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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Die Fremdenrechte in der Türkei

gehende Forderungen auf Besserung der türkischen Zoll- und Hafenverhältnisse
zu stellen.

Mit dem Kapitulationenrecht, das in der Gerichtsbarkeit Anwendung findet,
hat sich ein eigenartiges und verzweigtes System gebildet, dessen Kenntnis in
der Tat ein besonderes Studium erfordert. Der Ursprung dieses Systems liegt
in der in den ältesten Kapitulationen enthaltenen Zustcherung von Unverletz¬
lichkeit der Person und Wohnung der Fremden und von Konsulargerichtsbarkeit
für die rein internen Angelegenheiten der in besonderen Quartieren lebenden
Fremden (Kolonien). In Weiterentwicklung dieser Grundsätze sind die ein¬
heimischen Gerichte heute zuständig in Straf- und Zivilsachen, an denen ein
Ottomane und ein Fremder beteiligt ist. Jedoch steht den betreffenden Kon¬
sulaten eine umfangreiche Mitwirkung zu. Ausgehend von dem Satze, daß
türkische Behörden in rein amtlichen Angelegenheiten zur Geltendmachung von
staatlichen Hoheitsrechten nur unter konsularischer Vermittlung zu einem Fremden
in Beziehung treten können, stellt das Konsulat der fremden Partei alle Gerichts-
akte zu. Zu den Verhandlungen wird ein Konsulatsbeamter (Konsulatsdragoman)
entsandt, der bei allen Beschlüssen des Gerichts eine beratende Stimme hat und,
wenn das Gericht wider Recht und Billigkeit entscheidet, dem betreffenden Akte
seine Unterschrift verweigern kann. Da dem Konsulat auch die Vollstreckung
der Gerichtssprüche gegenüber seinen Schutzbefohlenen gebührt, entfällt, falls
die erforderliche Unterschrift des Konsulatsvertreters fehlt, die Möglichkeit ihrer
Durchführung.

Eine auch für die heimischen Kaufleute bedeutsame Einrichtung sind die
durch Vereinbarung mit den Mächten entstandenen gemischten Handelsgerichte,
die alle größeren Handelssachen entscheiden. In ihnen haben neben drei
türkischen Berufsrichtern zwei Kaufleute der in Betracht kommenden Nation
Sitz und Stimme; sie bilden mit dem auch hier erforderlichen Konsulats¬
vertreter eine nicht zu unterschätzende Gewähr für unparteiische Rechtsprechung.
Nur für Grundstückssachen sind, seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts,
die rein türkischen Gerichte ohne konsularische Mitwirkung zuständig. Zivil- und
Strafsachen, an denen eine türkische Partei nicht beteiligt ist, werden von den
Konsulargerichten des Staates entschieden, dem die beklagte Partei angehört.
Außerdem regelt jeder Konsul allein die Familien- und Erbschaftssachen seiner
Staatsangehörigen.

In der Verwaltung ist gleichfalls ein unmittelbarer Verkehr der türkischen
Behörden nicht zulässig. Doch hat hier die Übung zahlreichen Ausnahmen den
Weg gebahnt. Ängstlich wird aber auch hier von den Mächten die Unverletz¬
lichkeit der Wohnung eines Fremden gehütet. Eine den meisten Kapitulations¬
ländern eigene Einrichtung sind die fremden Posten, die an den Hauptplätzen
ihren Sitz haben. Auch sie sind der Türkei ein Dorn im Auge, obwohl sie
der trotz aller fremden Reformer noch immer recht mangelhaften türkischen Post
als ausgezeichnetes Vorbild dienen könnten. Besonders zahlreich waren die


Die Fremdenrechte in der Türkei

gehende Forderungen auf Besserung der türkischen Zoll- und Hafenverhältnisse
zu stellen.

Mit dem Kapitulationenrecht, das in der Gerichtsbarkeit Anwendung findet,
hat sich ein eigenartiges und verzweigtes System gebildet, dessen Kenntnis in
der Tat ein besonderes Studium erfordert. Der Ursprung dieses Systems liegt
in der in den ältesten Kapitulationen enthaltenen Zustcherung von Unverletz¬
lichkeit der Person und Wohnung der Fremden und von Konsulargerichtsbarkeit
für die rein internen Angelegenheiten der in besonderen Quartieren lebenden
Fremden (Kolonien). In Weiterentwicklung dieser Grundsätze sind die ein¬
heimischen Gerichte heute zuständig in Straf- und Zivilsachen, an denen ein
Ottomane und ein Fremder beteiligt ist. Jedoch steht den betreffenden Kon¬
sulaten eine umfangreiche Mitwirkung zu. Ausgehend von dem Satze, daß
türkische Behörden in rein amtlichen Angelegenheiten zur Geltendmachung von
staatlichen Hoheitsrechten nur unter konsularischer Vermittlung zu einem Fremden
in Beziehung treten können, stellt das Konsulat der fremden Partei alle Gerichts-
akte zu. Zu den Verhandlungen wird ein Konsulatsbeamter (Konsulatsdragoman)
entsandt, der bei allen Beschlüssen des Gerichts eine beratende Stimme hat und,
wenn das Gericht wider Recht und Billigkeit entscheidet, dem betreffenden Akte
seine Unterschrift verweigern kann. Da dem Konsulat auch die Vollstreckung
der Gerichtssprüche gegenüber seinen Schutzbefohlenen gebührt, entfällt, falls
die erforderliche Unterschrift des Konsulatsvertreters fehlt, die Möglichkeit ihrer
Durchführung.

