Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein 5pater Derer van Doorn

Herr Kroen war immer voll Vergnügen um Frau Hartjc, Manchmal
sagte er pfiffig: "Ein Wunder hat dich mir wiedergegeben".

Dann zupfte er an ihren Schulterbändern herum und steckte wohl auch
Frau Hartje das kirschrote Seidentuch fester um den Hals zu, das zu dem
goldenen Herbstgewirr des Gartens einen lieblichen Eindruck gab. Dann mußte
Frau Hartje lachen, weil es ihr sanft dünkte, daß ein Wunder Gottes sie ge¬
rettet hatte, und sie dachte von ferne an eine Macht ohne Grenzen, von stummen
Menschenblicken und lautlos bewegten Menschenlippen herabgcfleht, die heimlich
willfährig gekommen war, ihr müdes, durstendes Herz neu mit Kraft und Glauben
zu tränken. O ihr junges Herz schlug jetzt fühlbar. Sie träumte oft der bleichen
Nonne mit sanfter Röte im Gesicht in die frommen Augen hinein den Traum
der himmlischen Gnade. Und es kam wie ein fernes Erinnern auch, als wenn
des He lands beide sanften Hände selber nach ihr sich ausgestreckt hätten, sie
aus Ängsten der Finsternis und der eisigen Abgründe ins warme Licht empor
zu heben.

Aber eines Tages kam endlich der junge Priester zu Herrn Kroen ins
Haus. Er stand im Treppenhaus, bleich und asketisch wie immer. Er tat
sanfte Fragen, schon wie er mit Herrn Kroen die Treppe zu Frau Hartje empor
stieg. Da mußte sich Frau Hartje, die an der offenen Terrassentür im Lehn¬
stuhl lag, vom Ton der Stimme getroffen, plötzlich besinnen. Da kam für ihr
Erinnern, wie aus einer Brunnentiefe Perle um Perle, so das Bild eines
Beters und Gottüberwinders herauf und ihrem inneren Blicke immer näher,
so daß sie vor dem Bilde, jetzt schon in den Rahmen der Terrassentür leibhaftig
hinein geschaut als großer Schallen, gebunden dalag, als läge sie diesem Hei¬
land in seinen ringenden Nuferarmen, und als hörte sie noch immer die stummen
Gewalten mit zerrissenen Ausrufen aus diesem Munde Gott um ihre kranke
Menschenseele bitten. Hieronmnus van Doorn war in dem Augenblicke mit
Herrn Kroen wirklich eingetreten. Herr Kroen ganz wie ein Weltkind. Herr
Kroen mußte laut lachen, weil Frau Hartje erst eine lange Weile nach dem
Eintreten zu sich kam. Um so mehr, weil sie noch vollends ganz erbleichte, als
sie Hieronymus van Doorn erkannte, den feinen, mageren, tonsurierten Mann,
der jetzt nur im schlichten Priesterrock vor ihr stand.

"Sehen Sie, Herr Pfarrer, wie sie noch schwach ist. Das Blut fährt ihr
gleich aus den Wangen, wenn sie den leisesten Schreck hat," sagte Herr Kroen
und nahm ihre Hand und küßte die Hand, indem er sie dann dem Priester fast
sorglich in die seine legte.

"Sieh hier, mein gutes Weib Hartje," sagte er dann sanft. "Der Herr
Pfarrer kommt persönlich nach dir fragen."

Aber Hieronymus van Doorn hielt nur jetzt Frau Hartjes Hand in der
seinen und sah auf die Hand nieder, die ein wenig in der seinen lastete, und
verlor sich beinahe in der stillen Betrachtung, daß diese weiße, feine, bläulich
durchäderte Hand Frau Hartjes Hand wäre. Er sah die Hand lange an und


Ein 5pater Derer van Doorn

Herr Kroen war immer voll Vergnügen um Frau Hartjc, Manchmal
sagte er pfiffig: „Ein Wunder hat dich mir wiedergegeben".

