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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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William James und das deutsche Geistesleben

cmschauung" zwar belegen, aber durchaus nicht wie gewöhnlich mit dein
Ton auf der ersten Silbe, sondern einzig und allein auf den letzten Silben.
Nicht auf die Welt in der Tat, nicht auf den Gegenstand kommt es bei
ihm an -- da bleibt alles beim alten --, sondern einzig und allein auf
die Anschauung der Gegenstände und zwar seine, William James', eigentümliche
Anschauung. Mehr als alle mir bekannten Philosophien, im höchsten Grade
ist das Philosophieren von James persönlich. Kennzeichnend genug knüpft
der vielgenannte Pragmatismus an das alte Wort des Protagoras an: der
Mensch ist das Maß aller Dinge. Und zwar nicht der Mensch als Gattungs--
wesen, sondern jeder einzelne Mensch, nach der Pragmatisten Meinung. Der
Mensch ist das Maß aller Dinge, heißt daher für den Bezirk von James
eigenem Denken: William James ist das Maß aller Dinge. -- Und dies
bedeutet als Zwillingsbruder des Pragmatismus das nicht mindergenannte
Schlagwort: "Pluralismus" -- die Welt, nicht wie sie ist, als dinghaft, einheitlich
Gegebenes, fondern meine Erlebnisse der Welt in bunter, mannigfaltiger
Abfolge, eine Vielheit, die mir heute so aussieht und morgen anders. Sie
hängt von mir ab. Die Möglichkeit ihrer Einheit, unabhängig von mir,
schiert mich wenig.

Wir haben keinen Umweg gemacht, sondern stehen unmittelbar am Ziele.
^- In das pluralistische Weltbild von William James gehören auch wir
Deutschen. Aber wiederum ganz Juans pluralistischer Art: nicht wie wir
wirklich sind in unserem unabhängigen Eigenwert, sondern so wie James uns
Deutsche sieht.

James sieht uns Deutsche nach pluralistischer statt monistischer Weise.
Etwas "monistisch" ansehen heißt: die einzelnen Teile untereinander verbinden
und sie durch einander erklären, Einheit bringen in die erste, scheinbare Vielheit
unserer Eindrücke und sie durch sich selber erklären. Das war nicht James Art.
Das große Geheimnis seiner Philosophie ist: die Einheit bin lebt James'
Urteile über uns Deutsche sagen daher weniger, was wir wirklich sind,
sondern vielmehr, wie wir zu der Persönlichkeit von James passen. Und
da ist die Antwort denn in der Tat: herzlich schlecht. Aber William James
fühlte der unerschöpflichen Volkskraft und der Ausdauer der Deutschen gegenüber
nicht nur Fremdheit und Abneigung, sondern auch eine gewisse Scheu und
abgenötigte Bewunderung.

"Das Wunder ist, daß bei ihrer (derbdeutschen) Art, zu philosophieren,
individuelle Deutsche überhaupt noch geistige Selbsttätigkeit bewahren. Daß sie
trotz allem Frische und Urkraft in so hervorragendem Maße beendigen, zeugt
von dem unzerstörbaren Reichtum der deutschen Gehirnkraft." Ein großes, ein
unbegreifliches Wunder wäre der hohe Stand der deutschen Wissenschaft aller-
dings, wenn wir die Narren wären, zu denen James uns stempelt.

Das Wesen seiner Persönlichkeit verleitet William James dazu, das Bild
unseres geistigen Lebens vor den Augen der Amerikaner bis zur Unkenntlichkeit


William James und das deutsche Geistesleben

cmschauung" zwar belegen, aber durchaus nicht wie gewöhnlich mit dein
Ton auf der ersten Silbe, sondern einzig und allein auf den letzten Silben.
Nicht auf die Welt in der Tat, nicht auf den Gegenstand kommt es bei
ihm an — da bleibt alles beim alten —, sondern einzig und allein auf
die Anschauung der Gegenstände und zwar seine, William James', eigentümliche
Anschauung. Mehr als alle mir bekannten Philosophien, im höchsten Grade
ist das Philosophieren von James persönlich. Kennzeichnend genug knüpft
der vielgenannte Pragmatismus an das alte Wort des Protagoras an: der
Mensch ist das Maß aller Dinge. Und zwar nicht der Mensch als Gattungs--
wesen, sondern jeder einzelne Mensch, nach der Pragmatisten Meinung. Der
Mensch ist das Maß aller Dinge, heißt daher für den Bezirk von James
eigenem Denken: William James ist das Maß aller Dinge. — Und dies
bedeutet als Zwillingsbruder des Pragmatismus das nicht mindergenannte
Schlagwort: „Pluralismus" — die Welt, nicht wie sie ist, als dinghaft, einheitlich
Gegebenes, fondern meine Erlebnisse der Welt in bunter, mannigfaltiger
Abfolge, eine Vielheit, die mir heute so aussieht und morgen anders. Sie
hängt von mir ab. Die Möglichkeit ihrer Einheit, unabhängig von mir,
schiert mich wenig.

Wir haben keinen Umweg gemacht, sondern stehen unmittelbar am Ziele.
^- In das pluralistische Weltbild von William James gehören auch wir
Deutschen. Aber wiederum ganz Juans pluralistischer Art: nicht wie wir
wirklich sind in unserem unabhängigen Eigenwert, sondern so wie James uns
Deutsche sieht.

