sterb¬
lichen", auch das Abbild des Geistes, in dem er sehnend vergehen möchte.
Wenige und einfache, aber große Bilder und Vergleiche liebt er in seinen
Dichtungen. Die Bilder vom Adler und von den goldenen Morgenwölkchen, die


Grenzboten I 1912 3
Lichte und die ältere» Romantiker

auf das Ich, der seine Handlungen bestimmt, ist gar nicht mehr die Rede.
Mit dem Satze: „Es bleibt keine uns fremde Willkür" ist alles gesagt. Alles
ist Bollendung und Harmonie. Er kennt kein Sollen, sondern nur ein Sein,
kein Möglich und Zukünftig, sondern nur ein Wirklich und Jetzt. Das ist, trotz
aller Übertreibung, mit solch kontemplativer Ruhe und Hoheit entwickelt, wie
sie sonst nur den Weltweisen von Platon bis Spinoza und Schopenhauer aus¬
zeichnen, von der auch Schleiermacher etwas hat. Freiheit und ewige Harmonie
ist das Leitmotiv all seiner Abhandlungen.

Seit 1799 schweigt Hülsen in der Öffentlichkeit. Von seinen Schicksalen
hören wir, daß sie nicht immer die besten waren. Im Jahre 1800 starb seine
erste Frau, eine Cousine Fouquös. Sein Leben beschloß er 1810 auf einem
Gute in Holstein, das ihm seine Freunde gekauft hatten.

Er muß:e wohl ein übermächtiger oder eigensinniger Geist gewesen sein,
wenn er trotz aller inneren und äußeren Erlebnisse immer in demselben Punkte
der Anschauung stehen geblieben wäre, zumal jene Zeit immer neue Prinzipien
in regem Wechsel erzeugte. Hören wir ihn selbst in einem Briefe aus dem
Jahre 1803: „Es ist vieles in mir zerstört worden, aber was ich übrigens bin,
das weiß ich dennoch sehr wohl." Das ist Resignation. In den Fragmenten
aus seinem Nachlaß stehen auch noch folgende bedeutungsvollen Worte: „Alle
unsere Erkenntnis ist höhere Offenbarung." Damit werden wir auf den Weg
gewiesen, den die meisten Romantiker gegangen sind, von der absoluten Freiheit
und Allmacht des eigenen Ich zu dem Aufgehen in ein Höheres, dessen Wesen
man durch keine philosophische Spekulation ergründen, sondern nur ahnen und
anschauen kann im Gefühl der Religion. Es ist, mit anderen Worten, der
Weg von Fichte zu Schleiermacher. —

Der romantischen Schule steht Hölderlin eigentlich fern. Ja er behauptet,
wie Havn in seinem Buche über die Romantik richtig fagt, seinen Platz trotz
Schiller und Goethe. Gleich dem früh verstorbenen Wackenroder gehört er zu
den ernsten, ja tragischen Naturen, die bei allem ihre ganze Seele einsetzen.
Vom ersten Flügelschlag seiner kindlichen Phantasie bis zu der langen Nacht
des Wahnsinns strebte er unverrückt einem Ideale nach, das an Hoheit dem
Schillers um nichts nachstand. Ein idealisiertes, mit Hilfe von Platon, Kant,
Schiller und Rousseau angeschautes Griechentum schwebte ihm vor. Neben dem
ungestümen Eifer gegen alles Gemeine sehen wir früh ein weiches Gemüt in
dem rührend naiven Gedicht „Die Stille" (1738). Bei solcher Weichheit des
Gemüts und solch unerreichbarer Höhe des Ideals war sein Schicksal eigentlich
von vornherein besiegelt. Die Welt Hölderlins ist mit der in Platons Phaedon
zu vergleichen. In glänzenden Strahlen flutet das Licht über die reinen Gebilde
der Natur, und darüber dehnt sich der unendliche Äther, der „Vater der Sterb¬
lichen", auch das Abbild des Geistes, in dem er sehnend vergehen möchte.
Wenige und einfache, aber große Bilder und Vergleiche liebt er in seinen
Dichtungen. Die Bilder vom Adler und von den goldenen Morgenwölkchen, die


