Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gin Später Derer van Doorn

Da sah er, daß die beiden Frauen noch immer im Sande vor der heiligen
Jungfrau knieten und sich nicht gerührt und ihn nicht bemerkt hatten. So
wandte er sich wieder auf seinen alten Weg zurück.

Man kann sagen, daß in dem jungen Pfarrer gleich alles wie aufgescheucht
und wie gejagt war. Der Gedanke und die Vision der Paradiespforte war
verwiesen, wie Träume verweichen. Darin war keine Macht, wenn sich Frauen
vor der Gottesjungfrau im Sande kniend, lieblich bunt wie Blumen im Dünen¬
gras und in sinkender Sonne vor das Auge stellen. Der asketische Hieronnmus
kämpfte heimlich, um sich still und gemessen auf dem Wege zu halten und nicht
feige der Versuchung auszuweichen. Es dünkte ihn jetzt richtig eine Schmach,
nicht allerwegen ein stolzer, freier, hochgemuter Helfer und Mittler Gottes zu
sein. So gewann er allmählich auch die vollste Hoheit wieder in seine Schritte
und die innerste Umklammerung dessen, der ihn durch das Leben führen sollte.

Er ging wie Adler über Abgründe fliegen mit sicherem niederblicken.

Oder wie Kriegsrosse, wenn unter ihren Füßen Leichen um Leichen liegen
und Gestöhn die Luft zerrüttet und dann ihr Atem fast hörbar sich spannt und
ihr Gang hinschwebt wie aufgeschnellt, erhaben und doch sicher gebändigt.

In den Lüften schwammen Möven in kleinen Scharen in großen Runden.
Er sah ins Licht auf und sah eine Weile nicht mehr die Erde.

Aber wie Hieronnmus van Doorn wieder die Erde nahe fühlte, war
Frau Hartje einsam geworden. Er sah, daß sie allein noch auf dem Wege
stand. Die andere sommerhelle Gestalt war in der Richtung nach dem Strand¬
dorf verschwunden.

Frau Hartje stand aufrecht. Sie zögerte offenbar, wohin sich wenden.
Der Wind ging leicht in den Dünenhügeln hin. Glockenläuten verklang in der
hegerigen Abendluft vom Dorfe herüber. Das Kleid der Frau Hartje wehte,
so daß sie wie eine Fischersfrau stand, die sehnsüchtig in die See blickt, vielleicht
den Liebsten aus der Sturmferne erwartend. Auch die Bindebänder ihres Hutes
wehten. Ihr Kopf und Nacken waren in einer großen, gelben Strohkiepe, die
das Gesicht tief beschattete, ganz verborgen.

Die schrillen Rufe der Möven klangen nahe.

Hieronvmus klammerte sich an diese Rufe, um noch immer wieder mit sich
und der leuchtenden Gotteswelt allein zu sein. Obwohl er jetzt wirklich ein
Gefühl der Schwäche schon im Blute empfand und seine Beine müde waren,
im Sande zu stapfen. Er schlürfte eine Weile nur so hin.

Aber er tat noch immer, als wenn er nicht ahnte, daß Frau Hartje näher
und näher herankam.

Er blieb ohne Absicht noch einmal stehen.

Er begann in den Meersand zu blicken, wo die Kiesel knirschten. Wo die
letzten Wellenschäume mit perlmutternen Blasen im Sande verebbten, und
worüber die Strandflöhe ihr ruheloses Hüpfen und Springen betrieben. Er
war lange stehen geblieben, als ob ihn dieses Spiel ewig fesselte. Und er


Gin Später Derer van Doorn

Da sah er, daß die beiden Frauen noch immer im Sande vor der heiligen
Jungfrau knieten und sich nicht gerührt und ihn nicht bemerkt hatten. So
wandte er sich wieder auf seinen alten Weg zurück.

Man kann sagen, daß in dem jungen Pfarrer gleich alles wie aufgescheucht
und wie gejagt war. Der Gedanke und die Vision der Paradiespforte war
verwiesen, wie Träume verweichen. Darin war keine Macht, wenn sich Frauen
vor der Gottesjungfrau im Sande kniend, lieblich bunt wie Blumen im Dünen¬
gras und in sinkender Sonne vor das Auge stellen. Der asketische Hieronnmus
kämpfte heimlich, um sich still und gemessen auf dem Wege zu halten und nicht
feige der Versuchung auszuweichen. Es dünkte ihn jetzt richtig eine Schmach,
nicht allerwegen ein stolzer, freier, hochgemuter Helfer und Mittler Gottes zu
sein. So gewann er allmählich auch die vollste Hoheit wieder in seine Schritte
und die innerste Umklammerung dessen, der ihn durch das Leben führen sollte.

Er ging wie Adler über Abgründe fliegen mit sicherem niederblicken.

