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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Lin Später Derer van Doorn

Hieronymus banden wirklich Pflichten genug. Mit Gott zwischen Erde
und Himmel vermitteln. Die einen, die trachten und tun, "weihen", die andern
"verfluchen"! Die losbinden für die Ewigkeit, und die andern mit Heilsrufen
nennen, die in der Zeitlichkeit ihre ersten Schritte tun! Heute am Grabe den
Namen Gottes in die bewegte Swandwelt rufen, und morgen ein bekränztes
Paar als des Gottes bindende Hand selber berühren zum ewigen Bündnis,
unter Jubilieren der hellen Knabenlobgesänge vom Holzchore nieder in die hell¬
besonnte Backsteinkirche. Und neben dem allen ein Mensch sein und mit sich
selber fertig werden, in dieser Zeitlichkeit ein himmlischer Diener Gottes sein,
eine Seele sein, die Gott in sich trägt auf allen Wegen! Hieronymus begriff
es, daß da volle Kraft quellen, volle Liebe sich hingeben, der Stolz und die
Strenge Gottes einherschreiten und nicht rechts noch links auf Blumen und
Steine groß achten dürfe.

Und so schritt Hieronymus auch jetzt wieder wie ein Heiliger unter den
Fischersleuten und ging zu denen in ihre niedrigen Türen ein, die ihn riefen
um Gottes willen.

Da war es eines Sommertages. Der Sommer war langsam heran¬
gekommen. Der Strand war weit und breit leer. Boote und Schaluppen
lagen draußen auf dem Fischfang in Seeferne. Und Hieronymus hatte sich auf
einem Gange in die Dünen befunden, nachdem er ein kleines sterbendes Fischer¬
kind mit inbrünstigen Gebet für seinen Weg in die Himmel Gottes gesegnet.
In Hieronymus zitterte wie immer die heilige Handlung im Blute nach, und
er sann, indem er ging.

"Es muß seltsam selig sein, wenn ein kleines lachendes Kind in die Pforte
eingeht," dachte er und hatte vor Augen noch immer das Kindergestcht, dem
er die Unruhe des Sterbens aus den bleichen, dürftigen Zügen mit Handauf¬
legen und innigem Flüstern genommen.

Das Kind hatte noch kein Lächeln in seiner Seele gekannt.

Und darum gerade dachte Hieronymus jetzt daran, daß im Himmel das
kleine, hilflose Wesen ein Lächeln und Fröhlichsein finden und ein kleiner, seliger
Engel eingehen werde. Denn er wollte jetzt nur Himmelsgedanken und die
Wonne seiner Berufung fühlen, den armen Erdenmenschen voll Schweiß und
Genügen immer neu die Freuden der Gnade auftun.

Da sah er in den Dünen am Muttergottesbilde ein paar Frauen stehen.

Hieronymus war aus seinen Gedanken gleich wie aufgeschreckt. Hieronymus
hatte Sinne wie ein junger Falke. Er hatte sogleich erkannt, daß die eine der
beiden jungen, sommerlich losen Frauen Frau Hartje war. Und er war auch
sogleich von seinem Wege abgebogen. Er nahm eine Haltung, als wenn er
mit ruhigen Schritten querfeldein durch die Dünen heim müßte.

Dann begann ihn der Gedanke der Flucht wie eine Feigheit zu quälen.
Und er blieb eine Weile hinter einem Hügel an einem Weidengebüsch stehen.


Lin Später Derer van Doorn

Hieronymus banden wirklich Pflichten genug. Mit Gott zwischen Erde
und Himmel vermitteln. Die einen, die trachten und tun, „weihen", die andern
„verfluchen"! Die losbinden für die Ewigkeit, und die andern mit Heilsrufen
nennen, die in der Zeitlichkeit ihre ersten Schritte tun! Heute am Grabe den
Namen Gottes in die bewegte Swandwelt rufen, und morgen ein bekränztes
Paar als des Gottes bindende Hand selber berühren zum ewigen Bündnis,
unter Jubilieren der hellen Knabenlobgesänge vom Holzchore nieder in die hell¬
besonnte Backsteinkirche. Und neben dem allen ein Mensch sein und mit sich
selber fertig werden, in dieser Zeitlichkeit ein himmlischer Diener Gottes sein,
eine Seele sein, die Gott in sich trägt auf allen Wegen! Hieronymus begriff
es, daß da volle Kraft quellen, volle Liebe sich hingeben, der Stolz und die
Strenge Gottes einherschreiten und nicht rechts noch links auf Blumen und
Steine groß achten dürfe.

Und so schritt Hieronymus auch jetzt wieder wie ein Heiliger unter den
Fischersleuten und ging zu denen in ihre niedrigen Türen ein, die ihn riefen
um Gottes willen.

Da war es eines Sommertages. Der Sommer war langsam heran¬
gekommen. Der Strand war weit und breit leer. Boote und Schaluppen
lagen draußen auf dem Fischfang in Seeferne. Und Hieronymus hatte sich auf
einem Gange in die Dünen befunden, nachdem er ein kleines sterbendes Fischer¬
kind mit inbrünstigen Gebet für seinen Weg in die Himmel Gottes gesegnet.
In Hieronymus zitterte wie immer die heilige Handlung im Blute nach, und
er sann, indem er ging.