James sieht uns Deutsche nach pluralistischer statt monistischer Weise.
Etwas „monistisch" ansehen heißt: die einzelnen Teile untereinander verbinden
und sie durch einander erklären, Einheit bringen in die erste, scheinbare Vielheit
unserer Eindrücke und sie durch sich selber erklären. Das war nicht James Art.
Das große Geheimnis seiner Philosophie ist: die Einheit bin lebt James'
Urteile über uns Deutsche sagen daher weniger, was wir wirklich sind,
sondern vielmehr, wie wir zu der Persönlichkeit von James passen. Und
da ist die Antwort denn in der Tat: herzlich schlecht. Aber William James
fühlte der unerschöpflichen Volkskraft und der Ausdauer der Deutschen gegenüber
nicht nur Fremdheit und Abneigung, sondern auch eine gewisse Scheu und
abgenötigte Bewunderung.

„Das Wunder ist, daß bei ihrer (derbdeutschen) Art, zu philosophieren,
individuelle Deutsche überhaupt noch geistige Selbsttätigkeit bewahren. Daß sie
trotz allem Frische und Urkraft in so hervorragendem Maße beendigen, zeugt
von dem unzerstörbaren Reichtum der deutschen Gehirnkraft." Ein großes, ein
unbegreifliches Wunder wäre der hohe Stand der deutschen Wissenschaft aller-
dings, wenn wir die Narren wären, zu denen James uns stempelt.

Das Wesen seiner Persönlichkeit verleitet William James dazu, das Bild
unseres geistigen Lebens vor den Augen der Amerikaner bis zur Unkenntlichkeit


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[0227] William James und das deutsche Geistesleben cmschauung" zwar belegen, aber durchaus nicht wie gewöhnlich mit dein Ton auf der ersten Silbe, sondern einzig und allein auf den letzten Silben. Nicht auf die Welt in der Tat, nicht auf den Gegenstand kommt es bei ihm an — da bleibt alles beim alten —, sondern einzig und allein auf die Anschauung der Gegenstände und zwar seine, William James', eigentümliche Anschauung. Mehr als alle mir bekannten Philosophien, im höchsten Grade ist das Philosophieren von James persönlich. Kennzeichnend genug knüpft der vielgenannte Pragmatismus an das alte Wort des Protagoras an: der Mensch ist das Maß aller Dinge. Und zwar nicht der Mensch als Gattungs-- wesen, sondern jeder einzelne Mensch, nach der Pragmatisten Meinung. Der Mensch ist das Maß aller Dinge, heißt daher für den Bezirk von James eigenem Denken: William James ist das Maß aller Dinge. — Und dies bedeutet als Zwillingsbruder des Pragmatismus das nicht mindergenannte Schlagwort: „Pluralismus" — die Welt, nicht wie sie ist, als dinghaft, einheitlich Gegebenes, fondern meine Erlebnisse der Welt in bunter, mannigfaltiger Abfolge, eine Vielheit, die mir heute so aussieht und morgen anders. Sie hängt von mir ab. Die Möglichkeit ihrer Einheit, unabhängig von mir, schiert mich wenig. Wir haben keinen Umweg gemacht, sondern stehen unmittelbar am Ziele. ^- In das pluralistische Weltbild von William James gehören auch wir Deutschen. Aber wiederum ganz Juans pluralistischer Art: nicht wie wir wirklich sind in unserem unabhängigen Eigenwert, sondern so wie James uns Deutsche sieht. James sieht uns Deutsche nach pluralistischer statt monistischer Weise. Etwas „monistisch" ansehen heißt: die einzelnen Teile untereinander verbinden und sie durch einander erklären, Einheit bringen in die erste, scheinbare Vielheit unserer Eindrücke und sie durch sich selber erklären. Das war nicht James Art. Das große Geheimnis seiner Philosophie ist: die Einheit bin lebt James' Urteile über uns Deutsche sagen daher weniger, was wir wirklich sind, sondern vielmehr, wie wir zu der Persönlichkeit von James passen. Und da ist die Antwort denn in der Tat: herzlich schlecht. Aber William James fühlte der unerschöpflichen Volkskraft und der Ausdauer der Deutschen gegenüber nicht nur Fremdheit und Abneigung, sondern auch eine gewisse Scheu und abgenötigte Bewunderung. „Das Wunder ist, daß bei ihrer (derbdeutschen) Art, zu philosophieren, individuelle Deutsche überhaupt noch geistige Selbsttätigkeit bewahren. Daß sie trotz allem Frische und Urkraft in so hervorragendem Maße beendigen, zeugt von dem unzerstörbaren Reichtum der deutschen Gehirnkraft." Ein großes, ein unbegreifliches Wunder wäre der hohe Stand der deutschen Wissenschaft aller- dings, wenn wir die Narren wären, zu denen James uns stempelt. Das Wesen seiner Persönlichkeit verleitet William James dazu, das Bild unseres geistigen Lebens vor den Augen der Amerikaner bis zur Unkenntlichkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/227>, abgerufen am 27.09.2024.