Dann zupfte er an ihren Schulterbändern herum und steckte wohl auch
Frau Hartje das kirschrote Seidentuch fester um den Hals zu, das zu dem
goldenen Herbstgewirr des Gartens einen lieblichen Eindruck gab. Dann mußte
Frau Hartje lachen, weil es ihr sanft dünkte, daß ein Wunder Gottes sie ge¬
rettet hatte, und sie dachte von ferne an eine Macht ohne Grenzen, von stummen
Menschenblicken und lautlos bewegten Menschenlippen herabgcfleht, die heimlich
willfährig gekommen war, ihr müdes, durstendes Herz neu mit Kraft und Glauben
zu tränken. O ihr junges Herz schlug jetzt fühlbar. Sie träumte oft der bleichen
Nonne mit sanfter Röte im Gesicht in die frommen Augen hinein den Traum
der himmlischen Gnade. Und es kam wie ein fernes Erinnern auch, als wenn
des He lands beide sanften Hände selber nach ihr sich ausgestreckt hätten, sie
aus Ängsten der Finsternis und der eisigen Abgründe ins warme Licht empor
zu heben.

Aber eines Tages kam endlich der junge Priester zu Herrn Kroen ins
Haus. Er stand im Treppenhaus, bleich und asketisch wie immer. Er tat
sanfte Fragen, schon wie er mit Herrn Kroen die Treppe zu Frau Hartje empor
stieg. Da mußte sich Frau Hartje, die an der offenen Terrassentür im Lehn¬
stuhl lag, vom Ton der Stimme getroffen, plötzlich besinnen. Da kam für ihr
Erinnern, wie aus einer Brunnentiefe Perle um Perle, so das Bild eines
Beters und Gottüberwinders herauf und ihrem inneren Blicke immer näher,
so daß sie vor dem Bilde, jetzt schon in den Rahmen der Terrassentür leibhaftig
hinein geschaut als großer Schallen, gebunden dalag, als läge sie diesem Hei¬
land in seinen ringenden Nuferarmen, und als hörte sie noch immer die stummen
Gewalten mit zerrissenen Ausrufen aus diesem Munde Gott um ihre kranke
Menschenseele bitten. Hieronmnus van Doorn war in dem Augenblicke mit
Herrn Kroen wirklich eingetreten. Herr Kroen ganz wie ein Weltkind. Herr
Kroen mußte laut lachen, weil Frau Hartje erst eine lange Weile nach dem
Eintreten zu sich kam. Um so mehr, weil sie noch vollends ganz erbleichte, als
sie Hieronymus van Doorn erkannte, den feinen, mageren, tonsurierten Mann,
der jetzt nur im schlichten Priesterrock vor ihr stand.

„Sehen Sie, Herr Pfarrer, wie sie noch schwach ist. Das Blut fährt ihr
gleich aus den Wangen, wenn sie den leisesten Schreck hat," sagte Herr Kroen
und nahm ihre Hand und küßte die Hand, indem er sie dann dem Priester fast
sorglich in die seine legte.

„Sieh hier, mein gutes Weib Hartje," sagte er dann sanft. „Der Herr
Pfarrer kommt persönlich nach dir fragen."

