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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Fichte und die älteren Romantiker

Gefühl fühlen." Seine Seele vergleicht er ähnlich wie Hölderlin "der schwebenden
Äolsharfe, in deren Saiten ein fremder, unbekannter Hauch weht und wechselnde
Lüfte nach Gefallen herumwühlen". Auch in der Musik gehen die Romantiker
oft bis zur Ausschweifung. Für Friedrich Schlegel ist sie "ein gefährlicher,
bodenloser Abgrund von Sehnsucht und Wehmut".

Der innere Zwiespalt tritt nie mächtiger hervor, als wenn sich jene roman¬
tische Sehnsucht gegen die Natur wendet. Mag der eine in ihr aufzugehen
vermeinen oder der andere klagen, daß er sie verloren hat, beide sind gleich weit
von ihr getrennt. Die Griechen und Goethe waren ganz Natur und redeten
sie darum uicht an. Die Form der Altrede und des Allsrufs aber ist ja über¬
haupt charakteristisch für die Romantik und ihr sentimentalisch gesteigertes Gefühl.
Manchmal erhebt es sich bis zu dithyrambischen Schwung: "Allwandelnde,
ewig erhabene Natur, es ist Vollendung und Gottheit, die du dem Menschen
strahlest, wenn in der tiefen Rührung des Schönen und Erhabenen die Ewige,
Unendliche sein Innerstes durchströmt. . . ." So ruft Hülsen aus, und Hölderlin
zeigt sich von dem Gefühl der ursprünglichen Einheit trotz aller Zerrissenheit
doch mächtig durchdrungen. Auch Novalis preist die Schönheit der Natur; aber
seinem magischen Idealismus ist sie nur "ein lebendiger, über nächtlichen Tiefen
schwebender Schmuck". Die Welt des Lichtes wirft nur Schatten in seine
Geisterwelt und verdunkelt sie. Jean Paul endlich vereinigt wie Hölderlin die
ganze Liebe zur Natur mit dem höchsten Schmerze, subjektivischer Unzufriedenheit.
Sie ist "seine älteste und treueste Freundin"; aber "in den Guadiana und in
den Wolgastrom sieht das nämliche lechzende Menschenherz hinein, das in dir
neben dem Rheine seufzt, und was auf die Alpen und auf den Kaukasus
steigt, ist, was du bist, und wendet ein sehnendes Auge nach deiner Haustür
herüber".

So vereinigen sich die mannigfach gefärbten Töne all dieser Dichter zu
einem großen Mollakkorde. Es ist das immer gleiche Gefühl der Sehnsucht,
eines nie befriedigten inneren Strebens, weit über die von Kant gezeichneten
Grenzen der Vernunft und über die Wirklichkeit ins Unendliche hinaus, bei den
einen auf hellerem, mehr aber auf dunklem Untergrunde. Bei dem einen klingt
es wie Geisterstimmen aus der Tiefe der Seele, bei dem anderen schweift es
planlos mit der Phantasie durch die Welt der Erscheinungen oder dringt klagend
in den Äther bis zu den Sternen hinauf. Als Sinnbild dieses Gefühls finden
wir das Feuer, das wie eine Opferflamme im Innern des Gemüts brennt und
sich in gewalltem Tode selbst verzehrt. ("sthenischen Tod" nennt Novalis
diese Selbstvernichtung.)

Nun sehen wir zu derselben Zeit einen Mann hervortreten, der in seinem
auf kritischer Grundlage, wie er glaubt, errichteten philosophischen System eben
jenen Trieb als die Grundkraft des Menschen anerkennt und, indem er ihn
zugleich Tat, d. i. Selbsttat des Ich sein läßt, ja die ganze äußere Welt als
Produkt des tätigen Ich erklärt, völlige Befriedigung verspricht. Kein Wunder,


Fichte und die älteren Romantiker

Gefühl fühlen." Seine Seele vergleicht er ähnlich wie Hölderlin „der schwebenden
Äolsharfe, in deren Saiten ein fremder, unbekannter Hauch weht und wechselnde
Lüfte nach Gefallen herumwühlen". Auch in der Musik gehen die Romantiker
oft bis zur Ausschweifung. Für Friedrich Schlegel ist sie „ein gefährlicher,
bodenloser Abgrund von Sehnsucht und Wehmut".

Der innere Zwiespalt tritt nie mächtiger hervor, als wenn sich jene roman¬
tische Sehnsucht gegen die Natur wendet. Mag der eine in ihr aufzugehen
vermeinen oder der andere klagen, daß er sie verloren hat, beide sind gleich weit
von ihr getrennt. Die Griechen und Goethe waren ganz Natur und redeten
sie darum uicht an. Die Form der Altrede und des Allsrufs aber ist ja über¬
haupt charakteristisch für die Romantik und ihr sentimentalisch gesteigertes Gefühl.
Manchmal erhebt es sich bis zu dithyrambischen Schwung: „Allwandelnde,
ewig erhabene Natur, es ist Vollendung und Gottheit, die du dem Menschen
strahlest, wenn in der tiefen Rührung des Schönen und Erhabenen die Ewige,
Unendliche sein Innerstes durchströmt. . . ." So ruft Hülsen aus, und Hölderlin
zeigt sich von dem Gefühl der ursprünglichen Einheit trotz aller Zerrissenheit
doch mächtig durchdrungen. Auch Novalis preist die Schönheit der Natur; aber
seinem magischen Idealismus ist sie nur „ein lebendiger, über nächtlichen Tiefen
schwebender Schmuck". Die Welt des Lichtes wirft nur Schatten in seine
Geisterwelt und verdunkelt sie. Jean Paul endlich vereinigt wie Hölderlin die
ganze Liebe zur Natur mit dem höchsten Schmerze, subjektivischer Unzufriedenheit.
Sie ist „seine älteste und treueste Freundin"; aber „in den Guadiana und in
den Wolgastrom sieht das nämliche lechzende Menschenherz hinein, das in dir
neben dem Rheine seufzt, und was auf die Alpen und auf den Kaukasus
steigt, ist, was du bist, und wendet ein sehnendes Auge nach deiner Haustür
herüber".

