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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Die Fremdenrechte in der Türkei

Abgaben, aber von allen persönlichen Staats- und Kommunallasten sind sie befreit.
Dem unkundigen Beobachter muß diese Tatsache als schreiende Ungerechtigkeit
erscheinen. Der Kundige weiß, daß die fremden Levantekaufleute mehr als im
übrigen Auslande außerordentliche hohe Beträge für ihre nationalen Schulen,
Kirchen, Krankenhäuser und sonstige Wohlfahrtseinrichtungen zahlen und dadurch
dem türkischen Staate einen guten Teil der ihm obliegenden Fürsorge abnehmen.
Durch diese den hochgespannter Anforderungen der Fremden Genüge leistenden
Einrichtungen sind dem Lande dauernd Muster vor die Augen geführt worden,
deren hebenden Einflüsse es unendlich viel verdankt. Aber Dank und Anerkennung
für die Leistungen der Fremden wird der Orientale wohl kaum je hegen können.
Trotz dieser Sachlage sind die fremden Mächte doch bereit, die Besteuerung ihrer
Angehörigen zuzulassen, aber sie fordern Kautelen bei deren Durchführung und
einige Zugeständnisse der türkischen Regierung in der Zunftfrage. Die Zünfte,
Esnafs genannt, dulden nämlich keinen Fremden bei sich, nehmen aber anderseits
zahlreiche Ausschließungsrechte für sich in Anspruch und verletzen somit die
vertraglich gewährleistete Gewerbefreiheit. Die Aufhebung der Zünfte wäre
jedoch bei ihrem gewaltigen Einflüsse, der sich besonders im Warenbovkott
zeigt, eine über die Kräfte der jetzigen Regierung weit hinausgehende
Aufgabe. Da anderseits die von den Missionen zur Sicherung ihrer nicht¬
wohlhabenden Kaufleute verlangte Steuereinziehung unter konsularischer Mit¬
wirkung für die Pforte eine Anerkennung und Festlegung des Kapitulations¬
systems bedeuten würde, so erscheint die Fremdenbesteuerung für die Türkei
noch keineswegs als in nächster Zeit erreichbar.

Das türkische Zollwesen erhält dadurch seine Besonderheit, daß die Türkei
gegenüber den Kapitulationsmächten in der Festsetzung der Zollgebühren nicht
für die Zeit eines kündbaren Handelsvertrages, sondern für immer gebunden
ist, also zu jeder Änderung, da alle Mächte die Meistbegünstigung genießen,
die Zustimmung jeder einzelnen erlangen, oder besser erkaufen muß. Zurzeit
beträgt der Einfuhrzoll für fast alle Waren 11 Prozent vom Werte. Das
Bestreben der Türkei in den letzten Jahren ging auf Erhöhung des Wertzolles
auf 15 Prozent. Die Versuche sind jedoch gescheitert am Verhalten Englands
in der Angelegenheit der Bagdadbahn, für die der vierprozentige Mehrertrag
verpfändet war. In der letzten Zeit nimmt daher die Pforte ihre früheren
Bemühungen, die Einführung eines Tarifzolles durchzusetzen, wieder auf. Der
erste dahingehende Vertrag ist 1891 mit dem Deutschen Reiche abgeschlossen
worden, jedoch ist der dem Vertrage angeschlossene Tarif, da er von den anderen
Mächten nicht angenommen wurde, infolge der Meistbegünstigungsklausel auch
deutschen Waren gegenüber nicht zur Anwendung gelangt. Vor kurzem scheinen
auf Grund des Abkommens über Bosnien und die Herzegowina Tarifverhand¬
lungen mit Österreich-Ungarn eröffnet zu sein, aber einen nur langsamen
Fortgang zu nehmen. Auf jeden Fall könnte die erforderliche Zustimmung
zu Zollveränderungen den Mächten einen günstigen Anlaß geben, weit-


Die Fremdenrechte in der Türkei

Abgaben, aber von allen persönlichen Staats- und Kommunallasten sind sie befreit.
Dem unkundigen Beobachter muß diese Tatsache als schreiende Ungerechtigkeit
erscheinen. Der Kundige weiß, daß die fremden Levantekaufleute mehr als im
übrigen Auslande außerordentliche hohe Beträge für ihre nationalen Schulen,
Kirchen, Krankenhäuser und sonstige Wohlfahrtseinrichtungen zahlen und dadurch
dem türkischen Staate einen guten Teil der ihm obliegenden Fürsorge abnehmen.
Durch diese den hochgespannter Anforderungen der Fremden Genüge leistenden
Einrichtungen sind dem Lande dauernd Muster vor die Augen geführt worden,
deren hebenden Einflüsse es unendlich viel verdankt. Aber Dank und Anerkennung
für die Leistungen der Fremden wird der Orientale wohl kaum je hegen können.
Trotz dieser Sachlage sind die fremden Mächte doch bereit, die Besteuerung ihrer
Angehörigen zuzulassen, aber sie fordern Kautelen bei deren Durchführung und
einige Zugeständnisse der türkischen Regierung in der Zunftfrage. Die Zünfte,
Esnafs genannt, dulden nämlich keinen Fremden bei sich, nehmen aber anderseits
zahlreiche Ausschließungsrechte für sich in Anspruch und verletzen somit die
vertraglich gewährleistete Gewerbefreiheit. Die Aufhebung der Zünfte wäre
jedoch bei ihrem gewaltigen Einflüsse, der sich besonders im Warenbovkott
zeigt, eine über die Kräfte der jetzigen Regierung weit hinausgehende
Aufgabe. Da anderseits die von den Missionen zur Sicherung ihrer nicht¬
wohlhabenden Kaufleute verlangte Steuereinziehung unter konsularischer Mit¬
wirkung für die Pforte eine Anerkennung und Festlegung des Kapitulations¬
systems bedeuten würde, so erscheint die Fremdenbesteuerung für die Türkei
noch keineswegs als in nächster Zeit erreichbar.