„Es muß seltsam selig sein, wenn ein kleines lachendes Kind in die Pforte
eingeht," dachte er und hatte vor Augen noch immer das Kindergestcht, dem
er die Unruhe des Sterbens aus den bleichen, dürftigen Zügen mit Handauf¬
legen und innigem Flüstern genommen.

Das Kind hatte noch kein Lächeln in seiner Seele gekannt.

Und darum gerade dachte Hieronymus jetzt daran, daß im Himmel das
kleine, hilflose Wesen ein Lächeln und Fröhlichsein finden und ein kleiner, seliger
Engel eingehen werde. Denn er wollte jetzt nur Himmelsgedanken und die
Wonne seiner Berufung fühlen, den armen Erdenmenschen voll Schweiß und
Genügen immer neu die Freuden der Gnade auftun.

Da sah er in den Dünen am Muttergottesbilde ein paar Frauen stehen.

Hieronymus war aus seinen Gedanken gleich wie aufgeschreckt. Hieronymus
hatte Sinne wie ein junger Falke. Er hatte sogleich erkannt, daß die eine der
beiden jungen, sommerlich losen Frauen Frau Hartje war. Und er war auch
sogleich von seinem Wege abgebogen. Er nahm eine Haltung, als wenn er
mit ruhigen Schritten querfeldein durch die Dünen heim müßte.

Dann begann ihn der Gedanke der Flucht wie eine Feigheit zu quälen.
Und er blieb eine Weile hinter einem Hügel an einem Weidengebüsch stehen.


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[0244] Lin Später Derer van Doorn Hieronymus banden wirklich Pflichten genug. Mit Gott zwischen Erde und Himmel vermitteln. Die einen, die trachten und tun, „weihen", die andern „verfluchen"! Die losbinden für die Ewigkeit, und die andern mit Heilsrufen nennen, die in der Zeitlichkeit ihre ersten Schritte tun! Heute am Grabe den Namen Gottes in die bewegte Swandwelt rufen, und morgen ein bekränztes Paar als des Gottes bindende Hand selber berühren zum ewigen Bündnis, unter Jubilieren der hellen Knabenlobgesänge vom Holzchore nieder in die hell¬ besonnte Backsteinkirche. Und neben dem allen ein Mensch sein und mit sich selber fertig werden, in dieser Zeitlichkeit ein himmlischer Diener Gottes sein, eine Seele sein, die Gott in sich trägt auf allen Wegen! Hieronymus begriff es, daß da volle Kraft quellen, volle Liebe sich hingeben, der Stolz und die Strenge Gottes einherschreiten und nicht rechts noch links auf Blumen und Steine groß achten dürfe. Und so schritt Hieronymus auch jetzt wieder wie ein Heiliger unter den Fischersleuten und ging zu denen in ihre niedrigen Türen ein, die ihn riefen um Gottes willen. Da war es eines Sommertages. Der Sommer war langsam heran¬ gekommen. Der Strand war weit und breit leer. Boote und Schaluppen lagen draußen auf dem Fischfang in Seeferne. Und Hieronymus hatte sich auf einem Gange in die Dünen befunden, nachdem er ein kleines sterbendes Fischer¬ kind mit inbrünstigen Gebet für seinen Weg in die Himmel Gottes gesegnet. In Hieronymus zitterte wie immer die heilige Handlung im Blute nach, und er sann, indem er ging. „Es muß seltsam selig sein, wenn ein kleines lachendes Kind in die Pforte eingeht," dachte er und hatte vor Augen noch immer das Kindergestcht, dem er die Unruhe des Sterbens aus den bleichen, dürftigen Zügen mit Handauf¬ legen und innigem Flüstern genommen. Das Kind hatte noch kein Lächeln in seiner Seele gekannt. Und darum gerade dachte Hieronymus jetzt daran, daß im Himmel das kleine, hilflose Wesen ein Lächeln und Fröhlichsein finden und ein kleiner, seliger Engel eingehen werde. Denn er wollte jetzt nur Himmelsgedanken und die Wonne seiner Berufung fühlen, den armen Erdenmenschen voll Schweiß und Genügen immer neu die Freuden der Gnade auftun. Da sah er in den Dünen am Muttergottesbilde ein paar Frauen stehen. Hieronymus war aus seinen Gedanken gleich wie aufgeschreckt. Hieronymus hatte Sinne wie ein junger Falke. Er hatte sogleich erkannt, daß die eine der beiden jungen, sommerlich losen Frauen Frau Hartje war. Und er war auch sogleich von seinem Wege abgebogen. Er nahm eine Haltung, als wenn er mit ruhigen Schritten querfeldein durch die Dünen heim müßte. Dann begann ihn der Gedanke der Flucht wie eine Feigheit zu quälen. Und er blieb eine Weile hinter einem Hügel an einem Weidengebüsch stehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/244>, abgerufen am 27.09.2024.