So vereinigen sich die mannigfach gefärbten Töne all dieser Dichter zu
einem großen Mollakkorde. Es ist das immer gleiche Gefühl der Sehnsucht,
eines nie befriedigten inneren Strebens, weit über die von Kant gezeichneten
Grenzen der Vernunft und über die Wirklichkeit ins Unendliche hinaus, bei den
einen auf hellerem, mehr aber auf dunklem Untergrunde. Bei dem einen klingt
es wie Geisterstimmen aus der Tiefe der Seele, bei dem anderen schweift es
planlos mit der Phantasie durch die Welt der Erscheinungen oder dringt klagend
in den Äther bis zu den Sternen hinauf. Als Sinnbild dieses Gefühls finden
wir das Feuer, das wie eine Opferflamme im Innern des Gemüts brennt und
sich in gewalltem Tode selbst verzehrt. („sthenischen Tod" nennt Novalis
diese Selbstvernichtung.)

Nun sehen wir zu derselben Zeit einen Mann hervortreten, der in seinem
auf kritischer Grundlage, wie er glaubt, errichteten philosophischen System eben
jenen Trieb als die Grundkraft des Menschen anerkennt und, indem er ihn
zugleich Tat, d. i. Selbsttat des Ich sein läßt, ja die ganze äußere Welt als
Produkt des tätigen Ich erklärt, völlige Befriedigung verspricht. Kein Wunder,


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[0026] Fichte und die älteren Romantiker Gefühl fühlen." Seine Seele vergleicht er ähnlich wie Hölderlin „der schwebenden Äolsharfe, in deren Saiten ein fremder, unbekannter Hauch weht und wechselnde Lüfte nach Gefallen herumwühlen". Auch in der Musik gehen die Romantiker oft bis zur Ausschweifung. Für Friedrich Schlegel ist sie „ein gefährlicher, bodenloser Abgrund von Sehnsucht und Wehmut". Der innere Zwiespalt tritt nie mächtiger hervor, als wenn sich jene roman¬ tische Sehnsucht gegen die Natur wendet. Mag der eine in ihr aufzugehen vermeinen oder der andere klagen, daß er sie verloren hat, beide sind gleich weit von ihr getrennt. Die Griechen und Goethe waren ganz Natur und redeten sie darum uicht an. Die Form der Altrede und des Allsrufs aber ist ja über¬ haupt charakteristisch für die Romantik und ihr sentimentalisch gesteigertes Gefühl. Manchmal erhebt es sich bis zu dithyrambischen Schwung: „Allwandelnde, ewig erhabene Natur, es ist Vollendung und Gottheit, die du dem Menschen strahlest, wenn in der tiefen Rührung des Schönen und Erhabenen die Ewige, Unendliche sein Innerstes durchströmt. . . ." So ruft Hülsen aus, und Hölderlin zeigt sich von dem Gefühl der ursprünglichen Einheit trotz aller Zerrissenheit doch mächtig durchdrungen. Auch Novalis preist die Schönheit der Natur; aber seinem magischen Idealismus ist sie nur „ein lebendiger, über nächtlichen Tiefen schwebender Schmuck". Die Welt des Lichtes wirft nur Schatten in seine Geisterwelt und verdunkelt sie. Jean Paul endlich vereinigt wie Hölderlin die ganze Liebe zur Natur mit dem höchsten Schmerze, subjektivischer Unzufriedenheit. Sie ist „seine älteste und treueste Freundin"; aber „in den Guadiana und in den Wolgastrom sieht das nämliche lechzende Menschenherz hinein, das in dir neben dem Rheine seufzt, und was auf die Alpen und auf den Kaukasus steigt, ist, was du bist, und wendet ein sehnendes Auge nach deiner Haustür herüber". So vereinigen sich die mannigfach gefärbten Töne all dieser Dichter zu einem großen Mollakkorde. Es ist das immer gleiche Gefühl der Sehnsucht, eines nie befriedigten inneren Strebens, weit über die von Kant gezeichneten Grenzen der Vernunft und über die Wirklichkeit ins Unendliche hinaus, bei den einen auf hellerem, mehr aber auf dunklem Untergrunde. Bei dem einen klingt es wie Geisterstimmen aus der Tiefe der Seele, bei dem anderen schweift es planlos mit der Phantasie durch die Welt der Erscheinungen oder dringt klagend in den Äther bis zu den Sternen hinauf. Als Sinnbild dieses Gefühls finden wir das Feuer, das wie eine Opferflamme im Innern des Gemüts brennt und sich in gewalltem Tode selbst verzehrt. („sthenischen Tod" nennt Novalis diese Selbstvernichtung.) Nun sehen wir zu derselben Zeit einen Mann hervortreten, der in seinem auf kritischer Grundlage, wie er glaubt, errichteten philosophischen System eben jenen Trieb als die Grundkraft des Menschen anerkennt und, indem er ihn zugleich Tat, d. i. Selbsttat des Ich sein läßt, ja die ganze äußere Welt als Produkt des tätigen Ich erklärt, völlige Befriedigung verspricht. Kein Wunder,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/26>, abgerufen am 20.10.2024.