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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Begrenztheiten kennen gelernt haben. Aber vielleicht werden doch die Wert¬
maßstäbe künftiger demscher Geschichtsbetrachtung dort gesucht werden, wo man
sich nicht am Ende unserer nationalen Entwicklung wähnt, sondern wo man
an eine polnische und Kulturmission unseres Volkes glaubt. Dies nicht in dem
Sinne, als ob unser Volk alsbald berufen wäre, anderen Völkern die Ent¬
wicklung zu den letzten Zielen rein menschlicher, geistiger, sittlicher Vollendung
zu bringen, sondern in der Überzeugung, daß es vorerst die Ausgabe in sich
trägt, die reichen Inhalte seines Wesens reinzuhalten, zu entwickeln, aufzuzeigen
und auszuleben, im politischen wie im individuellen Leben nach höchster Kraft,
Wahrheit und Schönheit zu streben.

Noch fehlen uns die großen Geschichtschreiber, die für diese Anschauung
die historische Durcharbeitung in ihrem Innern vollzogen haben, die in .Kampf
und Studium ihre Überzeugung von der Realität solcher Zielsetzungen geschaffen
haben und uns politische Wege weisen können, indem sie auf die Betrachtung
des Geschehenen ihre nationalhistorischen Weltmaßstäbe anwenden. Aber da die
Zeit sie fordert, werden sie wohl kommen und sich durchsetzen und an ihrem
Volke bauen. Das hat in seiner materialistischen Verseuchung wirklich wieder
den Blick auf hohe Ziele nötig.

Diesem Feldzuge der I-iiZtona militan8 kann die l1i8de>ria intuens mit
Ruhe zuschauen. Sie ist es ja nicht, die in die Massen dringt, sondern sie ist
das Werk der Gelehrten und eines kleinen Kreises von Gebildeten. Aus ihrem
Schatze wird die aktivere Schwester stets schöpfen müssen, ohne ihn würde sie
ein Phantom sein, das Phantomen nachjagt. Auf wissenschaftlichem Fundament
steht auch sie; aber sie will weiter wirken als jene und muß demnach ein
anderes Aussehen gewinnen. Sie will, um mit Nietzsche zu reden, die geistig
Regsamen befähigen, "sich der Vergangenheit wie einer kräftigen Nahrung zu
bedienen." So wird die Krankheit, die, in dem Übermaß des rein Historischen
liegend, unsere Tatkraft entnerven könnte, vermieden, und durch die auf be¬
stimmten, gesunden Werturteilen aufgebaute Geschichtsbetrachtung einer anderen
modernen Krankheit vorgebeugt, der Einführung des materialistisch-internatio¬
nalen Standpunktes in die politische Gedankenwelt weiter Kreise.




t-Iistonu miütsns

Begrenztheiten kennen gelernt haben. Aber vielleicht werden doch die Wert¬
maßstäbe künftiger demscher Geschichtsbetrachtung dort gesucht werden, wo man
sich nicht am Ende unserer nationalen Entwicklung wähnt, sondern wo man
an eine polnische und Kulturmission unseres Volkes glaubt. Dies nicht in dem
Sinne, als ob unser Volk alsbald berufen wäre, anderen Völkern die Ent¬
wicklung zu den letzten Zielen rein menschlicher, geistiger, sittlicher Vollendung
zu bringen, sondern in der Überzeugung, daß es vorerst die Ausgabe in sich
trägt, die reichen Inhalte seines Wesens reinzuhalten, zu entwickeln, aufzuzeigen
und auszuleben, im politischen wie im individuellen Leben nach höchster Kraft,
Wahrheit und Schönheit zu streben.

Noch fehlen uns die großen Geschichtschreiber, die für diese Anschauung
die historische Durcharbeitung in ihrem Innern vollzogen haben, die in .Kampf
und Studium ihre Überzeugung von der Realität solcher Zielsetzungen geschaffen
haben und uns politische Wege weisen können, indem sie auf die Betrachtung
des Geschehenen ihre nationalhistorischen Weltmaßstäbe anwenden. Aber da die
Zeit sie fordert, werden sie wohl kommen und sich durchsetzen und an ihrem
Volke bauen. Das hat in seiner materialistischen Verseuchung wirklich wieder
den Blick auf hohe Ziele nötig.