Aber Hieronymus van Doorn hielt nur jetzt Frau Hartjes Hand in der
seinen und sah auf die Hand nieder, die ein wenig in der seinen lastete, und
verlor sich beinahe in der stillen Betrachtung, daß diese weiße, feine, bläulich
durchäderte Hand Frau Hartjes Hand wäre. Er sah die Hand lange an und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0192" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320609"/>
            <fw type="header" place="top"> Ein 5pater Derer van Doorn</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_694"> Herr Kroen war immer voll Vergnügen um Frau Hartjc, Manchmal<lb/>
sagte er pfiffig: &#x201E;Ein Wunder hat dich mir wiedergegeben".</p><lb/>
            <p xml:id="ID_695"> Dann zupfte er an ihren Schulterbändern herum und steckte wohl auch<lb/>
Frau Hartje das kirschrote Seidentuch fester um den Hals zu, das zu dem<lb/>
goldenen Herbstgewirr des Gartens einen lieblichen Eindruck gab. Dann mußte<lb/>
Frau Hartje lachen, weil es ihr sanft dünkte, daß ein Wunder Gottes sie ge¬<lb/>
rettet hatte, und sie dachte von ferne an eine Macht ohne Grenzen, von stummen<lb/>
Menschenblicken und lautlos bewegten Menschenlippen herabgcfleht, die heimlich<lb/>
willfährig gekommen war, ihr müdes, durstendes Herz neu mit Kraft und Glauben<lb/>
zu tränken. O ihr junges Herz schlug jetzt fühlbar. Sie träumte oft der bleichen<lb/>
Nonne mit sanfter Röte im Gesicht in die frommen Augen hinein den Traum<lb/>
der himmlischen Gnade. Und es kam wie ein fernes Erinnern auch, als wenn<lb/>
des He lands beide sanften Hände selber nach ihr sich ausgestreckt hätten, sie<lb/>
aus Ängsten der Finsternis und der eisigen Abgründe ins warme Licht empor<lb/>
zu heben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_696"> Aber eines Tages kam endlich der junge Priester zu Herrn Kroen ins<lb/>
Haus. Er stand im Treppenhaus, bleich und asketisch wie immer. Er tat<lb/>
sanfte Fragen, schon wie er mit Herrn Kroen die Treppe zu Frau Hartje empor<lb/>
stieg. Da mußte sich Frau Hartje, die an der offenen Terrassentür im Lehn¬<lb/>
stuhl lag, vom Ton der Stimme getroffen, plötzlich besinnen. Da kam für ihr<lb/>
Erinnern, wie aus einer Brunnentiefe Perle um Perle, so das Bild eines<lb/>
Beters und Gottüberwinders herauf und ihrem inneren Blicke immer näher,<lb/>
so daß sie vor dem Bilde, jetzt schon in den Rahmen der Terrassentür leibhaftig<lb/>
hinein geschaut als großer Schallen, gebunden dalag, als läge sie diesem Hei¬<lb/>
land in seinen ringenden Nuferarmen, und als hörte sie noch immer die stummen<lb/>
Gewalten mit zerrissenen Ausrufen aus diesem Munde Gott um ihre kranke<lb/>
Menschenseele bitten. Hieronmnus van Doorn war in dem Augenblicke mit<lb/>
Herrn Kroen wirklich eingetreten. Herr Kroen ganz wie ein Weltkind. Herr<lb/>
Kroen mußte laut lachen, weil Frau Hartje erst eine lange Weile nach dem<lb/>
Eintreten zu sich kam. Um so mehr, weil sie noch vollends ganz erbleichte, als<lb/>
sie Hieronymus van Doorn erkannte, den feinen, mageren, tonsurierten Mann,<lb/>
der jetzt nur im schlichten Priesterrock vor ihr stand.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_697"> &#x201E;Sehen Sie, Herr Pfarrer, wie sie noch schwach ist. Das Blut fährt ihr<lb/>
gleich aus den Wangen, wenn sie den leisesten Schreck hat," sagte Herr Kroen<lb/>
und nahm ihre Hand und küßte die Hand, indem er sie dann dem Priester fast<lb/>
sorglich in die seine legte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_698"> &#x201E;Sieh hier, mein gutes Weib Hartje," sagte er dann sanft. &#x201E;Der Herr<lb/>