Grenzboten I 1912 3
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[0029] Lichte und die ältere» Romantiker auf das Ich, der seine Handlungen bestimmt, ist gar nicht mehr die Rede. Mit dem Satze: „Es bleibt keine uns fremde Willkür" ist alles gesagt. Alles ist Bollendung und Harmonie. Er kennt kein Sollen, sondern nur ein Sein, kein Möglich und Zukünftig, sondern nur ein Wirklich und Jetzt. Das ist, trotz aller Übertreibung, mit solch kontemplativer Ruhe und Hoheit entwickelt, wie sie sonst nur den Weltweisen von Platon bis Spinoza und Schopenhauer aus¬ zeichnen, von der auch Schleiermacher etwas hat. Freiheit und ewige Harmonie ist das Leitmotiv all seiner Abhandlungen. Seit 1799 schweigt Hülsen in der Öffentlichkeit. Von seinen Schicksalen hören wir, daß sie nicht immer die besten waren. Im Jahre 1800 starb seine erste Frau, eine Cousine Fouquös. Sein Leben beschloß er 1810 auf einem Gute in Holstein, das ihm seine Freunde gekauft hatten. Er muß:e wohl ein übermächtiger oder eigensinniger Geist gewesen sein, wenn er trotz aller inneren und äußeren Erlebnisse immer in demselben Punkte der Anschauung stehen geblieben wäre, zumal jene Zeit immer neue Prinzipien in regem Wechsel erzeugte. Hören wir ihn selbst in einem Briefe aus dem Jahre 1803: „Es ist vieles in mir zerstört worden, aber was ich übrigens bin, das weiß ich dennoch sehr wohl." Das ist Resignation. In den Fragmenten aus seinem Nachlaß stehen auch noch folgende bedeutungsvollen Worte: „Alle unsere Erkenntnis ist höhere Offenbarung." Damit werden wir auf den Weg gewiesen, den die meisten Romantiker gegangen sind, von der absoluten Freiheit und Allmacht des eigenen Ich zu dem Aufgehen in ein Höheres, dessen Wesen man durch keine philosophische Spekulation ergründen, sondern nur ahnen und anschauen kann im Gefühl der Religion. Es ist, mit anderen Worten, der Weg von Fichte zu Schleiermacher. — Der romantischen Schule steht Hölderlin eigentlich fern. Ja er behauptet, wie Havn in seinem Buche über die Romantik richtig fagt, seinen Platz trotz Schiller und Goethe. Gleich dem früh verstorbenen Wackenroder gehört er zu den ernsten, ja tragischen Naturen, die bei allem ihre ganze Seele einsetzen. Vom ersten Flügelschlag seiner kindlichen Phantasie bis zu der langen Nacht des Wahnsinns strebte er unverrückt einem Ideale nach, das an Hoheit dem Schillers um nichts nachstand. Ein idealisiertes, mit Hilfe von Platon, Kant, Schiller und Rousseau angeschautes Griechentum schwebte ihm vor. Neben dem ungestümen Eifer gegen alles Gemeine sehen wir früh ein weiches Gemüt in dem rührend naiven Gedicht „Die Stille" (1738). Bei solcher Weichheit des Gemüts und solch unerreichbarer Höhe des Ideals war sein Schicksal eigentlich von vornherein besiegelt. Die Welt Hölderlins ist mit der in Platons Phaedon zu vergleichen. In glänzenden Strahlen flutet das Licht über die reinen Gebilde der Natur, und darüber dehnt sich der unendliche Äther, der „Vater der Sterb¬ lichen", auch das Abbild des Geistes, in dem er sehnend vergehen möchte. Wenige und einfache, aber große Bilder und Vergleiche liebt er in seinen Dichtungen. Die Bilder vom Adler und von den goldenen Morgenwölkchen, die Grenzboten I 1912 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/29>, abgerufen am 19.10.2024.