Diesem Feldzuge der I-iiZtona militan8 kann die l1i8de>ria intuens mit
Ruhe zuschauen. Sie ist es ja nicht, die in die Massen dringt, sondern sie ist
das Werk der Gelehrten und eines kleinen Kreises von Gebildeten. Aus ihrem
Schatze wird die aktivere Schwester stets schöpfen müssen, ohne ihn würde sie
ein Phantom sein, das Phantomen nachjagt. Auf wissenschaftlichem Fundament
steht auch sie; aber sie will weiter wirken als jene und muß demnach ein
anderes Aussehen gewinnen. Sie will, um mit Nietzsche zu reden, die geistig
Regsamen befähigen, „sich der Vergangenheit wie einer kräftigen Nahrung zu
bedienen." So wird die Krankheit, die, in dem Übermaß des rein Historischen
liegend, unsere Tatkraft entnerven könnte, vermieden, und durch die auf be¬
stimmten, gesunden Werturteilen aufgebaute Geschichtsbetrachtung einer anderen
modernen Krankheit vorgebeugt, der Einführung des materialistisch-internatio¬
nalen Standpunktes in die politische Gedankenwelt weiter Kreise.




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[0180] t-Iistonu miütsns Begrenztheiten kennen gelernt haben. Aber vielleicht werden doch die Wert¬ maßstäbe künftiger demscher Geschichtsbetrachtung dort gesucht werden, wo man sich nicht am Ende unserer nationalen Entwicklung wähnt, sondern wo man an eine polnische und Kulturmission unseres Volkes glaubt. Dies nicht in dem Sinne, als ob unser Volk alsbald berufen wäre, anderen Völkern die Ent¬ wicklung zu den letzten Zielen rein menschlicher, geistiger, sittlicher Vollendung zu bringen, sondern in der Überzeugung, daß es vorerst die Ausgabe in sich trägt, die reichen Inhalte seines Wesens reinzuhalten, zu entwickeln, aufzuzeigen und auszuleben, im politischen wie im individuellen Leben nach höchster Kraft, Wahrheit und Schönheit zu streben. Noch fehlen uns die großen Geschichtschreiber, die für diese Anschauung die historische Durcharbeitung in ihrem Innern vollzogen haben, die in .Kampf und Studium ihre Überzeugung von der Realität solcher Zielsetzungen geschaffen haben und uns politische Wege weisen können, indem sie auf die Betrachtung des Geschehenen ihre nationalhistorischen Weltmaßstäbe anwenden. Aber da die Zeit sie fordert, werden sie wohl kommen und sich durchsetzen und an ihrem Volke bauen. Das hat in seiner materialistischen Verseuchung wirklich wieder den Blick auf hohe Ziele nötig. Diesem Feldzuge der I-iiZtona militan8 kann die l1i8de>ria intuens mit Ruhe zuschauen. Sie ist es ja nicht, die in die Massen dringt, sondern sie ist das Werk der Gelehrten und eines kleinen Kreises von Gebildeten. Aus ihrem Schatze wird die aktivere Schwester stets schöpfen müssen, ohne ihn würde sie ein Phantom sein, das Phantomen nachjagt. Auf wissenschaftlichem Fundament steht auch sie; aber sie will weiter wirken als jene und muß demnach ein anderes Aussehen gewinnen. Sie will, um mit Nietzsche zu reden, die geistig Regsamen befähigen, „sich der Vergangenheit wie einer kräftigen Nahrung zu bedienen." So wird die Krankheit, die, in dem Übermaß des rein Historischen liegend, unsere Tatkraft entnerven könnte, vermieden, und durch die auf be¬ stimmten, gesunden Werturteilen aufgebaute Geschichtsbetrachtung einer anderen modernen Krankheit vorgebeugt, der Einführung des materialistisch-internatio¬ nalen Standpunktes in die politische Gedankenwelt weiter Kreise.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/180>, abgerufen am 19.10.2024.