Eine auch für die heimischen Kaufleute bedeutsame Einrichtung sind die
durch Vereinbarung mit den Mächten entstandenen gemischten Handelsgerichte,
die alle größeren Handelssachen entscheiden. In ihnen haben neben drei
türkischen Berufsrichtern zwei Kaufleute der in Betracht kommenden Nation
Sitz und Stimme; sie bilden mit dem auch hier erforderlichen Konsulats¬
vertreter eine nicht zu unterschätzende Gewähr für unparteiische Rechtsprechung.
Nur für Grundstückssachen sind, seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts,
die rein türkischen Gerichte ohne konsularische Mitwirkung zuständig. Zivil- und
Strafsachen, an denen eine türkische Partei nicht beteiligt ist, werden von den
Konsulargerichten des Staates entschieden, dem die beklagte Partei angehört.
Außerdem regelt jeder Konsul allein die Familien- und Erbschaftssachen seiner
Staatsangehörigen.

In der Verwaltung ist gleichfalls ein unmittelbarer Verkehr der türkischen
Behörden nicht zulässig. Doch hat hier die Übung zahlreichen Ausnahmen den
Weg gebahnt. Ängstlich wird aber auch hier von den Mächten die Unverletz¬
lichkeit der Wohnung eines Fremden gehütet. Eine den meisten Kapitulations¬
ländern eigene Einrichtung sind die fremden Posten, die an den Hauptplätzen
ihren Sitz haben. Auch sie sind der Türkei ein Dorn im Auge, obwohl sie
der trotz aller fremden Reformer noch immer recht mangelhaften türkischen Post
als ausgezeichnetes Vorbild dienen könnten. Besonders zahlreich waren die


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[0221] Die Fremdenrechte in der Türkei gehende Forderungen auf Besserung der türkischen Zoll- und Hafenverhältnisse zu stellen. Mit dem Kapitulationenrecht, das in der Gerichtsbarkeit Anwendung findet, hat sich ein eigenartiges und verzweigtes System gebildet, dessen Kenntnis in der Tat ein besonderes Studium erfordert. Der Ursprung dieses Systems liegt in der in den ältesten Kapitulationen enthaltenen Zustcherung von Unverletz¬ lichkeit der Person und Wohnung der Fremden und von Konsulargerichtsbarkeit für die rein internen Angelegenheiten der in besonderen Quartieren lebenden Fremden (Kolonien). In Weiterentwicklung dieser Grundsätze sind die ein¬ heimischen Gerichte heute zuständig in Straf- und Zivilsachen, an denen ein Ottomane und ein Fremder beteiligt ist. Jedoch steht den betreffenden Kon¬ sulaten eine umfangreiche Mitwirkung zu. Ausgehend von dem Satze, daß türkische Behörden in rein amtlichen Angelegenheiten zur Geltendmachung von staatlichen Hoheitsrechten nur unter konsularischer Vermittlung zu einem Fremden in Beziehung treten können, stellt das Konsulat der fremden Partei alle Gerichts- akte zu. Zu den Verhandlungen wird ein Konsulatsbeamter (Konsulatsdragoman) entsandt, der bei allen Beschlüssen des Gerichts eine beratende Stimme hat und, wenn das Gericht wider Recht und Billigkeit entscheidet, dem betreffenden Akte seine Unterschrift verweigern kann. Da dem Konsulat auch die Vollstreckung der Gerichtssprüche gegenüber seinen Schutzbefohlenen gebührt, entfällt, falls die erforderliche Unterschrift des Konsulatsvertreters fehlt, die Möglichkeit ihrer Durchführung. Eine auch für die heimischen Kaufleute bedeutsame Einrichtung sind die durch Vereinbarung mit den Mächten entstandenen gemischten Handelsgerichte, die alle größeren Handelssachen entscheiden. In ihnen haben neben drei türkischen Berufsrichtern zwei Kaufleute der in Betracht kommenden Nation Sitz und Stimme; sie bilden mit dem auch hier erforderlichen Konsulats¬ vertreter eine nicht zu unterschätzende Gewähr für unparteiische Rechtsprechung. Nur für Grundstückssachen sind, seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts, die rein türkischen Gerichte ohne konsularische Mitwirkung zuständig. Zivil- und Strafsachen, an denen eine türkische Partei nicht beteiligt ist, werden von den Konsulargerichten des Staates entschieden, dem die beklagte Partei angehört. Außerdem regelt jeder Konsul allein die Familien- und Erbschaftssachen seiner Staatsangehörigen. In der Verwaltung ist gleichfalls ein unmittelbarer Verkehr der türkischen Behörden nicht zulässig. Doch hat hier die Übung zahlreichen Ausnahmen den Weg gebahnt. Ängstlich wird aber auch hier von den Mächten die Unverletz¬ lichkeit der Wohnung eines Fremden gehütet. Eine den meisten Kapitulations¬ ländern eigene Einrichtung sind die fremden Posten, die an den Hauptplätzen ihren Sitz haben. Auch sie sind der Türkei ein Dorn im Auge, obwohl sie der trotz aller fremden Reformer noch immer recht mangelhaften türkischen Post als ausgezeichnetes Vorbild dienen könnten. Besonders zahlreich waren die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/221>, abgerufen am 20.10.2024.