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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Lingeborenenrecht in den deutschen Kolonien

vom Reichskolonialamt planmäßig in die Wege geleitet worden. Den äußeren
Anstoß gab die am 3. Mai 1907 vom Reichstage mit großer Mehrheit an¬
genommene Resolution: "den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, alsbald das über
das Eingeborenenrecht in den deutschen Schutzgebieten vorhandene Material
sammeln und sichten und eine authentische Sammlung der Rechtsgebräuche der
Eingeborenen herstellen zu lassen." Zur Ausführung dieser Resolution berief
der Staatssekretär Dernburg eine aus Mitgliedern des Reichskolonialamts,
Gelehrten und Reichstagsmitgliedern bestehende Kommisston. Diese beschloß einen
Fragebogen herstellen zu lassen, unter Vorbehalt weiterer Ergänzung durch
schriftliche Nachfragen und Entsendung von geeigneten Forschern an Ort und
Stelle. Die Ausarbeitung des Fragebogens wurde einer Unterkommission über¬
tragen, der eigenartigerweise niemand angehörte, der mit dem Eingeborenen¬
rechte jemals praktisch zu tun gehabt hätte. Wesentlich unterstützt durch die
schon früher von der Internationalen Vereinigung für vergleichende Rechts¬
wissenschaft und Volkswirtschaftslehre hergestellte ethnographische Fragesammlung
brachte die Subkommission ihre Aufgabe in kurzer Frist zum Abschluß. Der
alsdann von der Gesamtkommission geprüfte und festgestellte "Fragebogen über
die Rechte der Eingeborenen in den deutschen Kolonien" verlangt als erstes
"eine allgemeine Schilderung von Land und Leuten nach ethnologischer und
wirtschaftlicher Seite hin". Als wünschenswert werden bezeichnet: "Angaben
über Körperbeschaffenheit, Bevölkerungszahl, Nahrung, Kleidung, Wohnung und
sonstige Lebensverhältnisse, über Zusammenleben, über Geistestätigkeit, namentlich
Religion, Sprache, Geschichte, Sagen und Märchen". Dann folgen unter den
fünf Hauptüberschriften: "I. Familien- und Personenrecht, II. Vermögensrecht,
III. Strafrecht, IV. Prozeßrecht, V. Staats-, Verwaltuugs- und Völkerrecht"
einhundertuuddrei Hauptfragen, fast sämtlich mit zahlreichen Unterfragen.

Nach den Mitteilungen, die der Vertreter des Neichskolonialamts. Geheimer
Oberregierungsrat I. Gerstmeyer, auf der Heidelberger Hauptversammlung der
Internationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft und Volks¬
wirtschaftslehre am 7. September d. I. gemacht hat, sind etwa vierhundert
dieser Fragebogen an die Gouvernements hinausgesandt worden zwecks Ver¬
teilung an geeignete Persönlichkeiten, insbesondere Beamte, Ärzte, Misstonare.
Das Ergebnis der Enquete kann insofern nicht als befriedigend bezeichnet werden,
als bisher nur recht wenige Antworten eingegangen sind, sieben davon aus den
Südseekolonien, zwei aus Kamerun, die übrigen aus Südwestafrika. -- Diese
Zurückhaltung findet in mangelndem Interesse oder zu starker Belastung der
gewählten Auskunftspersonen mit anderen Arbeiten keine hinreichende Er¬
klärung. Zum Teil jedenfalls ist die Quelle der Zurückhaltung in der
Gestaltung des Fragebogens selbst und sodann vor allem darin zu suchen,
daß der Fragebogen auch nicht andeutungsweise eine Anleitung darüber gibt,
in welcher Weise er verwendet und benutzt sein will. So wird der Frage¬
bogen auf den unbefangenen Empfänger den Eindruck machen, daß seine Frage"


Grenzboten I 1912 2
Lingeborenenrecht in den deutschen Kolonien

vom Reichskolonialamt planmäßig in die Wege geleitet worden. Den äußeren
Anstoß gab die am 3. Mai 1907 vom Reichstage mit großer Mehrheit an¬
genommene Resolution: „den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, alsbald das über
das Eingeborenenrecht in den deutschen Schutzgebieten vorhandene Material
sammeln und sichten und eine authentische Sammlung der Rechtsgebräuche der
Eingeborenen herstellen zu lassen." Zur Ausführung dieser Resolution berief
der Staatssekretär Dernburg eine aus Mitgliedern des Reichskolonialamts,
Gelehrten und Reichstagsmitgliedern bestehende Kommisston. Diese beschloß einen
Fragebogen herstellen zu lassen, unter Vorbehalt weiterer Ergänzung durch
schriftliche Nachfragen und Entsendung von geeigneten Forschern an Ort und
Stelle. Die Ausarbeitung des Fragebogens wurde einer Unterkommission über¬
tragen, der eigenartigerweise niemand angehörte, der mit dem Eingeborenen¬
rechte jemals praktisch zu tun gehabt hätte. Wesentlich unterstützt durch die
schon früher von der Internationalen Vereinigung für vergleichende Rechts¬
wissenschaft und Volkswirtschaftslehre hergestellte ethnographische Fragesammlung
brachte die Subkommission ihre Aufgabe in kurzer Frist zum Abschluß. Der
alsdann von der Gesamtkommission geprüfte und festgestellte „Fragebogen über
die Rechte der Eingeborenen in den deutschen Kolonien" verlangt als erstes
„eine allgemeine Schilderung von Land und Leuten nach ethnologischer und
wirtschaftlicher Seite hin". Als wünschenswert werden bezeichnet: „Angaben
über Körperbeschaffenheit, Bevölkerungszahl, Nahrung, Kleidung, Wohnung und
sonstige Lebensverhältnisse, über Zusammenleben, über Geistestätigkeit, namentlich
Religion, Sprache, Geschichte, Sagen und Märchen". Dann folgen unter den
fünf Hauptüberschriften: „I. Familien- und Personenrecht, II. Vermögensrecht,
III. Strafrecht, IV. Prozeßrecht, V. Staats-, Verwaltuugs- und Völkerrecht"
einhundertuuddrei Hauptfragen, fast sämtlich mit zahlreichen Unterfragen.

Nach den Mitteilungen, die der Vertreter des Neichskolonialamts. Geheimer
Oberregierungsrat I. Gerstmeyer, auf der Heidelberger Hauptversammlung der
Internationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft und Volks¬
wirtschaftslehre am 7. September d. I. gemacht hat, sind etwa vierhundert
dieser Fragebogen an die Gouvernements hinausgesandt worden zwecks Ver¬
teilung an geeignete Persönlichkeiten, insbesondere Beamte, Ärzte, Misstonare.
Das Ergebnis der Enquete kann insofern nicht als befriedigend bezeichnet werden,
als bisher nur recht wenige Antworten eingegangen sind, sieben davon aus den
Südseekolonien, zwei aus Kamerun, die übrigen aus Südwestafrika. — Diese
Zurückhaltung findet in mangelndem Interesse oder zu starker Belastung der
gewählten Auskunftspersonen mit anderen Arbeiten keine hinreichende Er¬
klärung. Zum Teil jedenfalls ist die Quelle der Zurückhaltung in der
Gestaltung des Fragebogens selbst und sodann vor allem darin zu suchen,
daß der Fragebogen auch nicht andeutungsweise eine Anleitung darüber gibt,
in welcher Weise er verwendet und benutzt sein will. So wird der Frage¬
bogen auf den unbefangenen Empfänger den Eindruck machen, daß seine Frage«


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/21>, abgerufen am 19.10.2024.