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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Landesverteidigung und Flottennovelle

ausdehnung von 4000 Metern, eine Breitenausdehnung von 1200 Metern; in
Wirklichkeit wird sie noch einen weit größeren Seeraum beansprucht haben. Die
Transportflotte, die das englische Expeditionskorps auf den Kontinent bringen
soll, muß erheblich größer sein. Solchem Konvoi gegenüber bietet sich
selbst sür das älteste Torpedoboot eine Fülle von Angriffsmöglich¬
keiten. Die englische Vorsicht von 1911 beweist hier mehr als jede theoretische
Erwägung. So lange die deutsche Flotte vorhanden ist, bereit offensiv vorzu¬
stoßen, wird England keine großen Truppentransporte wagen. Voraussetzung
für gegen Deutschland marschierende Truppentransporte ist der Besitz absoluter See¬
herrschaft, die bei Ausbruch von Feindseligkeiten erstDeutschland abgerungen sein will.

Aus alledem ergibt sich: eine genügend starke deutsche auch zu gelegent¬
licher Offensive fähige Flotte sichert uns -- und das ist ihre Hauptaufgabe --
den Frieden und unsere Stellung als Weltmacht, sie schützt uns im Kriege gegen
eine ruinöse Wirtschaftsblockade, verhindert den oben skizzierten Spezialkriegs-
fall -- die feindliche Truppenlandung -- und stellt sich so deckend an die rechte
Flanke unserer bewährten Armee. Das Vorhandensein einer starken, zweckmäßig
zusammengesetzten Flotte wirkt vorbeugend gegen Kriegs- und Überfallsabsichten, es
sichert den Frieden und gibt uns somit alles, was wir erstreben.

Soll nun aber erst ein Vernichtungskampf uns die Augen öffnen und zeigen,
was uns not ist? Die öffentliche Meinung hat sich mit Fragen dieser Art
vielfach und lebhaft beschäftigt. In der Presse sind auf Grund der Erfahrungen
des letzten Sommers neue Flottenrüstungen gefordert worden; die Regierung
hat solche, wenn auch bisher nur in sehr allgemein gehaltenen Äußerungen
angekündigt. Wie sollen wir unsere Seerüstung ausbauen?

Zunächst können nach allem, was oben gesagt ist, neue Flottenrüstungen --
und das sei besonders betont -- nur einen defensiven Charakter tragen, aller¬
dings einen defensiven Charakter, der einen offensiven Gegenstoß möglich macht.

Das Flottengesetz hat sich seit vierzehn Jahren bewährt. Zu entscheiden
wird daher sein, ob eine Erweiterung dieses Gesetzes unter Berücksichtigung der
militärischen Bedürfnisse und der finanziellen Verhältnisse notwendig ist und wie
eine solche zu denken wäre.

Vollendete Bereitschaft schwimmender Verbünde wird nur erreicht durch
dauernde Jndiensthaltung. Schiffe, die auf der Werft liegen und erst nach
Kriegsausbruch mit Reservisten in Dienst stellen, sind wertlos gegen Überfälle
und können bei wichtigen Anfangsentscheidungen nicht mitsprechen. Vermehrte
Jndiensthaltung bedeutet bei Vorhandensein der benötigten Schiffe somit bessere
Ausnutzung schon vorhandener Machtmittel.

Die Anforderung größerer Mittel zum Zwecke vermehrter Jndienst.
Haltung dürfte somit voraussichtlich die Hauptforderung der
kommenden Flottennovelle sein. Wir sind heute weiter denn je von der
praktischen Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht entfernt. Ein Drittel
waffenfähiger Männer wird nicht zu den Fahnen einberufen. Vermehrte


Landesverteidigung und Flottennovelle

ausdehnung von 4000 Metern, eine Breitenausdehnung von 1200 Metern; in
Wirklichkeit wird sie noch einen weit größeren Seeraum beansprucht haben. Die
Transportflotte, die das englische Expeditionskorps auf den Kontinent bringen
soll, muß erheblich größer sein. Solchem Konvoi gegenüber bietet sich
selbst sür das älteste Torpedoboot eine Fülle von Angriffsmöglich¬
keiten. Die englische Vorsicht von 1911 beweist hier mehr als jede theoretische
Erwägung. So lange die deutsche Flotte vorhanden ist, bereit offensiv vorzu¬
stoßen, wird England keine großen Truppentransporte wagen. Voraussetzung
für gegen Deutschland marschierende Truppentransporte ist der Besitz absoluter See¬
herrschaft, die bei Ausbruch von Feindseligkeiten erstDeutschland abgerungen sein will.

Aus alledem ergibt sich: eine genügend starke deutsche auch zu gelegent¬
licher Offensive fähige Flotte sichert uns — und das ist ihre Hauptaufgabe —
den Frieden und unsere Stellung als Weltmacht, sie schützt uns im Kriege gegen
eine ruinöse Wirtschaftsblockade, verhindert den oben skizzierten Spezialkriegs-
fall — die feindliche Truppenlandung — und stellt sich so deckend an die rechte
Flanke unserer bewährten Armee. Das Vorhandensein einer starken, zweckmäßig
zusammengesetzten Flotte wirkt vorbeugend gegen Kriegs- und Überfallsabsichten, es
sichert den Frieden und gibt uns somit alles, was wir erstreben.