Das türkische Zollwesen erhält dadurch seine Besonderheit, daß die Türkei
gegenüber den Kapitulationsmächten in der Festsetzung der Zollgebühren nicht
für die Zeit eines kündbaren Handelsvertrages, sondern für immer gebunden
ist, also zu jeder Änderung, da alle Mächte die Meistbegünstigung genießen,
die Zustimmung jeder einzelnen erlangen, oder besser erkaufen muß. Zurzeit
beträgt der Einfuhrzoll für fast alle Waren 11 Prozent vom Werte. Das
Bestreben der Türkei in den letzten Jahren ging auf Erhöhung des Wertzolles
auf 15 Prozent. Die Versuche sind jedoch gescheitert am Verhalten Englands
in der Angelegenheit der Bagdadbahn, für die der vierprozentige Mehrertrag
verpfändet war. In der letzten Zeit nimmt daher die Pforte ihre früheren
Bemühungen, die Einführung eines Tarifzolles durchzusetzen, wieder auf. Der
erste dahingehende Vertrag ist 1891 mit dem Deutschen Reiche abgeschlossen
worden, jedoch ist der dem Vertrage angeschlossene Tarif, da er von den anderen
Mächten nicht angenommen wurde, infolge der Meistbegünstigungsklausel auch
deutschen Waren gegenüber nicht zur Anwendung gelangt. Vor kurzem scheinen
auf Grund des Abkommens über Bosnien und die Herzegowina Tarifverhand¬
lungen mit Österreich-Ungarn eröffnet zu sein, aber einen nur langsamen
Fortgang zu nehmen. Auf jeden Fall könnte die erforderliche Zustimmung
zu Zollveränderungen den Mächten einen günstigen Anlaß geben, weit-


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[0220] Die Fremdenrechte in der Türkei Abgaben, aber von allen persönlichen Staats- und Kommunallasten sind sie befreit. Dem unkundigen Beobachter muß diese Tatsache als schreiende Ungerechtigkeit erscheinen. Der Kundige weiß, daß die fremden Levantekaufleute mehr als im übrigen Auslande außerordentliche hohe Beträge für ihre nationalen Schulen, Kirchen, Krankenhäuser und sonstige Wohlfahrtseinrichtungen zahlen und dadurch dem türkischen Staate einen guten Teil der ihm obliegenden Fürsorge abnehmen. Durch diese den hochgespannter Anforderungen der Fremden Genüge leistenden Einrichtungen sind dem Lande dauernd Muster vor die Augen geführt worden, deren hebenden Einflüsse es unendlich viel verdankt. Aber Dank und Anerkennung für die Leistungen der Fremden wird der Orientale wohl kaum je hegen können. Trotz dieser Sachlage sind die fremden Mächte doch bereit, die Besteuerung ihrer Angehörigen zuzulassen, aber sie fordern Kautelen bei deren Durchführung und einige Zugeständnisse der türkischen Regierung in der Zunftfrage. Die Zünfte, Esnafs genannt, dulden nämlich keinen Fremden bei sich, nehmen aber anderseits zahlreiche Ausschließungsrechte für sich in Anspruch und verletzen somit die vertraglich gewährleistete Gewerbefreiheit. Die Aufhebung der Zünfte wäre jedoch bei ihrem gewaltigen Einflüsse, der sich besonders im Warenbovkott zeigt, eine über die Kräfte der jetzigen Regierung weit hinausgehende Aufgabe. Da anderseits die von den Missionen zur Sicherung ihrer nicht¬ wohlhabenden Kaufleute verlangte Steuereinziehung unter konsularischer Mit¬ wirkung für die Pforte eine Anerkennung und Festlegung des Kapitulations¬ systems bedeuten würde, so erscheint die Fremdenbesteuerung für die Türkei noch keineswegs als in nächster Zeit erreichbar. Das türkische Zollwesen erhält dadurch seine Besonderheit, daß die Türkei gegenüber den Kapitulationsmächten in der Festsetzung der Zollgebühren nicht für die Zeit eines kündbaren Handelsvertrages, sondern für immer gebunden ist, also zu jeder Änderung, da alle Mächte die Meistbegünstigung genießen, die Zustimmung jeder einzelnen erlangen, oder besser erkaufen muß. Zurzeit beträgt der Einfuhrzoll für fast alle Waren 11 Prozent vom Werte. Das Bestreben der Türkei in den letzten Jahren ging auf Erhöhung des Wertzolles auf 15 Prozent. Die Versuche sind jedoch gescheitert am Verhalten Englands in der Angelegenheit der Bagdadbahn, für die der vierprozentige Mehrertrag verpfändet war. In der letzten Zeit nimmt daher die Pforte ihre früheren Bemühungen, die Einführung eines Tarifzolles durchzusetzen, wieder auf. Der erste dahingehende Vertrag ist 1891 mit dem Deutschen Reiche abgeschlossen worden, jedoch ist der dem Vertrage angeschlossene Tarif, da er von den anderen Mächten nicht angenommen wurde, infolge der Meistbegünstigungsklausel auch deutschen Waren gegenüber nicht zur Anwendung gelangt. Vor kurzem scheinen auf Grund des Abkommens über Bosnien und die Herzegowina Tarifverhand¬ lungen mit Österreich-Ungarn eröffnet zu sein, aber einen nur langsamen Fortgang zu nehmen. Auf jeden Fall könnte die erforderliche Zustimmung zu Zollveränderungen den Mächten einen günstigen Anlaß geben, weit-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/220>, abgerufen am 27.09.2024.