Pfarrer kommt persönlich nach dir fragen."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_699" next="#ID_700"> Aber Hieronymus van Doorn hielt nur jetzt Frau Hartjes Hand in der<lb/>
seinen und sah auf die Hand nieder, die ein wenig in der seinen lastete, und<lb/>
verlor sich beinahe in der stillen Betrachtung, daß diese weiße, feine, bläulich<lb/>
durchäderte Hand Frau Hartjes Hand wäre.  Er sah die Hand lange an und</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0192] Ein 5pater Derer van Doorn Herr Kroen war immer voll Vergnügen um Frau Hartjc, Manchmal sagte er pfiffig: „Ein Wunder hat dich mir wiedergegeben". Dann zupfte er an ihren Schulterbändern herum und steckte wohl auch Frau Hartje das kirschrote Seidentuch fester um den Hals zu, das zu dem goldenen Herbstgewirr des Gartens einen lieblichen Eindruck gab. Dann mußte Frau Hartje lachen, weil es ihr sanft dünkte, daß ein Wunder Gottes sie ge¬ rettet hatte, und sie dachte von ferne an eine Macht ohne Grenzen, von stummen Menschenblicken und lautlos bewegten Menschenlippen herabgcfleht, die heimlich willfährig gekommen war, ihr müdes, durstendes Herz neu mit Kraft und Glauben zu tränken. O ihr junges Herz schlug jetzt fühlbar. Sie träumte oft der bleichen Nonne mit sanfter Röte im Gesicht in die frommen Augen hinein den Traum der himmlischen Gnade. Und es kam wie ein fernes Erinnern auch, als wenn des He lands beide sanften Hände selber nach ihr sich ausgestreckt hätten, sie aus Ängsten der Finsternis und der eisigen Abgründe ins warme Licht empor zu heben. Aber eines Tages kam endlich der junge Priester zu Herrn Kroen ins Haus. Er stand im Treppenhaus, bleich und asketisch wie immer. Er tat sanfte Fragen, schon wie er mit Herrn Kroen die Treppe zu Frau Hartje empor stieg. Da mußte sich Frau Hartje, die an der offenen Terrassentür im Lehn¬ stuhl lag, vom Ton der Stimme getroffen, plötzlich besinnen. Da kam für ihr Erinnern, wie aus einer Brunnentiefe Perle um Perle, so das Bild eines Beters und Gottüberwinders herauf und ihrem inneren Blicke immer näher, so daß sie vor dem Bilde, jetzt schon in den Rahmen der Terrassentür leibhaftig hinein geschaut als großer Schallen, gebunden dalag, als läge sie diesem Hei¬ land in seinen ringenden Nuferarmen, und als hörte sie noch immer die stummen Gewalten mit zerrissenen Ausrufen aus diesem Munde Gott um ihre kranke Menschenseele bitten. Hieronmnus van Doorn war in dem Augenblicke mit Herrn Kroen wirklich eingetreten. Herr Kroen ganz wie ein Weltkind. Herr Kroen mußte laut lachen, weil Frau Hartje erst eine lange Weile nach dem Eintreten zu sich kam. Um so mehr, weil sie noch vollends ganz erbleichte, als sie Hieronymus van Doorn erkannte, den feinen, mageren, tonsurierten Mann, der jetzt nur im schlichten Priesterrock vor ihr stand. „Sehen Sie, Herr Pfarrer, wie sie noch schwach ist. Das Blut fährt ihr gleich aus den Wangen, wenn sie den leisesten Schreck hat," sagte Herr Kroen und nahm ihre Hand und küßte die Hand, indem er sie dann dem Priester fast sorglich in die seine legte. „Sieh hier, mein gutes Weib Hartje," sagte er dann sanft. „Der Herr Pfarrer kommt persönlich nach dir fragen." Aber Hieronymus van Doorn hielt nur jetzt Frau Hartjes Hand in der seinen und sah auf die Hand nieder, die ein wenig in der seinen lastete, und verlor sich beinahe in der stillen Betrachtung, daß diese weiße, feine, bläulich durchäderte Hand Frau Hartjes Hand wäre. Er sah die Hand lange an und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/192
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/192>, abgerufen am 27.09.2024.