Oder wie Kriegsrosse, wenn unter ihren Füßen Leichen um Leichen liegen
und Gestöhn die Luft zerrüttet und dann ihr Atem fast hörbar sich spannt und
ihr Gang hinschwebt wie aufgeschnellt, erhaben und doch sicher gebändigt.

In den Lüften schwammen Möven in kleinen Scharen in großen Runden.
Er sah ins Licht auf und sah eine Weile nicht mehr die Erde.

Aber wie Hieronnmus van Doorn wieder die Erde nahe fühlte, war
Frau Hartje einsam geworden. Er sah, daß sie allein noch auf dem Wege
stand. Die andere sommerhelle Gestalt war in der Richtung nach dem Strand¬
dorf verschwunden.

Frau Hartje stand aufrecht. Sie zögerte offenbar, wohin sich wenden.
Der Wind ging leicht in den Dünenhügeln hin. Glockenläuten verklang in der
hegerigen Abendluft vom Dorfe herüber. Das Kleid der Frau Hartje wehte,
so daß sie wie eine Fischersfrau stand, die sehnsüchtig in die See blickt, vielleicht
den Liebsten aus der Sturmferne erwartend. Auch die Bindebänder ihres Hutes
wehten. Ihr Kopf und Nacken waren in einer großen, gelben Strohkiepe, die
das Gesicht tief beschattete, ganz verborgen.

Die schrillen Rufe der Möven klangen nahe.

Hieronvmus klammerte sich an diese Rufe, um noch immer wieder mit sich
und der leuchtenden Gotteswelt allein zu sein. Obwohl er jetzt wirklich ein
Gefühl der Schwäche schon im Blute empfand und seine Beine müde waren,
im Sande zu stapfen. Er schlürfte eine Weile nur so hin.

Aber er tat noch immer, als wenn er nicht ahnte, daß Frau Hartje näher
und näher herankam.

Er blieb ohne Absicht noch einmal stehen.

Er begann in den Meersand zu blicken, wo die Kiesel knirschten. Wo die
letzten Wellenschäume mit perlmutternen Blasen im Sande verebbten, und
worüber die Strandflöhe ihr ruheloses Hüpfen und Springen betrieben. Er
war lange stehen geblieben, als ob ihn dieses Spiel ewig fesselte. Und er


