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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Ein Später Derer van Doorn

sah dann in Frau Hartjes Augen hinein, die so blau waren wie das Ader¬
werk der Hand. Und er verstand noch immer nichts zu sagen, weil er sich
beinahe wieder in der stillen Betrachtung verlor, daß diese Augen, die heute so
selig und gläubig und frei und so glänzend wie der Himmel in seine Blicke
sich senkten, die Augen von Frau Hartje wären, die einmal, nur von letzten
Ängsten gejagt, sich gläubig an ihn geklammert hatten.

Aber Hieronymus van Doorn besann sich.

Frau Hartje hatte jetzt gelacht mit Hellem Klingen. Frau Hartjes Lippen
bewegten sich und plauderten mit Purpurröte. Er sah die blinkenden, kleinen
Zähne in offenen, feuchten Lippen liegen und die kleine Weiberzunge zwischen
Zähnen und Lippen spielen. Er hörte den lieblichen Ton ihrer Rede. Und
fein Gefühl erfüllte eine Genugtuung, weil es von Dankbarkeit hallte. So daß
Hieronymus van Doorn allmählich aus seiner Verwirrung ganz aufgerichtet
emporwuchs. So daß nun das Lied der Genesung, das auch ihm in den letzten
Wochen nur heimlich ohne Namen und Bestimmung in dem Geläute der Kirchen¬
glocken und dem Brausen des Meeres in den Dünen und dann aus ihm über
seine Kirchengemeinde hin als Preis der Gottesjungfrau und Gottesmutter
geballt und geklungen, in ihm deutlicher jetzt als Kraft aufsprang und er wie
ein Jüngling zu Frau Hartjes lieblich tönenden Worten zu lächeln anfing.

Herr Kroen hatte dem jungen Priester einen Seidenstuhl in die Tür geschoben.

Er saß nun, ein lächelnder Schatten, vor ihr.

Die Sonne kam glühend über die fernen Meerwogen, saß als Scheibe aus
dem Meerrand und umfloß Frau Hartjes reiche Haarzöpfe, die blond über ihre
kleinen Ohren lagen. Blinkend lagen die reichen Falten des blaugrünen Seiden¬
kleides an ihrer schlanken Mädchengestalt herab. Ein kostbarer Goldreif mit
einer Perle hielt das Haar an der Stirn ein wenig gebunden. Die Augen
waren voll Strahlen. Von ihren sanften, frommen Händen funkelten Steine
und Perlen. Ihr Gesicht stand zärtlich zur Seite genommen mit drolligen
Augenzwinkern frei im Raume.

Hieronymus van Doorn hörte und fah, so daß auch ihm eine Anwandlung
von Farbe in die mageren, hohlen Mienen kam. Er sah auch die vollen,
dunklen Wimperkränze, die die jungen Blicke ewig umschatteten. Er sah alles.
Er war gefangen in der Pracht der Jugend, die hier neu und strahlend das
Leben liebte und lebte, die eine Auferstehung feierte in das irdische Herbst¬
paradies, das innen und außen, über Terrasse und Garten und Himmel und
Meer gebreitet lag. Alles umspann ihn. Alles sang die Sprache der Genesung,
die auch Herrn Kroens volle Lippen erzählten, und die in seinem Monokel in
die untergehende Abendsonne hinausblitzte. Es war jetzt ein sanftes und ein¬
dringliche's Geplauder von Mund zu Mund, und von Auge ins Auge hinein.
Auch Hieronymus van Doorn, obwohl er noch in der Morgenfrühe mit ver¬
zehrten Blicken und heimlich sehnsüchtig von der Gottesminne lockende, heilige
Worte gemacht und die Macht der Gnade gepriesen, tändelte in diesem Angen-


Grenzboten I 1912 ^
Ein Später Derer van Doorn

sah dann in Frau Hartjes Augen hinein, die so blau waren wie das Ader¬
werk der Hand. Und er verstand noch immer nichts zu sagen, weil er sich
beinahe wieder in der stillen Betrachtung verlor, daß diese Augen, die heute so
selig und gläubig und frei und so glänzend wie der Himmel in seine Blicke
sich senkten, die Augen von Frau Hartje wären, die einmal, nur von letzten
Ängsten gejagt, sich gläubig an ihn geklammert hatten.

Aber Hieronymus van Doorn besann sich.

Frau Hartje hatte jetzt gelacht mit Hellem Klingen. Frau Hartjes Lippen
bewegten sich und plauderten mit Purpurröte. Er sah die blinkenden, kleinen
Zähne in offenen, feuchten Lippen liegen und die kleine Weiberzunge zwischen
Zähnen und Lippen spielen. Er hörte den lieblichen Ton ihrer Rede. Und
fein Gefühl erfüllte eine Genugtuung, weil es von Dankbarkeit hallte. So daß
Hieronymus van Doorn allmählich aus seiner Verwirrung ganz aufgerichtet
emporwuchs. So daß nun das Lied der Genesung, das auch ihm in den letzten
Wochen nur heimlich ohne Namen und Bestimmung in dem Geläute der Kirchen¬
glocken und dem Brausen des Meeres in den Dünen und dann aus ihm über
seine Kirchengemeinde hin als Preis der Gottesjungfrau und Gottesmutter
geballt und geklungen, in ihm deutlicher jetzt als Kraft aufsprang und er wie
ein Jüngling zu Frau Hartjes lieblich tönenden Worten zu lächeln anfing.

Herr Kroen hatte dem jungen Priester einen Seidenstuhl in die Tür geschoben.

Er saß nun, ein lächelnder Schatten, vor ihr.