Soll nun aber erst ein Vernichtungskampf uns die Augen öffnen und zeigen,
was uns not ist? Die öffentliche Meinung hat sich mit Fragen dieser Art
vielfach und lebhaft beschäftigt. In der Presse sind auf Grund der Erfahrungen
des letzten Sommers neue Flottenrüstungen gefordert worden; die Regierung
hat solche, wenn auch bisher nur in sehr allgemein gehaltenen Äußerungen
angekündigt. Wie sollen wir unsere Seerüstung ausbauen?

Zunächst können nach allem, was oben gesagt ist, neue Flottenrüstungen —
und das sei besonders betont — nur einen defensiven Charakter tragen, aller¬
dings einen defensiven Charakter, der einen offensiven Gegenstoß möglich macht.

Das Flottengesetz hat sich seit vierzehn Jahren bewährt. Zu entscheiden
wird daher sein, ob eine Erweiterung dieses Gesetzes unter Berücksichtigung der
militärischen Bedürfnisse und der finanziellen Verhältnisse notwendig ist und wie
eine solche zu denken wäre.

Vollendete Bereitschaft schwimmender Verbünde wird nur erreicht durch
dauernde Jndiensthaltung. Schiffe, die auf der Werft liegen und erst nach
Kriegsausbruch mit Reservisten in Dienst stellen, sind wertlos gegen Überfälle
und können bei wichtigen Anfangsentscheidungen nicht mitsprechen. Vermehrte
Jndiensthaltung bedeutet bei Vorhandensein der benötigten Schiffe somit bessere
Ausnutzung schon vorhandener Machtmittel.

Die Anforderung größerer Mittel zum Zwecke vermehrter Jndienst.
Haltung dürfte somit voraussichtlich die Hauptforderung der
kommenden Flottennovelle sein. Wir sind heute weiter denn je von der
praktischen Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht entfernt. Ein Drittel
waffenfähiger Männer wird nicht zu den Fahnen einberufen. Vermehrte


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[0267] Landesverteidigung und Flottennovelle ausdehnung von 4000 Metern, eine Breitenausdehnung von 1200 Metern; in Wirklichkeit wird sie noch einen weit größeren Seeraum beansprucht haben. Die Transportflotte, die das englische Expeditionskorps auf den Kontinent bringen soll, muß erheblich größer sein. Solchem Konvoi gegenüber bietet sich selbst sür das älteste Torpedoboot eine Fülle von Angriffsmöglich¬ keiten. Die englische Vorsicht von 1911 beweist hier mehr als jede theoretische Erwägung. So lange die deutsche Flotte vorhanden ist, bereit offensiv vorzu¬ stoßen, wird England keine großen Truppentransporte wagen. Voraussetzung für gegen Deutschland marschierende Truppentransporte ist der Besitz absoluter See¬ herrschaft, die bei Ausbruch von Feindseligkeiten erstDeutschland abgerungen sein will. Aus alledem ergibt sich: eine genügend starke deutsche auch zu gelegent¬ licher Offensive fähige Flotte sichert uns — und das ist ihre Hauptaufgabe — den Frieden und unsere Stellung als Weltmacht, sie schützt uns im Kriege gegen eine ruinöse Wirtschaftsblockade, verhindert den oben skizzierten Spezialkriegs- fall — die feindliche Truppenlandung — und stellt sich so deckend an die rechte Flanke unserer bewährten Armee. Das Vorhandensein einer starken, zweckmäßig zusammengesetzten Flotte wirkt vorbeugend gegen Kriegs- und Überfallsabsichten, es sichert den Frieden und gibt uns somit alles, was wir erstreben. Soll nun aber erst ein Vernichtungskampf uns die Augen öffnen und zeigen, was uns not ist? Die öffentliche Meinung hat sich mit Fragen dieser Art vielfach und lebhaft beschäftigt. In der Presse sind auf Grund der Erfahrungen des letzten Sommers neue Flottenrüstungen gefordert worden; die Regierung hat solche, wenn auch bisher nur in sehr allgemein gehaltenen Äußerungen angekündigt. Wie sollen wir unsere Seerüstung ausbauen? Zunächst können nach allem, was oben gesagt ist, neue Flottenrüstungen — und das sei besonders betont — nur einen defensiven Charakter tragen, aller¬ dings einen defensiven Charakter, der einen offensiven Gegenstoß möglich macht. Das Flottengesetz hat sich seit vierzehn Jahren bewährt. Zu entscheiden wird daher sein, ob eine Erweiterung dieses Gesetzes unter Berücksichtigung der militärischen Bedürfnisse und der finanziellen Verhältnisse notwendig ist und wie eine solche zu denken wäre. Vollendete Bereitschaft schwimmender Verbünde wird nur erreicht durch dauernde Jndiensthaltung. Schiffe, die auf der Werft liegen und erst nach Kriegsausbruch mit Reservisten in Dienst stellen, sind wertlos gegen Überfälle und können bei wichtigen Anfangsentscheidungen nicht mitsprechen. Vermehrte Jndiensthaltung bedeutet bei Vorhandensein der benötigten Schiffe somit bessere Ausnutzung schon vorhandener Machtmittel. Die Anforderung größerer Mittel zum Zwecke vermehrter Jndienst. Haltung dürfte somit voraussichtlich die Hauptforderung der kommenden Flottennovelle sein. Wir sind heute weiter denn je von der praktischen Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht entfernt. Ein Drittel waffenfähiger Männer wird nicht zu den Fahnen einberufen. Vermehrte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/267>, abgerufen am 27.09.2024.