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0245" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320662"/>
            <fw type="header" place="top"> Gin Später Derer van Doorn</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_930"> Da sah er, daß die beiden Frauen noch immer im Sande vor der heiligen<lb/>
Jungfrau knieten und sich nicht gerührt und ihn nicht bemerkt hatten. So<lb/>
wandte er sich wieder auf seinen alten Weg zurück.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_931"> Man kann sagen, daß in dem jungen Pfarrer gleich alles wie aufgescheucht<lb/>
und wie gejagt war. Der Gedanke und die Vision der Paradiespforte war<lb/>
verwiesen, wie Träume verweichen. Darin war keine Macht, wenn sich Frauen<lb/>
vor der Gottesjungfrau im Sande kniend, lieblich bunt wie Blumen im Dünen¬<lb/>
gras und in sinkender Sonne vor das Auge stellen. Der asketische Hieronnmus<lb/>
kämpfte heimlich, um sich still und gemessen auf dem Wege zu halten und nicht<lb/>
feige der Versuchung auszuweichen. Es dünkte ihn jetzt richtig eine Schmach,<lb/>
nicht allerwegen ein stolzer, freier, hochgemuter Helfer und Mittler Gottes zu<lb/>
sein. So gewann er allmählich auch die vollste Hoheit wieder in seine Schritte<lb/>
und die innerste Umklammerung dessen, der ihn durch das Leben führen sollte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_932"> Er ging wie Adler über Abgründe fliegen mit sicherem niederblicken.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_933"> Oder wie Kriegsrosse, wenn unter ihren Füßen Leichen um Leichen liegen<lb/>
und Gestöhn die Luft zerrüttet und dann ihr Atem fast hörbar sich spannt und<lb/>
ihr Gang hinschwebt wie aufgeschnellt, erhaben und doch sicher gebändigt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_934"> In den Lüften schwammen Möven in kleinen Scharen in großen Runden.<lb/>
Er sah ins Licht auf und sah eine Weile nicht mehr die Erde.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_935"> Aber wie Hieronnmus van Doorn wieder die Erde nahe fühlte, war<lb/>
Frau Hartje einsam geworden. Er sah, daß sie allein noch auf dem Wege<lb/>
stand. Die andere sommerhelle Gestalt war in der Richtung nach dem Strand¬<lb/>
dorf verschwunden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_936"> Frau Hartje stand aufrecht. Sie zögerte offenbar, wohin sich wenden.<lb/>
Der Wind ging leicht in den Dünenhügeln hin. Glockenläuten verklang in der<lb/>
hegerigen Abendluft vom Dorfe herüber. Das Kleid der Frau Hartje wehte,<lb/>
so daß sie wie eine Fischersfrau stand, die sehnsüchtig in die See blickt, vielleicht<lb/>
den Liebsten aus der Sturmferne erwartend. Auch die Bindebänder ihres Hutes<lb/>
wehten. Ihr Kopf und Nacken waren in einer großen, gelben Strohkiepe, die<lb/>
das Gesicht tief beschattete, ganz verborgen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_937"> Die schrillen Rufe der Möven klangen nahe.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_938"> Hieronvmus klammerte sich an diese Rufe, um noch immer wieder mit sich<lb/>
und der leuchtenden Gotteswelt allein zu sein. Obwohl er jetzt wirklich ein<lb/>
Gefühl der Schwäche schon im Blute empfand und seine Beine müde waren,<lb/>
im Sande zu stapfen.  Er schlürfte eine Weile nur so hin.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_939"> Aber er tat noch immer, als wenn er nicht ahnte, daß Frau Hartje näher<lb/>
und näher herankam.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_940"> Er blieb ohne Absicht noch einmal stehen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_941" next="#ID_942"> Er begann in den Meersand zu blicken, wo die Kiesel knirschten. Wo die<lb/>
letzten Wellenschäume mit perlmutternen Blasen im Sande verebbten, und<lb/>
worüber die Strandflöhe ihr ruheloses Hüpfen und Springen betrieben. Er<lb/>
war lange stehen geblieben, als ob ihn dieses Spiel ewig fesselte. Und er</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0245] Gin Später Derer van Doorn Da sah er, daß die beiden Frauen noch immer im Sande vor der heiligen Jungfrau knieten und sich nicht gerührt und ihn nicht bemerkt hatten. So wandte er sich wieder auf seinen alten Weg zurück. Man kann sagen, daß in dem jungen Pfarrer gleich alles wie aufgescheucht und wie gejagt war. Der Gedanke und die Vision der Paradiespforte war verwiesen, wie Träume verweichen. Darin war keine Macht, wenn sich Frauen vor der Gottesjungfrau im Sande kniend, lieblich bunt wie Blumen im Dünen¬ gras und in sinkender Sonne vor das Auge stellen. Der asketische Hieronnmus kämpfte heimlich, um sich still und gemessen auf dem Wege zu halten und nicht feige der Versuchung auszuweichen. Es dünkte ihn jetzt richtig eine Schmach, nicht allerwegen ein stolzer, freier, hochgemuter Helfer und Mittler Gottes zu sein. So gewann er allmählich auch die vollste Hoheit wieder in seine Schritte und die innerste Umklammerung dessen, der ihn durch das Leben führen sollte. Er ging wie Adler über Abgründe fliegen mit sicherem niederblicken. Oder wie Kriegsrosse, wenn unter ihren Füßen Leichen um Leichen liegen und Gestöhn die Luft zerrüttet und dann ihr Atem fast hörbar sich spannt und ihr Gang hinschwebt wie aufgeschnellt, erhaben und doch sicher gebändigt. In den Lüften schwammen Möven in kleinen Scharen in großen Runden. Er sah ins Licht auf und sah eine Weile nicht mehr die Erde. Aber wie Hieronnmus van Doorn wieder die Erde nahe fühlte, war Frau Hartje einsam geworden. Er sah, daß sie allein noch auf dem Wege stand. Die andere sommerhelle Gestalt war in der Richtung nach dem Strand¬ dorf verschwunden. Frau Hartje stand aufrecht. Sie zögerte offenbar, wohin sich wenden. Der Wind ging leicht in den Dünenhügeln hin. Glockenläuten verklang in der hegerigen Abendluft vom Dorfe herüber. Das Kleid der Frau Hartje wehte, so daß sie wie eine Fischersfrau stand, die sehnsüchtig in die See blickt, vielleicht den Liebsten aus der Sturmferne erwartend. Auch die Bindebänder ihres Hutes wehten. Ihr Kopf und Nacken waren in einer großen, gelben Strohkiepe, die das Gesicht tief beschattete, ganz verborgen. Die schrillen Rufe der Möven klangen nahe. Hieronvmus klammerte sich an diese Rufe, um noch immer wieder mit sich und der leuchtenden Gotteswelt allein zu sein. Obwohl er jetzt wirklich ein Gefühl der Schwäche schon im Blute empfand und seine Beine müde waren, im Sande zu stapfen. Er schlürfte eine Weile nur so hin. Aber er tat noch immer, als wenn er nicht ahnte, daß Frau Hartje näher und näher herankam. Er blieb ohne Absicht noch einmal stehen. Er begann in den Meersand zu blicken, wo die Kiesel knirschten. Wo die letzten Wellenschäume mit perlmutternen Blasen im Sande verebbten, und worüber die Strandflöhe ihr ruheloses Hüpfen und Springen betrieben. Er war lange stehen geblieben, als ob ihn dieses Spiel ewig fesselte. Und er

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/245
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/245>, abgerufen am 27.09.2024.