Die Sonne kam glühend über die fernen Meerwogen, saß als Scheibe aus
dem Meerrand und umfloß Frau Hartjes reiche Haarzöpfe, die blond über ihre
kleinen Ohren lagen. Blinkend lagen die reichen Falten des blaugrünen Seiden¬
kleides an ihrer schlanken Mädchengestalt herab. Ein kostbarer Goldreif mit
einer Perle hielt das Haar an der Stirn ein wenig gebunden. Die Augen
waren voll Strahlen. Von ihren sanften, frommen Händen funkelten Steine
und Perlen. Ihr Gesicht stand zärtlich zur Seite genommen mit drolligen
Augenzwinkern frei im Raume.

Hieronymus van Doorn hörte und fah, so daß auch ihm eine Anwandlung
von Farbe in die mageren, hohlen Mienen kam. Er sah auch die vollen,
dunklen Wimperkränze, die die jungen Blicke ewig umschatteten. Er sah alles.
Er war gefangen in der Pracht der Jugend, die hier neu und strahlend das
Leben liebte und lebte, die eine Auferstehung feierte in das irdische Herbst¬
paradies, das innen und außen, über Terrasse und Garten und Himmel und
Meer gebreitet lag. Alles umspann ihn. Alles sang die Sprache der Genesung,
die auch Herrn Kroens volle Lippen erzählten, und die in seinem Monokel in
die untergehende Abendsonne hinausblitzte. Es war jetzt ein sanftes und ein¬
dringliche's Geplauder von Mund zu Mund, und von Auge ins Auge hinein.
Auch Hieronymus van Doorn, obwohl er noch in der Morgenfrühe mit ver¬
zehrten Blicken und heimlich sehnsüchtig von der Gottesminne lockende, heilige
Worte gemacht und die Macht der Gnade gepriesen, tändelte in diesem Angen-


Grenzboten I 1912 ^
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[0193] Ein Später Derer van Doorn sah dann in Frau Hartjes Augen hinein, die so blau waren wie das Ader¬ werk der Hand. Und er verstand noch immer nichts zu sagen, weil er sich beinahe wieder in der stillen Betrachtung verlor, daß diese Augen, die heute so selig und gläubig und frei und so glänzend wie der Himmel in seine Blicke sich senkten, die Augen von Frau Hartje wären, die einmal, nur von letzten Ängsten gejagt, sich gläubig an ihn geklammert hatten. Aber Hieronymus van Doorn besann sich. Frau Hartje hatte jetzt gelacht mit Hellem Klingen. Frau Hartjes Lippen bewegten sich und plauderten mit Purpurröte. Er sah die blinkenden, kleinen Zähne in offenen, feuchten Lippen liegen und die kleine Weiberzunge zwischen Zähnen und Lippen spielen. Er hörte den lieblichen Ton ihrer Rede. Und fein Gefühl erfüllte eine Genugtuung, weil es von Dankbarkeit hallte. So daß Hieronymus van Doorn allmählich aus seiner Verwirrung ganz aufgerichtet emporwuchs. So daß nun das Lied der Genesung, das auch ihm in den letzten Wochen nur heimlich ohne Namen und Bestimmung in dem Geläute der Kirchen¬ glocken und dem Brausen des Meeres in den Dünen und dann aus ihm über seine Kirchengemeinde hin als Preis der Gottesjungfrau und Gottesmutter geballt und geklungen, in ihm deutlicher jetzt als Kraft aufsprang und er wie ein Jüngling zu Frau Hartjes lieblich tönenden Worten zu lächeln anfing. Herr Kroen hatte dem jungen Priester einen Seidenstuhl in die Tür geschoben. Er saß nun, ein lächelnder Schatten, vor ihr. Die Sonne kam glühend über die fernen Meerwogen, saß als Scheibe aus dem Meerrand und umfloß Frau Hartjes reiche Haarzöpfe, die blond über ihre kleinen Ohren lagen. Blinkend lagen die reichen Falten des blaugrünen Seiden¬ kleides an ihrer schlanken Mädchengestalt herab. Ein kostbarer Goldreif mit einer Perle hielt das Haar an der Stirn ein wenig gebunden. Die Augen waren voll Strahlen. Von ihren sanften, frommen Händen funkelten Steine und Perlen. Ihr Gesicht stand zärtlich zur Seite genommen mit drolligen Augenzwinkern frei im Raume. Hieronymus van Doorn hörte und fah, so daß auch ihm eine Anwandlung von Farbe in die mageren, hohlen Mienen kam. Er sah auch die vollen, dunklen Wimperkränze, die die jungen Blicke ewig umschatteten. Er sah alles. Er war gefangen in der Pracht der Jugend, die hier neu und strahlend das Leben liebte und lebte, die eine Auferstehung feierte in das irdische Herbst¬ paradies, das innen und außen, über Terrasse und Garten und Himmel und Meer gebreitet lag. Alles umspann ihn. Alles sang die Sprache der Genesung, die auch Herrn Kroens volle Lippen erzählten, und die in seinem Monokel in die untergehende Abendsonne hinausblitzte. Es war jetzt ein sanftes und ein¬ dringliche's Geplauder von Mund zu Mund, und von Auge ins Auge hinein. Auch Hieronymus van Doorn, obwohl er noch in der Morgenfrühe mit ver¬ zehrten Blicken und heimlich sehnsüchtig von der Gottesminne lockende, heilige Worte gemacht und die Macht der Gnade gepriesen, tändelte in diesem Angen- Grenzboten I 1912 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/193>, abgerufen am 19.10.2024.